Waiblingen Hier sitzt der „nationale Widerstand“

Waiblingen. Immer wieder neue Hinweise auf Neonazi-Umtriebe im Landkreis: Eine im Internet präsente „Aktionsgruppe Rems-Murr“ stellt die Polizei vor Rätsel; und eine Kneipe in einem Winnender Teilort entwickelt sich offenbar zum Treff für einschlägige Gestalten.

 

Die Bewohner von Weiler hatten jahrelang Ärger mit der „Linde“, die nun womöglich gar wiedereröffnet wird. In Korb im „Schwäbischen Hof“ tagte wiederholt die NPD. Und neuerdings gerät eine Lokalität in einem Winnender Teilort ins Blickfeld der Ermittler. Anfang Dezember bestreifte die Polizei eine „Geburtstagsfeier“ in der Kneipe – und traf auf 30 bis 40 Gäste, „die augenscheinlich der rechten Szene zugeordnet werden konnten. Zu Störungen oder strafbaren Handlungen kam es im Zuge der Veranstaltung nicht.“ Es gab allerdings ein auffälliges zeitliches Zusammentreffen: In eben jener Nacht besprühten Unbekannte zwei Gebäude in einem Oppenweiler Industriegebiet mit NPD-Schriftzügen.

Konkreteres lasse sich derzeit nicht greifen, erklärt Polizeipressesprecher Klaus Hinderer. Auch die Antwort aus dem Rathaus Winnenden, via Mail, ist karg. „Zu Ihrer Anfrage: Bekannt ist bei der Stadtverwaltung Winnenden, dass“ die Kneipe „im Fokus der Polizei steht. Bitte fragen Sie bezüglich der Ergebnisse bei der Polizei an.“

Anruf bei der Wirtin: Sie weiß von nichts. Ja, da sei Anfang Dezember eine Feier gewesen, eine „geschlossene Gesellschaft“, es war „einfach ein gemütlicher Geburtstag“. Neonazis? „Das waren halt Rocker.“ Rechtsextreme? „Auf keinen Fall, also, bei mir nicht. Das würde mir auf jeden Fall auffallen. Das hätte ich auf keinen Fall toleriert.“ Sie habe hier ihre Stammgäste, es seien „hauptsächlich Rentner“.

 

Ein Blick ins soziale Netzwerk „Facebook“ vermittelt andere Eindrücke: Nicht nur, dass eine Frau, die dort unterm Kneipennamen firmiert, Videos einschlägiger Rechtsrockgruppen verlinkt hat; nicht nur, dass sich unter den Kneipengästen, mit denen sie digital kommuniziert, auch szenebekannte Namen finden, zum Beispiel der eines ehemaligen „Linde“-Kunden. Der Partner der Frau nennt sich auf Facebook auch noch „Luni Koff“ (offenbar eine Hommage an den Neonazi-Sänger „Lunikoff“ – siehe Info-Box), präsentiert sich mit dem knalligen Schriftzug „Skinhead“ und nennt als sein Lieblingszitat einen Spruch von Rudolf Heß. Wer sich die Leute, die er als „Freunde“ listet, anschaut, stößt auf ins Englische übersetzte Zitate aus „Mein Kampf“, Glatzenträger im „Masterrace“-T-Shirt (englisch für „Herrenrasse“) und viele weitere typische Szene-Insignien.

Ob jene Kneipe nur ein Cliquentreff ist oder sich zu einer Anlaufstelle mit überregionalem Einzugsgebiet auswachsen könnte, ist noch nicht absehbar. Immerhin, die Polizei hat ein Auge drauf, ein Gasthaus lässt sich leicht im Blick behalten.

 

 Der Neonazi-Server steht womöglich in der Karibik

Schwerer tun sich die Ermittler mit einem anderen Phänomen: der „Aktionsgruppe Rems-Murr“ der „Bundesweiten Aktion Nationale Sozialisten“. Sie präsentiert sich im Internet mit professionell gestaltetem Auftritt. Keine Namen. Kein Impressum.

„Der Internetauftritt ist uns bekannt“, sagt Polizeisprecher Hinderer – „allerdings ohne jegliche Namen“. Die Internetauswertungsgruppe der Polizei habe sich des Falles angenommen, sei aber „auch nicht richtig weitergekommen“. Der Server, über den die Seite betrieben wird, „steht irgendwo im Ausland, möglicherweise in der Karibik.“

 

Alles weitere verliert sich im Vagen. „Man vermutet, dass diejenigen, die dahinter stecken könnten, aus dem Raum Murrhardt kommen könnten“, da auf der Internetseite ein Foto der Murrhardter Wasserfälle zu sehen ist.

Die Seite liefert ein Lehrbeispiel für einen Dreh, der unter modernen, intellektuell beschlageneren Neonazis en vogue ist: Sie betreiben eine Art Mimikry, kupfern zur Tarnung Symbole und Slogans der Linken ab (siehe oben, „Bitte nicht velwechsern“). Die „AG Rems-Murr“ kokettiert mit „Umwelt- und Tierschutz“, weil das mehrheitsfähige Anliegen bei jungen Menschen sind, und kultiviert eine Form der Kapitalismuskritik, die wortgleich auch auf linken Seiten stehen könnte: Die Wurzel vieler Probleme sei „die Globalisierung, bei der alle Menschen zur Kapitalanlage und zu austauschbaren Objekten der Konzerne degradiert werden“. Und ganz offenkundig wissen moderne Neonazis auch geschickt in die Tasten des Populismus-Klaviers zu hauen: In der Politik „wird korrumpiert, gelogen, beschönigt und vertuscht“, heißt es auf der Seite, Politiker „schieben sich gegenseitig Posten und Pöstchen zu“.

Die eigentliche, die rechtsextreme Botschaft schmuggeln die Verfasser nur hier und da ein, wenn sie zum Beispiel von „Volksgemeinschaft“, „Überfremdung“ und „nationalem Widerstand“ schreiben.

 

Die Rems-Murr-Gruppierung gehört offenbar – die Internet-Links zu den „Autonomen Nationalisten Göppingen“, den „Freien Nationalisten Kiel“, den „Autonomen Nationalisten Südthüringen“ verraten es – zur bundesweit vernetzten Szene der „Autonomen Nationalisten“. Unter Verfassungsschützern gelten sie als extrem aggressiv. Regelmäßig beschwören sie bei ihren Aufmärschen irgendwo in Deutschland straßenschlachtähnliche Zustände herauf; Steine fliegen, Fotografen werden attackiert, Gegendemonstranten verprügelt. Internetseiten wie die der AG Rems-Murr, vermutet Hinderer, dienen vor allem zur Mobilisierung für solche Krawall-Demos.