Vergangenes Jahr wurden zwei Gruppen zur Stärkung der Human-Animal-Studies (Erforschung der Mensch-Tier-Verhältnisse) im deutschsprachigen Raum gegründet. Anfang 2010 wurde in Berlin Chimaira – AK für Human-Animal-Studies gegründet und im Herbst 2010 sogar eine an eine Universität angeschlossene Gruppe: die Group for Society and Animals Studies, welche in diesen Tagen die erste Fachtagung für Human-Animal- tudies im deutschsprachigen Raum abhält. Während die soziologische Erforschung der Mensch-Tier-Verhältnisse im englischsprachigen Raum relativ verbreitet ist, ein relativ hohes Veröffentlichungsaufkommen, einige Fachmagazine, Forschungsgruppen und sogar -institute vorweisen kann, betreten beide Gruppen in Deutschland Neuland.
Sonja Buschka von der GSA und Sven Wirth von Chimaira wurden von Andre Gamerschlag über die Gruppen, ihre Aktivitäten und Perspektiven interviewt. Ausschnitte der Interviews und damit eine kleine Einführung in die Thematik der Human-Animal-Studies findet ihr hier.
Sonja Buschka, Group for Society and Animals Studies, im Interview
geführt von Andre Gamerschlag
Was sind die Ziele, Interessen und angedachten Tätigkeiten der GSA?
Die GSA
hat es sich zur Aufgabe gemacht, zur Verankerung einer kritischen
Diskussion des gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisses in der
Soziologie beizutragen, da dieses zumindest in der deutschsprachigen
Soziologie trotz seiner großen gesellschaftlichen Bedeutung bisher kaum
thematisiert wird.
Unsere
Haupttätigkeitsfelder sehen wir insbesondere in eigenen
wissenschaftlichen Forschungen zum gesellschaftlichen
Mensch-Tier-Verhältnis sowie darin, eine Anlauf- und Sammelstelle für
Forschungsarbeiten und -vorhaben auf dem Gebiet der
Human-Animal-Studies insbesondere für die Soziologie zu sein, Workshops,
Tagungen und Vortragsreihen zum Thema zu organisieren, die Vernetzung
und den Austausch von ForscherInnen und anderweitig Interessierten zu
fördern und Anstoß zu interdisziplinären Forschungsarbeiten und
Veranstaltungen zu geben.
Thematisch liegt unser Hauptfokus auf folgenden Themen:
- Die Rolle der Mensch-Tier-Beziehung in der Soziologie
- Soziale und kulturelle Konstruktion der Mensch-Tier-Abgrenzung und Analyse konstruierender Diskurse
- Kulturelle Tierbilder in bestimmten sozialen Feldern
- Das Mensch/Gesellschafts-Tier-Verhältnis in der soziologischen Theorie (Kritische Theorie der Frankfurter Schule, neuere Ansätze)
- Analyse von Parallelen zwischen speziesistischen, sexistischen und rassistischen Ausschließungsmechanismen
- Soziale Bewegungen zu Tierrechten und Tierbefreiung und Bedingungen ihrer Wirkung/Institutionalisierung von Tierrechten auch im internationalen Vergleich
- Soziale Beziehungen und Kommunikationsformen im Mensch-Tier-Verhältnis
- Analyse von Einstellungen zum Mensch/Gesellschafts-Tier-Verhältnis in der Bevölkerung
- Das Mensch/Gesellschafts-Tier-Verhältnis unter dem Aspekt eines Gewalt- und Herrschaftsverhältnisses sowie Formen dessen Institutionalisierung
Wie kam es zur Initiierung einer solchen Gruppe?
