Stadt selber machen – Aktionstage in Freiburg | 13.-17. Juli'11
Freiburg, 2011. Wer Glück hat, kann sich das Leben hier leisten. Die Mieten sind astronomisch hoch (durchschnittlich über 40% des Einkommens), und sie steigen weiter. Die Stadtumstrukturierung ist in vollem Gang, und innerstädtische Viertel werden derart aufgeteuert, dass sich viele Mieter_innen nach der Wohnungssanierung nach einer neuen Bleibe im westlichen Randbezirk oder außerhalb Freiburgs umsehen müssen. Kommando Rhino, der Jüngste der Freiburger Wagenplätze, soll Ende Juli geräumt werden. Laut Stadtverwaltung sollen seine Bewohner_innen am liebsten gleich die Stadt verlassen, worauf diese erstaunlicherweise gar keine Lust haben. Aber das spielt keine Rolle, denn mitbestimmen über die Gestaltung der Stadt dürfen sie sowieso nicht. Noch mehr Restriktionen herrschen gegen Menschen ohne deutschen Pass, denn sie können sich in vielen Fällen überhaupt nicht frei bewegen. Und die Räumung der im Frühjahr besetzten Johann-Sebastian-Bachstr. steht für die autoritäre und repressive Politik, mit der die Stadt diese Stadtentwicklung gegen die Interessen der davon Betroffenen durchsetzt.
Dabei ist der städtische Raum der Ort, an dem wir leben und leben wollen. Den Raum, der im gesellschaftlichen Status Quo herrschaftsförmig verwaltet ist, begehren wir für die Artikulation unserer Wut, unserer Sehnsüchte und unseres Verlangens nach Lebendigkeit. Da sind jene, die mit Feuer im Herzen für eine bessere Welt kämpfen, und solche, die das bessere Leben im Hier und Jetzt suchen. Da sind diejenigen, die nach Verstehen streben, um aus den Widersprüchen einen Keil in die herrschenden Verhältnisse zu treiben, und die, welche zu ahnen beginnen, dass das, was ist, noch nicht alles sein kann...
Stadt selber machen, das heißt zu aller erst, die eigene Stimme zu benutzen, anstatt sie abzugeben. Das heißt, sich selbst zu organisieren, um für die Gestaltung des eigenen sozialen und materiellen Umfelds zu kämpfen, anstatt auf gewählte Vertreter_innen zu vertrauen. Denn hinter all den sichtbaren Missständen steckt eine verursachende Logik, nach der die städtische wie die staatliche Administration genauso zu handeln genötigt sind wie die Verwalter_innen und Manager_innen des Kapitals.
In dieser gesellschaftlichen Logik, nach der die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse lediglich als Mittel des kapitalistischen Zwecks zu dienen hat, ist der Raum gleichfalls von seinem menschlichen Zweck entfremdet. Zur Durchsetzung dieser Logik bedarf es einer staatlichen Gewalt, die die Grundlagen und den reibungsfreien Ablauf kapitalistischer Verwertung garantiert. Der Staat schützt
das Eigentum an Produktionsmitteln, gestaltet die Spielregeln am Markt und organisiert die Verwaltung der Gesellschaft durch im Grundgesetz festgeschriebene Institutionen und Infrastruktur.
Der Raum ist aber nicht nur von staatlicher Herrschaft reglementiert, sondern ebenso von verinnerlichten Normen und Ideologien. Nicht nur, dass die kapitalistische Marktwirtschaft oder das Geschlechterverhältnis als einzig denkbare Organisationsform gelten; gleichzeitig werden zur Erklärung für strukturbedingte Negativauswirkungen personalisierte Feindbilder geschaffen und auf konstruierte kollektive Identitäten festgeschrieben.
