Das Demonstrationsrecht beginnt auf der Straße

Erstveröffentlicht: 
20.07.2011

Die Pflicht zur Anmeldung einer Demonstration kennt das Grundgesetz nicht
Linke Demonstrationen sind in Berlin-Kreuzberg Alltag. Doch der Aufzug von rund 1000 Menschen, der am vergangenen Sonnabend an den vor zehn Jahren in Genua von der italienischen Polizei erschossenen Globalisierungskritiker Carlo Giuliani erinnern sollte, fiel aus dem Rahmen. Er war bei der Polizei nicht angemeldet worden. Man werde nicht diejenigen um Erlaubnis fragen, die direkt oder indirekt am Tod Giulianis verantwortlich sind, erklärten die anonymen Organisatoren der Demonstration via E-Mail.

 

Es war nicht das erste Mal in Berlin, frühere Versuche endeten allerdings schnell im Polizeikessel, etwa eine Demonstration nach der Räumung des linken Hausprojekt in der Liebigstraße im Februar. Von rund 150 Teilnehmern wurden die Personalien aufgenommen. Eine nicht angemeldete Solidaritätsdemo für die Proteste in Griechenland in Berlin fiel aus, nachdem sich kein Anmelder fand und die Polizei die Demonstration nicht laufen lassen wollte.

Wegen dieser Unwägbarkeiten ist die Regel, dass auch linksradikale Demonstrationen gegen Staat und Polizei bei eben jenen angemeldet werden. Dazu gehört auch die »Revolutionäre 1. Mai-Demo« in Kreuzberg, für die es oft nicht einfach ist, einen Anmelder zu finden. Nachdem in diesem Jahr der Name des Anmelders gegen den Willen der Veranstalter in der Presse auftauchte, trat er von der Funktion zurück. Darauf ließ das Demobündnis einige Tagen offen, ob ein neuer Anmelder benannt wird. Das tat es dann allerdings doch, und so war am 1. Mai 2011, wie bei allen vorherigen linksradikalen Mai-Demos, dem Versammlungsgesetz Genüge getan.

Das wird allerdings nicht überall so praktiziert. »Unangemeldete Demonstrationen der linken Szene – in Freiburg sind sie fast schon Normalität«, schrieb kürzlich die »Badische Zeitung«. Selbst ein Sprecher der Freiburger Polizei scheint sich damit abgefunden haben. »Überall in Deutschland werden Demonstrationen angemeldet, nur in Freiburg nicht«, erklärte er der Zeitung.

Damit liegt er allerdings falsch. Auch in Wuppertal meldet die linke Szene Demonstrationen oft bewusst nicht an. Hamburger Antifagruppen organisierten Mitte Juli eine unangemeldete Demonstration gegen Nazigewalt. In Göttingen wurde der Ordnungsbehörde statt einer Anmeldung viele Jahre lediglich ein Flugblatt mit den Demodaten zugestellt. Schließlich dient die Anmeldung vor allem dazu, dass sich die Polizei vorbereiten und beispielsweise den Verkehr umleiten kann.

Anders als die Berliner Demonstrationsaufrufer begründen die Freiburger Aktivisten die Nichtanmeldung bürgerrechtlich. Die Weigerung sei eine Reaktion darauf, dass die Verantwortlichen für Demonstrationen oft Repressalien der Polizei erfahren.

Dieses Argument kann Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie gut nachvollziehen. Sie beklagt die zunehmende Einschränkung der Demonstrationsfreiheit. Dazu gehören Auflagen, die Ablehnung von Anmeldern und die Verweigerung von Demorouten.

Die Verpflichtung zur Anmeldung einer Demonstration ist lediglich im Versammlungsrecht geregelt, im Grundgesetz steht davon kein Wort. »Auch unangemeldete Demonstrationen stehen unter dem Schutz des Versammlungsrechts und eine fehlende Anmeldung ist weder ein Auflösungsgrund, noch können Teilnehmer deswegen strafrechtlich belangt werden«, betont Steven gegenüber ND. Das Komitee für Grundrechte wird sich auf seiner Jahrestagung im September mit dem Thema befassen. Das Motto lautet: »Der Kampf ums Demorecht beginnt auf der Straße.«