Es gab
2007/2008 ein zweisemestriges Forschungsseminar von Prof. Birgit
Pfau-Effinger an der Uni Hamburg über das Verhältnis der Menschen zu den
Tieren. In diesem Rahmen wurden eine Vielzahl kleinerer
Forschungsprojekte zum gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnis
durchgeführt. Die Forschungsarbeit zu diesem Themenfeld hat bei einigen
TeilnehmerInnen einen tiefen Eindruck hinterlassen und Interesse
geweckt, weiterführend auf diesem wichtigen, aber bisher
vernachlässigten Gebiet zu arbeiten, so dass wir im November 2010
offiziell die Group for Society and Animals Studies gegründet haben.
Gründungsmitglieder waren dabei Prof. Birgit Pfau-Effinger sowie
fortgeschrittene StudentInnen und AbsolventInnen der Universität
Hamburg.
Die GSA ist die erste Forschungsgruppe für HAS im deutschsprachigen Raum. Sie ist damit auch ein erster Schritt auf dem Weg einer Etablierung oder Institutionalisierung der Thematik im wissenschaftlichen Kontext. Welche Chancen seht ihr insgesamt für die Etablierung der Human-Animal-Studies? Wie bewertet ihr in diesem Hinblick die Bedeutung oder mögliche Bedeutung der GSA?
Das
Thema „Tiere“ und auch das gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnis ist
im Rahmen der Fleischskandale und neuerer wissenschaftlicher
Erkenntnisse zu den kognitiven Kapazitäten verschiedener Tierarten im
letzten Jahr stark in den Fokus gerückt, was sich unter anderem an den
vielen Medienberichten zum Thema Vegetarismus zeigt. Als
wissenschaftliche Einrichtung haben wir seit unserer Gründung eine
Vielzahl von Presseanfragen und -artikeln gehabt, was die Notwendigkeit
unserer Einrichtung und das öffentliche Interesse an
ihr belegt. Wir hoffen, dass in diesem Rahmen auch die
akademisch-wissenschaftliche Etablierung der kritischen Human-Animal
Studies voranschreiten wird. Einen ersten Schritt für Deutschland haben
wir dazu mit der Gründung der GSA getan. Natürlich ist dies erst ein
Anfang, aber die bisher sehr positiven Resonanzen lassen durchaus
hoffen. Um die akademische Etablierung voranzutreiben, forschen wir in
eigenen Projekten, organisieren Tagungen und Vortragsreihen und nehmen
selbst als Vortragende an internationalen Tagungen teil, um die
Vernetzung voranzutreiben. So war die GSA zum Beispiel auf der 10th
Annual North American Conference for Critical Animal Studies „Thinking
About Animals“ in Kanada im April diesen Jahres mit fünf
wissenschaftlichen Vorträgen vertreten und wird aller Voraussicht nach
auch auf der 2nd Annual European Conference for Critical Animal Studies
im Herbst in Prag mit eigenen Beiträgen vertreten sein.
Vegetarismus/Veganismus und Tierausbeutung sind seit einigen Monaten häufig auftauchende Themen in den Medien. Wie wurde die Gründung der GSA aufgenommen?
Wie
eben schon angedeutet, wurde die Gründung der GSA sehr positiv
aufgenommen. Wir haben sehr viele Anfragen von bekannten Medien erhalten
und es wurden Beiträge mit Interviewausschnitten oder Bezugnahmen auf
uns z. B. im Stern, Spiegel, Hamburger Abendblatt, GEO.de und weiteren
abgedruckt. Diese Beiträge haben nicht nur auf unsere Gründung Bezug
genommen, sondern unsere wissenschaftliche Positionierung im Feld der
Human-Animal-Studies aufgenommen und so teilweise auch erfreulich
kritische Beiträge zum Mensch-Tier-Verhältnis verfasst. Auch zurzeit
erhalten wir monatlich ca. ein bis zwei Interviewanfragen.
In Kürze erscheint der Sammelband „Gesellschaft und Tiere“, die erste Veröffentlichung der GSA. Was erwartet uns bei euren Beiträgen?
