Christian Wulff, Maskottchen für Folter und Mißbrauch

Historisches Tatwerkzeug, nicht aus Afghanistan

Selbst die Vereinten Nationen können es inzwischen nicht mehr vertuschen: Der von Deutschland mit aufgebaute Polizeiapparat des "neuen" Afghanistan ist ein übles Folterregime. Seit der Veröffentlichung belastender Aussagen in einem Inspektionsbericht der aus der Petersberg-Konferenz hervorgegangenen UNAMA-Behörde vor einer Woche herrscht bei Nato-Politikern und Militärs panisches Schweigen: Dasselbe unmenschliche System das nach dem Sturz Mubaraks in Ägypten zum Vorschein kam existiert auch am Hindukusch, nur dass es sich dort nicht um eine Altlast handelt sondern um eine Neuinstallation, und auch nicht um isolierte Kriegsverbrechen sondern um systematische Friedensvereitelung.

 

Nachdem Deutschland sich auf der Petersberg-Konferenz heftig darum gedrängt hatte innerhalb der Nato-Rivalitäten privilegierte aber verlustarme Funktionen wie die der Polizeiausbildung an sich zu ziehen, präsentiert sich zehn Jahre später das zu erwartende Ergebnis: Die gescheiterte Menschenrechtspolitik ist die unausgesprochene Sollbruchstelle in der Achse der Täterschützer.

 

"Vor etwa 35 Tagen kam eine Gruppe Polizisten in mein Haus und verhaftete mich gegen 11 Uhr morgens. Sie steckten mich in Handschellen und brachten mich zur örtlichen Polizeiwache. Dort fragte mich eine Gruppe Polizisten, ob ich kürzlich jemanden umgebracht hätte. Sie nannten den Namen eines Mannes den ich nicht kannte und dem ich kein Unrecht getan hatte. Sie sagten ´Wenn Du nicht gestehst werden wir Dich töten.´ Sie verlangten zudem von mir ich solle die Verantwortung für den Mord übernehmen damit sie mir nichts täten. Ich sagte, ich habe die Person nicht getötet. Sie fesselten meine Hände senkrecht hinter meinem Rücken und begannen mich zu schlagen. Sie schlugen mich mit einem Stromkabel. Während der Schlägerei verlangten sie von mir ich solle gestehen dass ich für die Tötung eines Mannes in der Region XXX [präzise Ortsangabe aus Zeugenschutzerwägungen von UNAMA geschwärzt] verantwortlich sei. (Der Häftling zeigt vier erkennbar verheilende Wunden auf seiner rechten Wade, der Vorderseite des rechten Beins und am Rücken, jede davon circa 15 cm lang und 2 cm breit, die seinen Angaben zufolge von den Schlägen mit dem Stromkabel herrühren.) Ich habe die Tat nicht gestanden. Nach einer Weile schlugen mich die Beamten mit einem Knüppel auf meine Füße. Das war sehr schmerzhaft. Sie schlugen mich etwa 20 Minuten auf beide Füße (der Häftling zeigt erkennbar verheilende blau-rote Schwellungen an den Fußsohlen). Die Schlägerei war sehr hart. Sie entfernten meine Kleidung und drohten mir sie würden meinen Penis abschneiden wenn ich nicht gestände. Angesichts eines Messers ging ich davon aus dass sie meinen Penis abschneiden werden und gestand ich hätte das Verbrechen begangen. Sobald ich gestanden hatte wurde ich nicht weiter geschlagen, jedoch noch fast den ganzen Tag in Handschellen gehalten. Ich blieb dort noch weitere vier Tage in Haft bevor ich in das Geheimdienstgefängnis in Kandahar verlegt wurde." (Häftling 374, Juli 2011)

 

http://unama.unmissions.org/Portals/UNAMA/Documents/October10_ 2011_UNAMA_Detention_Full-Report_ENG.pdf

 

Dieser Bericht ist symptomatisch für die 379 stichprobenartig ausgewählten Fälle aus 74 Knästen in 24 der 34 Provizen des Landes. Unter den Betroffenen sind auch 98 von Besatzungssoldaten an den afghanischen Repressionsapparat überstellte Personen, von denen mindestens 22 gefoltert wurden. Foltermethoden wie Elektroschocks, Vergewaltigungsandrohungen und Genitalmisshandlungen werden von den afghanischen Behörden geleugnet, Schläge die sichtbare Spuren hinerlassen, das Aufhängen an den Handgelenken oder das Extrahieren von Zehennägeln als Einzelfall-Übergriffe eigenmächtiger Untergebener heruntergespielt. Von Folterungen berichten die Hälfte der vom Geheimdienst entführten, ein Drittel derer die der Polizei in die Hände fielen, sowie fünf sechstel der Minderjährigen unter den Betroffenen.