Das Reglement erfasst den Raum in seiner ganzen Ausdehnung. Seine Struktur deckt sich mit dem Raster der Stadt, und sie scheinen ineinander aufzugehen und zu verschmelzen. Im Raum manifestiert sich die reale Substanz der gesellschaftlichen Logik, und zugleich erschafft und erneuert der Raum Parameter der in ihm verwobenen Reglementierung nach den Erfordernissen von kapitalistischer Verwertbarkeit und Warentausch.
Es gilt, den Raum zu erobern! Dabei muss es gelingen, widersprüchlichen und doch sich gegenseitig bedingenden Ansprüchen gerecht zu werden: Einer Kritik, die den Umsturz der bestehenden herrschaftsförmigen Verhältnissen und Logiken als Ganzes zum Ziel hat und zugleich einer Aktion, die sich auf konkrete Auswirkungen dieser Verhältnisse festbeißt, diese Missstände aufzeigt und auch partiell real verbessern will – im Bewusstsein, dass diese Forderung völlig unzureichend ist. Denn solange der Raum in seiner Gesamtheit kapitalistisch- sexistisch- rassistisch- nationalistisch- antisemitisch- herrschaftsförmig bestimmt ist, gibt es keine Räume, die frei davon und also frei von deren Auswirkungen sind. Wohl aber besteht die Notwendigkeit, Freiräume zu schaffen. Diese sind aber eben nicht per Definition frei von Herrschaft, sondern sollen Orte sein, mit dieser zu brechen, um eigene ansozialisierte und verinnerlichte diskriminierende Verhaltensmuster zu hinterfragen, um Aktionen zu planen, um emanzipatorische Vorstellungen zu entwickeln und um eigene Kritiken nach Außen zu tragen.
Den städtischen Raum erobern, nicht nur, aber auch mit Schall und Rauch, das soll das Ziel der ersten Freiburger „Recht auf Stadt“- Tage sein. Es gibt genug Straßen und Plätze in der Stadt, auf denen wir tanzen können, es gibt genug leerstehende Häuser, die auf Wiederbelebung warten, und Kommando Rhino freut sich auf jede_n Unterstützer_in, um Druck auf die Stadt gegen die anstehende Räumung zu machen. Die konkreten Forderungen und Ziele der Freiraumkampagne PLÄTZE.HÄUSER.ALLES sind: Die sofortige Rücknahme der Räumungsdrohung und die Duldung des Wagenplatzes Kommando Rhino und aller zukünftig entstehenden Wagenplätze; der Erhalt und Ausbau des autonomen Zentrums KTS und der Gartenstraße19, das Bestehenbleiben der Johann- Sebastian- Bachstr. für seine jetzigen Bewohner_innen und als Wohnraum für prekär lebende Menschen, die selbstorganisierte Gestaltung öffentlichen Raumes, die Einrichtung entprivatisierter, antikommerzieller und selbstorganisierter Räume und eine Stadt, in der zu wohnen sich tatsächlich Alle leisten können, in allen Stadtteilen und in den Räumlichkeiten, die dem eigenen Bedürfnis nach Lebens- und Wohnraum entsprechen.
Nicht zuletzt geht es darum, Besetzungen sowohl als direkte Aktion, als auch als Aneignungsmethode für den eigenen Bedarf wieder Salonfähig zu machen. Wir wollen die Debatte um Gentrifizierung und Stadtstrukturierung in die Öffentlichkeit tragen und damit auch die Betroffenen motivieren, die Kontrolle zu verlieren und selbst Aktionen und Besetzungen zu starten.
Zusätzlich zu den verschiedenen Aktionen soll es auch Raum für selbstorganisierte und geplante Workshopangebote , z.B. zur Geschichte der Hausbesetzungen in Freiburg und international, zu antisexistischen Freiräumen, offenem Raum, praktische Workshops, Vernetzung und viele mehr geben. Für Essen ist gesorgt, die Vokü freut sich aber über Mithilfe. Schlafplätze werden vermittelt, wenn ihr welche braucht, und einen Infopoint wird es ebenfalls geben.
Stadt selber machen! laut. kreativ. wütend. solidarisch.