In
unseren Beiträgen präsentieren wir die Ergebnisse einiger unserer
soziologischen Forschungsprojekte, die rund um das Thema „Ambivalenzen
im gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnis“ angesiedelt sind. Das
Besondere an diesem wissenschaftlich orientierten Buch ist, dass es
sowohl theoretische als auch empirische Zugänge zum Feld enthält und in
dieser Hinsicht unseres Wissens ein Novum darstellt. Inhaltlich drehen
sich die Aufsätze der verschiedenen AutorInnen im ersten Teil um das
Mensch-Tier-Verhältnis als sozial konstruiertes Machtverhältnis, wobei
insbesondere die Nicht-Anwesenheit von Tieren in der bisherigen
deutschsprachigen Soziologie, die Bedeutung von „Geist“ als sozial
konstruiertes Unterscheidungskriterium und dessen Konfrontation mit
aktuellen wissenschaftlichen Studien zu kognitiven Kapazitäten von
Tieren, kritische soziologische Ansätze zum Mensch-Tier-Verhältnis sowie
die Konstruktion des Tierbilds in den Diskursen der Agrarökonomie
diskutiert werden. Im zweiten Teil wird es um die sozialen Beziehungen
zwischen Menschen und sogenannten „Haustieren“ gehen, wo die AutorInnen
ihre Ergebnisse zu empirischen Forschungsarbeiten über Hunde in der
Erwerbsarbeit der Dienstleistungsgesellschaft, zum kommunikativen
Stellenwert von sog. „Haustieren“, zu geschlechtsspezifischen
Einstellungen ggü. sog. „Haustieren“ und zur sozialen Konstruktion von
Erziehungsverhältnissen gegenüber Kindern und Hunden präsentieren
werden. Im dritten und letzten Teil geht es um hypothetische
gesellschaftliche Auswirkungen eines Tiertötungsverbots sowie um
Reflexionen zu den Möglichkeiten der Befreiung von Tieren.
Das Veröffentlichungsaufkommen der HAS wächst. Inzwischen entdecken auch die etabliertesten geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Verlage das Thema, wie auch eure Veröffentlichung wieder zeigt. Wie positioniert ihr das Buch paradigmatisch und thematisch im Feld, welche Akzente setzt ihr?
Wir
positionieren uns in diesem Buch klar als ForscherInnen mit
soziologisch-kritischer Perspektive auf das gesellschaftliche
Mensch-Tier-Verhältnis, was uns deutlich von anderen bisherigen
Publikationen unterscheidet, die größtenteils eher
ethisch-geisteswissenschaftlich, religiös, anthropozentrisch (Tiere als
TherapiehelferInnen usw.) oder populärwissenschaftlich ausgerichtet
sind.
Am 1. Juli veranstaltet die GSA die erste Fachtagung für Human-Animal-Studies in Deutschland: „Fleisch essen“. Welchen Fragen wird dort nachgegangen?
Im
Rahmen dieser Tagung möchten wir das Phänomen der Fleischproduktion/ des
Fleischkonsums und seine Bedeutung für das gesellschaftliche
Mensch-Tier-Verhältnis aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und
eine systematische sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem
Thema initiieren. Hierzu haben wir verschiedene ForscherInnen aus
Deutschland sowie dem europäischen Ausland eingeladen sowie durch einen
Call for Papers Beiträge zu den folgenden Fragen eingeworben:
• Welche Rolle nimmt die Produktion und Konsumption von Fleisch im Rahmen des gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisses ein?
- Wie ist Fleisch als Ausdruck eines Gewaltverhältnisses soziologisch zu fassen?
- Welche sozialen Mechanismen und Praktiken, welche symbolisch-kulturell erzeugten Wahrnehmungs-, Denkschemata und Vorstellungen ermöglichen es, dass ein einst lebendiges Individuum in ‚Fleisch‘ transformiert werden kann?
- Wie wird die systematische Erzeugung, Einsperrung und Tötung tierlicher Individuen legitimiert und normalisiert?
