Per Zufall sind im NSU-Ausschuss neue Vorwürfe gegen die Behörden aufgetaucht: Der Militärgeheimdienst MAD führte schon in den neunziger Jahren eine Akte zu einem späteren Mitglied des Killer-Trios. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen wollte er Uwe Mundlos als Quelle im rechten Milieu anwerben.
Berlin - Im Bundestagsuntersuchungsausschuss zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) ist es zu einem Eklat gekommen. Grund sind eine sehr spät aufgetauchte Akte - und die Löschung von möglicherweise relevanten Erkenntnissen über das Mord-Trio. Nur durch eine gezielte Anfrage eines Abgeordneten aus dem Ausschuss war kurz vor der Sitzung an diesem Dienstag bekannt geworden, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) schon in den neunziger Jahren eine Beobachtungsakte über den späteren Rechtsterroristen Uwe Mundlos führte. Dieser war bei seinem Grundwehrdienst bei der Bundeswehr mit mehreren anderen Männern wegen seiner rechten Gesinnung aufgefallen.
Bisher war von dieser Akte des MAD nichts bekannt, erst Ende August räumte das Verteidigungsressort die Existenz des Dossiers aus der Zeit des Grundwehrdienstes von Mundlos ein. Auch dem Untersuchungsausschuss sei sie bisher nicht vorgelegt worden, kritisierte der Vorsitzende scharf. Bereits mehrmals wurden durch den Ausschuss, der das massive Versagen der deutschen Behörden bei der Aufdeckung der rechten Mordserie aufklären soll, Akten zu spät oder gar nicht vorgelegt. Im Frühsommer hatte die Vernichtung möglicherweise relevanter Akten beim Verfassungsschutz für einen politischen Skandal inklusive des Rücktritts des Geheimdienst-Chefs geführt.
Der Inhalt der Akten ist brisant. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE geht aus dem Material hervor, dass der MAD in den neunziger Jahren direkt versuchte, Mundlos als Quelle für die Behörden anzuwerben. So befragten Beamte des Dienstes Uwe Mundlos bereits in seiner Zeit als Wehrdienstleistender ausführlich zu seiner rechten Gesinnung. Laut den als Verschlusssache eingestuften Akten räumte der junge Mann seine rechte Neigung offen ein, gestand die Mitgliedschaft in einer nicht näher bezeichneten "Skingruppe", bezeichnete sich aber nicht als ausländerfeindlich. Vielmehr sehe er seine rechte Gesinnung als Provokation gegen den Staat.
In der Vernehmung durch den MAD sagte Mundlos, dass seine Familie seine Einstellung dulde. Er distanzierte sich indirekt von dem Mord an Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus, das sei eine "schlimme Sache" gewesen, notierten die MAD-Leute in den Akten. Allerdings lästerte Mundlos in der Vernehmung deutlich gegen Asylbewerber, die sich auf Kosten des Staats ein schönes Leben machen würden. Diese sollten, so Mundlos gegenüber den MAD-Leuten, sofort abgeschoben werden. Er selbst jedoch lehne körperliche Gewalt gegen Ausländer ab.
Mundlos fiel im Wehrdienst durch Singen rechter Lieder auf
Am Ende des Gesprächs dann versuchte der MAD laut den Akten eindeutig, Mundlos als Quelle für die Behörden zu werben. So vermerkt der Bericht in einer abgesetzten "Anmerkung" zu dem Gesprächsprotokoll, man habe Mundlos gefragt, "ob er sich vorstellen könne, ihm bekanntgewordene Termine für Anschläge auf Asylbewerberheime der Polizei oder den Verfassungsschutzbehörden zu melden". Mundlos verneinte die Frage laut den Akten. Zum einen nehme er an solchen Aktionen nicht teil, außerdem könne er sich "nicht vorstellen, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren". Bisher hatten alle deutschen Behörden stets abgestritten, dass sie Mitglieder des Nazi-Trios als Quellen angeworben hätten.
Die Bemerkung in den Akten dürften den Untersuchungsausschuss in Aufruhr versetzen. Bisher hatte die Bundesregierung nur bruchstückhaft eingestanden, dass der MAD, innerhalb der Bundeswehr vor allem für die Beobachtung von rechten Tendenzen innerhalb der Truppe zuständig, den späteren Killer Mundlos ab April 1994 beobachtet hatte. Der Soldat und mehrere andere Kameraden waren im Wehrdienst wegen des Singens von rechten Liedern und "teilweise durch rechtsextremistisch zu wertendes Verhalten" aufgefallen. Deswegen seien sie als sogenannte Verdachtspersonen vom MAD geführt worden.
Was man beim MAD genau über Mundlos herausfand, stand nicht in dem Schreiben. Mundlos leistete von April 1994 bis März 1995 beim Panzergrenadierbataillon 381 im sächsischen Frankenberg seinen Wehrdienst ab, nur einige Jahre später hatte er sich mit Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zum NSU zusammengeschlossen. Das Trio war 1998 in den Untergrund gegangen und wird für die Morde an neun Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft sowie an einer Polizistin verantwortlich gemacht. Im November 2011 war die Killer-Bande nach einem Banküberfall im thüringischen Eisenach aufgeflogen, Mundlos und Böhnhardt hatten sich daraufhin umgebracht. Zschäpe sitzt in U-Haft.
Ausschussmitglieder verlangen Erklärung vom MAD
Beim Militärgeheimdienst selbst lagen die Akten gar nicht mehr vor. So wurden die Papiere über Mundlos laut MAD 15 Jahre nach der Beendigung des Grundwehrdienstes ordnungsgemäß vernichtet. Nach Angaben der Bundeswehr liegt deswegen bei dem Dienst "kein Aktenrückhalt" mehr über die Beobachtungen des späteren Killers vor. Allerdings hatte der MAD schon damals mehrere Verfassungsschutzbehörden in Ostdeutschland und auch das Bundesamt über die Akte informiert und fertigte offenbar auch Kopien des Dossiers an. Aus diesen Aktenbänden stammen die Papiere, die SPIEGEL ONLINE vorliegen und die den brisanten Anwerbungsversuch dokumentieren.
Der Ausschuss ist wegen der Panne tief verärgert. "Ich bin entsetzt", sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD). Auch die SPD-Abgeordnete Eva Högl zeigte sich fassungslos. "Es ist unerträglich, dass dem Ausschuss durch die Bundesregierung erneut ein wichtiges Dokument vorenthalten worden ist", sagte sie.
Andere Ausschussmitglieder sprachen von einem Skandal, da offenbar erneut relevante Akten gelöscht worden seien. Am Nachmittag wollen sie deswegen den Präsidenten des MAD hören. Er soll erklären, wie es zu der neuen Panne bei der Weitergabe von Akten kommen konnte. Dort argumentiert man bisher, dass die Beobachtung von Mundlos beim MAD nur zufällig aufgefallen sei. Demnach hätten sich die Landesämter für Verfassungsschutz im Frühjahr an den MAD gewandt, um eine Freigabe der Akten für die Aufarbeitung der Fahndungspannen zu erreichen. Erst dann, so jedenfalls der MAD, sei "der eingangs geschilderte Sachverhalt (wieder) bekannt" geworden.