 

http://www.guardian.co.uk/world/2011/oct/10/afghanistan-torture

 

In den USA forderte die Nichtregierungsorganisation Human Rights First, "die Regierung soll aufdecken ob und wie denjenigen Agenturen der afghanischen Regierung welche in die Foltervorwürfe verwickelt sind, Gelder amerikanischen Ursprungs ausgeschüttet werden", so Daphne Eviatar. "Gemäß den von dem Abgeordneten Patrick Leahy entworfenen und vom Parlament beschlossenen Gesetzen ist es den USA nicht erlaubt, fremden Sicherheitskräften Unterstützung und Ausbildung zu gewähren wenn es glaubwürdige Beweise gibt dass sie krasse Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Um dem Gesetz Folge zu leisten, müssen wir aktiv die Menschenrechtspolitik aller Agenturen der afghanischen Regierung überwachen die von unserer Unterstützung profitieren."

 

http://www.humanrightsfirst.org/2011/10/11/afghanistan-torture-report-ra...

 

Selbst regierungsnahe Medien der ehemaligen Besatzungsmacht Russland zeichnen ein pessimistisches Bild: "Tatsächlich wirft die gesamte Geschichte mehr Fragen auf als sie Antworten gibt. Wenn die Praxis der Folter so alldurchdringend ist, ist es vorstellbar dass die Vorfälle nur aufgrund der persönlichen Initiative nachrangiger Beamter vonstattengehen konnten ohne irgendeine Billigung durch Vorgesetzte? Und was soll das sein, ´die offizielle Politik der Regierung´, wenn die politische Führung diesen Mißbrauch gezielt vertuscht hat? Mehr noch, da die Praktiken so weitverbreitet sind, ist es vorstellbar dass ´während sie geschahen niemand etwas von diesen angeblichen Mißbrauchsfällen gewußt hat´, wie ein namenloser amerikanischer Beamter von der New York Times zitiert wurde? Ist es der Rede wert, dass von über 300 Häftlingen mindestens 98 den afghanischen Sicherheitskräften und Polizisten von internationalen Sicherheitskräften übergeben wurden, und von diesen wiederum mindestens 19 in der Haft gefoltert wurden? Ist es einer Erinnerung wert dass die Antifolterkonvention der UN die Auslieferung eines Häftlings an einen anderen Staat bei dem hinreichende Gründe für die Annahme eines Folterrisikos bestehen klar verbietet? Oder gab es keine hinreichenden Gründe?"

 

http://english.ruvr.ru/2011/10/11/58536901.html

 

Auf dem international Bewegungs-Portal Common Dreams stellt ein Kommentator fest: "Was für eine Erleichterung zu erfahren dass es der afghanische Geheimdienst und der afghanische Polizeidienst waren die für die ganze Folter verantwortlich sind. Einen Moment lang hatte ich befürchtet, unsere Truppen und Söldner könnten auch beteiligt sein."

 

https://www.commondreams.org/headline/2011/10/11-0

 

Der "Laufsteg Afghanistan" hat sich bereits in der Vergangenheit als politisches Minenfeld erwiesen. Es scheint, als sei der ideenlose Erbe seines aus ebendiesem Grunde zurückgetretenen Vorgängers achtlos in die moralische Falle getappt die ihm seine eigenen Berater aufgestellt haben: Wer es mit den Menschenrechten im eigenen Land schon nicht so genau nimmt, der kann dazu auch anderswo nicht ehrlich sein und wäre vielleicht hier wie dort besser erst gar nicht erschienen. Aber anscheinend ist es der Person wichtiger etwas darzustellen das nicht kritisierbar ist als etwas zu kritisieren was nicht darstellbar ist.