- Welche Ambivalenzen in unserem Verhältnis zu Tieren werden beim Phänomen Fleisch deutlich? Wie verläuft an dieser Stelle die soziale Konstruktion von ‚essbaren‘ und ‚nicht-essbaren‘ Tieren und welche Rolle spielen dabei soziale Beziehungen zu Haustieren?
- Deutet sich angesichts einer steigenden Anzahl von VegetarierInnen/VeganerInnen ein Wertewandel an? Wenn ja, in welcher Beziehung steht dieser zu grundsätzlichen Transformationsprozessen in der postindustriellen Gesellschaft und zur Veränderung tierbezogener Einstellungsmuster?
- Welche
Funktion nimmt Fleisch innerhalb der symbolischen Ordnung ein,
beispielsweise als Symbol der Macht, und in welcher Weise werden über
das Medium Fleisch soziale Ungleichheitsstrukturen vermittelt?
Welche Rolle spielt die Zunahme eines medialen Diskurses um Fleischkonsum bzw. Vegetarismus?
Unsere Tagung ist übrigens ein Pre-Conference-Event für die zweite internationale „Minding Animals“-Conference in Utrecht 2012.
Welche konkreten Themen stehen auf dem Programm?
Wir
erwarten eine sehr spannende Tagung! Als Keynote Speaker werden Prof.
Dr. Klaus Petrus (Universität Bern), Dr. Matthew Cole (Bristol)/Dr. Kate
Stewart (Universität Bristol), Renate Brucker (Dortmund), Melanie Bujok
(Bochum), Dr. Karen Morgan (Universität Cardiff) und Prof. Dr. Peter
Kunzmann (Universität Jena) kommen. Als Call for Paper-Vortragende haben
wir Martin Seeliger, Marion Mangelsdorf, Hendrik Wallat, Carol Morris
& James Kirwan & Pru Hobson-West, Karen Lykke Syse &
Kristian Björkdahl, Bettina Krings & Arianna Ferrari, Anka
Krückemeyer, Fabienne Erbacher, Stefan Hnat, Julia Gutjahr und Marcel
Sebastian ausgewählt.
Thematisch wird es u. a. Beiträge zu den notwendigen
Sozialisierungsprozessen für „Fleisch als Normalität“ und die
Hierarchisierung von Empathie, über die legitimatorische Wirkung
symbolischer Ordnungen, die moralischen Landschaften der „Less
Meat-Agenda“, zu Fleisch als Mysterium, zu vollautomatiserten
Schlachthöfen und zum Verschwinden von Tieren als lebendigen Wesen im
industriellen Produktionsprozess, zu den sozial konstruierten
Differenzierungen zwischen essbaren und nicht-essbaren Lebewesen sowie
geschlechtsspezifischen Aspekten beim Fleischkonsum geben.
Aktuelle Infos, Abstracts zu den Vorträgen und die Anmeldung gibt’s auf
unserer Website www.gsa-hamburg.org.
Welche Resonanz und Teilnahme außerhalb der relativ kleinen HAS-Scientific-Community sind zu erwarten?
Neben
TeilnehmerInnen aus der HAS-Gemeinde erwarten wir insbesondere
TeilnehmerInnen aus dem Umfeld der Hamburger Uni (Studierende und
Lehrende), die sich sowohl für die Thematik selbst interessieren als
auch dafür, wie man sich wissenschaftlich mit ihr auseinandersetzen
kann. Weiterhin hoffen wir natürlich auch auf eine interessierte
Hamburger Öffentlichkeit sowie PressevertreterInnen, um das
gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnis stärker sowohl akademisch als
auch politisch relevant auf die Agenda zu setzen.
Ist die Veröffentlichung der vorgestellten Themen oder der Ergebnisse geplant; etwa in Form eines weiteren Sammelbandes?
