Das neue Syrien kommt aus Wilmersdorf

Erstveröffentlicht: 
25.07.2012

 Monatelang haben sich Assad-Gegner geheim in Berlin getroffen – mit Wissen und Willen der Bundesregierung.
Zwischen dem Ludwigkirchplatz in Berlin-Wilmersdorf und Damaskus liegen 3700 Kilometer Luftlinie. Doch wenn eines Tages ein neues Syrien aus den Trümmern der Assad-Diktatur entsteht, könnten wesentliche Impulse aus dem alten preußischen Amtsgebäude mit der Hausnummer 3–4 stammen, in dem ein der Bundesregierung naher deutscher Thinktank residiert.

 

Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat sich seit Januar eine Gruppe von bis zu 50 syrischen Oppositionellen aller Couleur geheim getroffen, um Pläne für die Zeit nach Assad zu schmieden. Das geheime Projekt mit dem Namen »Day After« wird von der SWP in Partnerschaft mit dem United States Institute of Peace (USIP) organisiert, wie die ZEIT von Beteiligten erfuhr. Das deutsche Außenministerium und das State Department helfen mit Geld, Visa und Logistik. Direkte Regierungsbeteiligung gibt es wohlweislich nicht, damit die Teilnehmer nicht als Marionetten des Westens denunziert werden können.

 

Zwar nehmen auch Angehörige der Freien Syrischen Armee teil, die in Syrien die Kämpfe der Rebellen anführt, doch der Weg hin zum Sturz Assads und die damit verbundene Debatte um Fluch und Segen militärischer Interventionen wird in Berlin bewusst ausgeklammert. Die Frage bei den Treffen lautet: Wie kann der Übergang zu einem demokratischen Syrien organisiert werden? Das unweigerliche Ende des Regimes wird schlicht vorausgesetzt, als eine Art Arbeitshypothese. Darin zeigt sich, dass die Bundesregierung schon viel länger mit dem Sturz des syrischen Regimes kalkuliert, als Berliner Diplomaten zugeben können. Und: Deutschland ist sehr viel stärker in die Vorbereitungen der syrischen Opposition einbezogen, als man bisher öffentlich erklärte.

 

Dies allerdings mit gutem Grund: Unter beträchtlichem Aufwand wurden diskret Ex-Generäle, Wirtschafts- und Justizexperten sowie Vertreter aller Ethnien und Konfessionen -– Muslimbrüder eingeschlossen, aber auch säkulare Nationalisten – aus der ganzen Welt nach Berlin eingeflogen. Die Sache musste unter dem Radar der Öffentlichkeit gehalten werden, um eine freie Debatte zu ermöglichen und Teilnehmer vor dem langen Arm des syrischen Geheimdienstes zu schützen. Außerdem: Solange Deutschland noch an Assad und seine Paten in Moskau und Peking appellierte, wäre es kontraproduktiv gewesen, konkrete Planungen für ein freies Syrien offenzulegen.

 

Nach der Eskalation der Kämpfe und dem Scheitern der Diplomatie durch das Veto Russlands und Chinas aber ist ein »Wendepunkt« (Westerwelle) erreicht; Deutschland stellt sich offener hinter die Opposition.

Der Syrienkenner Volker Perthes, Direktor der SWP, betont, die beteiligten Regimegegner hätten »sich selbst rekrutiert, denn es ist nicht unsere Aufgabe, hier eine neue syrische Regierung auszuwählen«. Ziel des Projekts sei vielmehr, Prioritäten beim Umbau der Assad-Diktatur in eine Demokratie zu identifizieren. »Vielleicht wichtiger noch«, fügt Perthes hinzu: »Wir haben der Opposition die Chance gegeben, unbeobachtet und ohne Druck eine Diskurscommunity zu schaffen.« Im August soll ein Dokument veröffentlicht werden, das den Konsens der Opposition darüber darstellt, wie die neue Verfassung aussehen muss, wie Armee, Justiz und Sicherheitsapparate reformiert werden können, wie die Konfessionen künftig friedlich zusammenleben können und die Wirtschaft umgebaut werden muss.

 

Für Berlin als Tagungsort sprach von Beginn an, dass es kaum möglich gewesen wäre, die Teilnehmer aus dem islamistischen Spektrum in die USA zu bringen. Außerdem sind mit Perthes und der Projektleiterin Muriel Asseburg langjährige Kenner Syriens vor Ort verfügbar. Deutschland hat zudem wertvolle eigene Erfahrung mit der Überwindung von Diktaturen: Perthes erzählt, ein Besuch bei der Stasi-Unterlagenbehörde habe bei den Syrern heftige Debatten über den Umgang mit Geheimdienstakten und belasteten Mitarbeitern ausgelöst. Eines der wichtigsten Themen ist die Frage, welche Teile des Sicherheitsapparats und der Justiz man bewahren sollte. Der Irak gilt im Nachbarland Syrien als abschreckendes Beispiel dafür, wie die Totalabwicklung des alten Regimes ins Chaos führen kann.

 

Die Bundesregierung zieht mit der Förderung der syrischen Opposition Konsequenzen aus der Fehlentscheidung, im Libyenkonflikt mit Russland und China gegen eine Intervention gestimmt zu haben. In diesem Zusammenhang sind auch die offiziellen Aktivitäten Deutschlands im Rahmen der Freundesgruppe des syrischen Volkes zu sehen. Darin sind 70 Staaten vertreten, die trotz der russisch-chinesischen Blockade für den Wandel in Syrien eintreten. Deutschland hat in der Freundesgruppe zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten die Verantwortung für die Arbeitsgruppe Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung übernommen. Die erste Sitzung fand Ende Mai in Abu Dhabi statt, die zweite Ende Juni in Berlin. In Berlin wurde jüngst ein Sekretariat eingerichtet, das die Sitzungen koordinieren und den Kontakt zur syrischen Opposition halten soll, geleitet vom ehemaligen Chef des afghanischen Büros der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Gunnar Wälzholz. Das Auswärtige Amt finanziert das Sekretariat mit 600.000 Euro für zunächst sechs Monate. Deutsche Diplomaten äußern sich erfreut, dass der Syrische Nationalrat, der größte Zusammenschluss oppositioneller Kräfte, sich beim Treffen der Arbeitsgruppe klar zu Marktwirtschaft und Korruptionsbekämpfung bekannt hat.

 

Beide von Deutschland geförderten Aktivitäten, die klandestinen und die öffentlichen, passen zusammen: Ob die Pläne der Oppositionellen für ein demokratisches Syrien umgesetzt werden können, hängt wesentlich davon ab, ob der wirtschaftliche Wiederaufbau allen Syrern Chancen bietet.

 

Ob die Berliner Transformationskonzepte aber am Ende überhaupt zum Zuge kommen, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Hass bis zu Assads erwartbarem Abgang zwischen den syrischen Oppositionsgruppen noch freigesetzt wird. Alle Beteiligten, heißt es, sind sich dessen bewusst. Dass Deutschland sich diesmal aufrichtig bemüht hat, dürften sie aber in jedem Fall nicht vergessen.