Vor nunmehr 34 Jahren wurde an der Universität Bremen, von dem damals zum Hochschullehrer berufenen Dr. Johannes Feest das „Strafvollzugsarchiv“ gegründet. Zum 31.12.2011 muss es seine Pforten schließen, da die Universität den bislang genutzten Raum für andere Zwecke einfordert.
Was ist das „Strafvollzugsarchiv“?
In einem Vortrag von 2004 bezeichnete Professor Feest das SVA als ein „Archiv für Recht und Rechtswirklichkeit in Gefängnissen“. Es besteht heute aus über 2500 Büchern und Broschüren zum Gefängniswesen, 1800 Aufsätzen und Forschungsberichten, über 3000 Gerichtsentscheidungen, vielen tausend Briefen von Inhaftierten, zahlreichen Gefangenenzeitungen, sowie Fachzeitschriften. Zudem Materialien zur Geschichte des Alternativkommentars zum Strafvollzugsgesetz. Über viele Jahre konnte ein Gefangener der JVA Hamburg, Denis Pécic nicht nur an dem genannten Kommentar, sondern auch am Aufbau des SVA mitarbeiten. Und wie Professor Feest berichtet, nahm unter dessen Einfluss die Korrespondenz mit Gefangenen immer mehr zu.
Noch heute treffen an die 50 Briefe jeden Monat in Bremen ein und Gefangene bitten bei Professor Feest um Rat bei strafvollzugsrechtlichen Fragestellungen.
Das SVA entwickelte im Verlauf der Jahrzehnte zahlreiche Informationsblätter zu wichtigen und immer wiederkehrenden Rechtsfragen; diese wurden dann an die zahlreichen Gefangenenzeitschriften zum Abdruck gesandt. Eine Auswahl wichtiger Informationen findet sich auch in einer Broschüre der AIDS-Hilfe („Positiv was nun“, enthält nicht nur Informationen zu HIV, sondern gleichfalls zu zahlreichen rechtlichen Themen, die im Gefängnis relevant sind).
SVA als „Institution“
Kaum ein inhaftierter Mensch in Deutschland, der noch nicht von Professor Feest und dem SVA gehört hätte, zumal wenn er / sie sich beginnt mit dem Strafvollzugsrecht zu beschäftigen. Ich selbst habe auch schon einige Jahre Kontakt zu Professor Feest und bedauere es sehr, dass nun das SVA sein Büro räumen muss. Denn auch wenn die Internetpräsenz bestehen bleiben soll, so Professor Feest in einer Verlautbarung, gibt es doch viele Gefangene, die diese Möglichkeit der Kontaktaufnahme nicht werden nutzen können.
SVA wie der Alternativkommentar haben über viele Jahrzehnte eine kritische Reflexion des Strafvollzugs gewährleistet. Heraus zu greifen ist nur eines von unzähligen Beispielen: die Publikation über die „Renitenz der Vollzugsbehörde“. Schon Ende der 80er wies Professor Feest nach, dass sich in einer nicht unwesentlichen Zahl von Fällen, Anstaltsleitungen schlicht weigerten Gerichtsentscheidungen, die Inhaftierte erstritten, zu befolgen. In einer Publikation von 2009 konnte Professor Feest (zusammen mit Richter am OLG Lesting) nachweisen, dass sich an dem damaligen Befund nichts wesentlichen geändert hat, dass es nach wie vor an einem wirksamen Rechtsschutz mangele („Contempt of Court – Zur Wiederkehr des Themas der renitenten Strafvollzugsbehörden“, in „Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag“).
Diese kritische und intensive Begleitung des (nicht nur) bundesdeutschen Strafvollzugs über mehr als drei Jahrzehnte, hat das SVA selbst zu einer Institution werden lassen – und auch zu einem Hoffnungsträger für viele Inhaftierte, die sonst kaum die Chance haben sich in Rechtsfragen adäquat zu informieren.
Wie geht es weiter ohne das SVA?
Neben der Frage der Räumlichkeiten, scheiterte offenbar die Fortführung eines Büros auch an finanziellen Fragen, denn die Universität fühlte sich nicht zuständig, unter seinen KollegInnen fand sich ferner niemand, der das Projekt hätte fortführen wollen und alleine, unter gelegentlicher Beteiligung von ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, konnte Professor Feest das SVA nicht weiter führen.
Damit geht ein Verlust einher für eine kritische Begleitung des deutschen Strafvollzugs; in einer Zeit des Umbruchs, immer schärferer strafrechtlicher Bestimmungen, wichtiger Entscheidungen über Sicherungsverwahrung, Verlagerung der Zuständigkeit für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder, fehlt es nun an einer universitären Begleitung vom Gewicht eines SVA.
Selbst wenn die Internetpräsenz bestehen bleibt, was sehr zu hoffen ist, und auch via e-Mail Anfragen beantwortet werden, hinterlässt doch die Schließung des SVA eine Lücke, die bei realistischer Betrachtungsweise, bis auf Weiteres nicht geschlossen werden kann.
Auch wenn Herrn Professor Feest sein Ruhestand, nach einem bewegten Berufsleben von Herzen zu gönnen ist, er wurde, dies darf an dieser Stelle verraten werden, im November 72 Jahre, so ist es doch bezeichnend, vielleicht auch beschämend für die universitäre Landschaft in Deutschland, dass sich an der Universität Bremen niemand bereit fand, die Fortführung des SVA zu gewährleisten und auch an keiner anderen Universität ein vergleichbares Projekt erkennbar ist.
Zumindest das Archivprojekt des SVA lebt weiter, wenn auch fürderhin an der Fachhochschule Dortmund.
Kritischer Ausblick
An Stimmen, welche Verschärfungen im Strafvollzug fordern, herrscht kein Mangel; das SVA und mit ihm Professor Feest, boten jenen Stimmen contra – und sie werden fehlen. Wie schon oben angesprochen, befindet sich die Situation im Strafvollzug, auch bedingt durch den Einzug der Ökonomisierung in den Vollzugsalltag, im Umbruch. Finanzielle Überlegungen spielen eine immer gewichtigere Rolle. Ähnlich bedeutend ist die zunehmende Psychiatrisierung von Gefangenen: Therapie und Gutachter gelten als Wundermittel.
Hier wäre eine kritische Begleitung auch seitens Forschung und Lehre unabdingbar. Zweifelsohne gibt es punktuell immer wieder Professoren / Professorinnen und wissenschaftliche Assistenten / innen, die sich kritisch mit dem Strafvollzug beschäftigen. Der durch Jahrzehnte kontinuierlicher Beschäftigung mit der Thematik gewachsene Sachverstand, gebündelt im SVA wird jedoch ohne Not dem Verfall preis gegeben. Ähnliches erneut aufzubauen würde erneut Jahre benötigen, jedoch steht zu befürchten, dass es erst gar nicht zu solch einem Versuch kommen wird.
Thomas Meyer-Falk
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