Ja, wir
planen die Veröffentlichung der den Vorträgen zugrunde liegenden Papers
in Form eines Sammelbandes. Als voraussichtliches Erscheinungsdatum ist
das Jahr 2012 angepeilt.
Habt ihr schon Pläne, wie die nächsten Schritte der Gruppe aussehen könnten?
Aktuell
planen wir gerade einen (GSA-internen) Workshop zu weiteren möglichen
Forschungsperspektiven auf dem Feld der soziologischen
Human-Animal-Studies sowie Möglichkeiten zu deren finanzieller
Realisierung. Auch sind weitere Vorträge auf Konferenzen geplant (wie z.
B. bei der Konferenz in Prag oder dem studentischen Soziologiekongress
in Berlin im Oktober). Dann steht natürlich die Veröffentlichung des
Tagungsbands an, was sicher einiges an Zeit einnehmen wird
(insbesondere, da wir bisher nahezu „ehrenamtlich“ arbeiten). Für 2012
werden wir sicherlich wieder eine Tagung in Hamburg initiieren –
thematisch steht hierzu jedoch noch nichts fest. Auch das Initiieren und
Vorantreiben eines HAS-ForscherInnen-Netzwerks sehen wir als lohnende
mögliche Aufgabe.
Ich bedanke mich für das Interview und wünsche euch weiterhin viel Erfolg.
Ich bedanke mich ebenfalls.
Im zweiten Interview:
Sven Wirth, Chimaira AK für
Human-Animal Studies, im Interview
geführt von Jonas Schmidtgeführt von Andre Gamerschlag
Was bedeutet eigentlich Chimaira?
Also
genauer gesagt heißen wir Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal
Studies. Eine Chimäre ist in der Mythologie ein Mischwesen – meist aus
Mensch und Tier – und für die Frage nach gesellschaftlichen
Mensch-Tier-Verhältnissen wollen wir mit unserer Namensgebung darauf
hinweisen, wie die Grenze zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren
machtvoll gezogen wird und dass sie eben auch überschritten, also
verändert werden kann. Die Grenze ist eine politische Grenze und wir
wollen versuchen, mit unserer Arbeit den gesellschaftlichen
Produktionscharakter der Grenze deutlich zu machen und sie zu
entnaturalisieren.
Welche Aktivitäten gingen bisher von dem Arbeitskreis aus?
Unsere
erste gemeinsame Aktivität in diesem Zusammenhang war ein
zweisemestriges Projektseminar zu gesellschaftlichen
Mensch-Tier-Verhältnissen, das wir im Sommersemester 2009 und im
Wintersemester 2009/2010 an der Humboldt-Universität in Berlin gegeben
haben. Danach haben wir beschlossen, uns weiter gemeinsam zu engagieren.
Wir fanden es notwendig, dass die akademische Auseinandersetzung mit
Mensch-Tier-Themen weiter forciert wird und wir wollten eine neue
Akteurin sein, die diese Auseinandersetzung sowohl in die Unis als auch
in die restliche Gesellschaft trägt. Dann hatten wir gleich viele Ideen
und uns sind jede Menge Bereiche eingefallen, in die es notwendig ist,
zu intervenieren. Wir haben daraufhin einen Sammelband geplant, eine
Human-Animal-Studies-Homepage usw. Die wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit diesen Themen ist gerade im deutschsprachigem
Raum noch so gering, und wenn Akademiker_innen über Tiere schreiben,
dann meist nur als Objekt der Forschung. Also in Bereichen wie der
Medizin, Zoologie, der Tier-Therapie, Verhaltensforschung oder
Anthropologie als Abgrenzungsfolie zum Menschen. Nichtmenschliche Tiere
werden fast nie als Akteur_innen wahrgenommen und erforscht und das
wollten wir mit der Gründung von Chimaira ändern.
Was genau meint ihr damit, dass ihr eine Akteurin sein wollt?
In der
Vergangenheit waren die Human-Animal-Studies im deutschsprachigen Raum,
wenn überhaupt vorhanden, dann eher unkritisch. Wir wollen deren
Etablierung in der wissenschaftlichen Landschaft vorantreiben und
denken, dass sich Bewegungen und die Wissenschaften gegenseitig
befruchten können. Dafür ist es wichtig, sowohl akademische Impulse in
die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung zu bringen als auch Impulse aus
der Bewegung in die Theorieproduktion zu tragen. Hierin sehen wir unter
anderem unser Schaffens- und Interventionsfeld. Im englischsprachigem
Raum gibt es inzwischen eine starke Kontroverse zwischen den schon recht
etablierten Human-Animal-Studies und den sich mehr und mehr
verstärkenden Critical Animal Studies, die Erstere aufgrund ihrer
unkritischen und affirmativen Herangehensweise kritisieren. Wir wollen
mit Chimaira von vornherein einen Akzent auf das kritische Potential der
Human-Animal-Studies setzen und möchten diese Wissenschaft als eine
kritische Wissenschaft etablieren, die dabei helfen kann, die
herrschenden gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse zu verändern.
Mit der GSA gibt es bereits einen neuen Zusammenschluss, dem an der Stärkung der Human-Animal-Studies im deutschsprachigen Raum gelegen ist. Wie sehen eure weiteren Ziele aus und wo liegen dabei die Unterschiede zu denen der GSA?
Wir
freuen uns darüber, dass sich in Hamburg die GSA gegründet hat und dass
es noch mehr Menschen gibt, die die Human-Animal-Studies voranbringen
wollen. Es gibt auch einige persönliche Kontakte zur GSA und unser
Engagement geht in eine ähnliche Richtung. Wo ich allerdings einen
Unterschied sehe, ist, dass wir uns als überuniversitäre Plattform
verstehen. Chimaira hat den Anspruch, Akademiker_innen und
Aktivist_innen überregional zu vernetzen und einen Austausch über
Thematiken der Human-Animal-Studies auf breiter Ebene voranzutreiben.
Dabei wollen wir nicht nur Akademiker_innen miteinander ins Gespräch
bringen, sondern auch weitergehend die kritische Debatte über
gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnisse in eine breite Öffentlichkeit
tragen. Chimaira versteht sich sowohl als akademische als auch als
politische Akteurin, denn für uns ist es etwas eminent Politisches,
Diskurse über nichtmenschliche Tiere zu verschieben, mit dem Ziel, sie
aus ihrer Rolle als Objekte herauszureißen. Wir sind schon sehr gespannt
auf die erste Veröffentlichung der GSA und werden auch mit Freude an
deren Konferenz zum Thema „Fleisch Essen“ teilnehmen.
Ich gehe noch einmal einen Schritt zurück. Eure erste Aktivität war die Durchführung eines Projekttutoriums. Erzähl mir davon!
Wir
hatten das Projektseminar so angelegt, dass es einen breitgefächerten
Einstieg in die Frage der gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse
gegeben hat. Dafür war es notwendig, die Studierenden zuerst mit
bestimmten theoretischen Hintergründen zu konfrontieren, die aus unserer
Sicht für eine kritische Analyse der Verhältnisse zwischen Menschen und
nichtmenschlichen Tieren grundlegend sind. Es wurden
erkenntnistheoretische Fragen angesprochen, Konzepte wie der
Natur-Begriff hinterfragt und das Handwerkszeug für eine kritische
Analyse vermittelt, z. B. die Dekonstruktion von Dualismen oder die
diskursanalytische Herangehensweise an die soziale Textur der
Gesellschaft. Im nächsten Schritt haben wir uns dann mit verschiedenen
Tierbildern und unterschiedlichen Perspektiven auf die
Mensch-Tier-Verhältnisse auseinandergesetzt. Dabei haben wir uns die
Tierethik und Ansätze aus der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung
angeschaut. Im zweiten Semester ging das Seminar dann darum, von diesem
Background ausgehend eigene Themenstellungen zu bearbeiten. Dabei zeigte
sich ein breites Interesse der Teilnehmer_innen an Fragen der
Zusammenhänge von speziesistischer Herrschaft über nichtmenschliche
Tiere und sexistischer Herrschaft im Patriarchat. Ein weiteres Thema,
das bearbeitet wurde, war die Analyse der Sozialstruktur der
Zusammenhänge, die sich für Veganismus oder für die Befreiung der Tiere
einsetzen. Gegen Ende des Seminars kristallisierte sich die Idee heraus,
mit der Publikation eines Sammelbandes die Arbeit von Chimaira
fortzusetzen. Neben den Initiator_innen des Projektseminars hatten auch
einige Teilnehmer_innen Lust, sich vertiefender mit der Thematik
auseinanderzusetzen und eigene Beiträge für das Buch zu verfassen.
Daraufhin folgte noch ein Call for Papers, den wir an aktivistische und
akademische Netzwerke verschickt haben, um noch weitere interessante
Beiträge für den Band zu erhalten.
Im Oktober erscheint euer Sammelband. Im Herbst sollen auch zwei weitere kritische Aufsatzsammlungen über Mensch-Tier-Verhältnisse erscheinen. Was erwartet uns bei euch?
Unser
Sammelband, der übrigens den Titel „Human-Animal Studies – Über die
gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen“ trägt und im
transcript-Verlag erscheint, soll ein Beitrag zur Etablierung der
Human-Animal-Studies im deutschsprachigen Raum sein. Wir wollen mit den
verschiedenen Beiträgen, die von theoretischen Analysen der
gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse über Kritiken bestimmter
Positionen der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung bis zu sozialer
Bewegungsforschung reichen, zeigen, wie breit und vielfältig die
Human-Animal-Studies sein können. Dabei sehen wir weder uns noch die HAS
als einen luftleeren Raum herkommend, sondern machen – auch in vielen
Beiträgen des Sammelbandes – unsere politische und akademische
Traditionslinie deutlich. Das bedeutet, dass wir unter anderem
Anschlüsse an feministische, postkoloniale und andere kritische
Theoriefelder suchen und diese Einflüsse auch in unsere Texte und
Analysen mit einfließen lassen.
Was sind eure weiteren Pläne?
Ab dem
Sommer 2011 werden wir unter www.human-animal-studies.de eine Homepage
aufbauen. Dort sollen Rezensionen von relevanten Büchern, Ankündigungen
von Veranstaltungen und Tagungen und Hintergrundartikel rund um die HAS
erscheinen. Wir verstehen die Website als Plattform für verschiedene
Akteur_innen und wollen die Wahrnehmung der HAS in der Gesellschaft
verstärken. Unsere Hoffnung ist, dass wir mit Chimaira weitere kritische
Arbeiten in den Human-Animal-Studies anstoßen können, die sich
empirisch und/oder theoretisch mit gesellschaftlichen
Mensch-Tier-Verhältnissen auseinandersetzen und dabei auch die bisherige
Methodologie einer kritischen Betrachtung unterziehen. Des Weiteren
sind in nächster Zeit auch Workshops, Vorträge und weitere
Veröffentlichungen geplant. Darüber werden wir euch aber, wenn es soweit
ist, auf dem Laufenden halten.
Danke für das Interview!
Auch wir danken!
Weite Infos:
Tierbefreiung Aktuell Ausgabe 71 /Juli 2011
Webseiten:
Informationen zur GSA, Veröffentlichung und Tagung / Informationen und Links aus dem Bereich HAS:
• www.gsa-hamburg.org
Hier entsteht ein Webportal für Human-Animal-Studies im
deutschsprachigen Raum:
• www.human-animal-studies.de
Verlagsankündigung des Human- Animal-Studies-Sammelbandes
• www.transcript-verlag.de/ts1824/ts1824.php