Bundessozialgericht lässt MIETOBERGRENZE für Hartz-IV-Empfänger in Freiburg überprüfen
Ein vom Bundessozialgericht aufgehobenes Urteil könnte die Stadt Freiburg teuer zu stehen kommen. Die klagende Anwaltskanzlei Sozialrecht in Freiburg geht davon aus, dass es zu wenige Mietwohnungen im unteren Bereich für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger gibt.
KLAUS RIXINGER
2010 wurden auch in Südbaden mehr Sanktionen gegen Hartz- IV-Bezieher ausgesprochen als im Jahr zuvor. So versäumten Langzeitarbeitslose etwa Beratungstermine bei der Arbeitsagentur, oder sie schrieben keine Bewerbungen, obwohl sie dazu verpflichtet waren. Geahndet werden solche Verstöße mit einem Herabsetzen des Hartz-IV- Satzes. In Freiburg lag die durchschnittliche Herabstufung bei 109 Euro. Für jemanden, der von 359 Euro monatlich leben muss, ist dies kein Pappenstiel. Die Strafe aber ist selbst verschuldet. Davon kann im jetzt von der Anwaltskanzlei Sozialrecht in Freiburg vorgebrachten Fall keine Rede sein. Die Kanzlei geht seit mehreren Jahren davon aus, dass es nicht ausreichend günstige Wohnungen für Bezieher staatlicher Grundsicherung gibt. Durch ein Urteil des Bundessozialgerichts in Kassel sieht sich die Kanzlei jetzt bestätigt. Auch der „Runde Tisch zu den Auswirkungen der Hartz-Gesetze in Freiburg“ hatte bereits 2006 Wohnungsanzeigen ausgewertet und war zum Schluss gekommen, dass „Wohnungen zu den für Bezieher von Alg II festgesetzten Bedingungen auf dem freien Wohnungsmarkt praktisch nicht vorhanden“ seien. Die Folgen für Betroffene sind hart: Sie bekommen vom zuständigen Jobcenter die Miete in Höhe der von der Kommune festgesetzten Mietobergrenze erstattet. Liegt ihre Miete über der Grenze, müssen die Hartz- IV-Bezieher dies aus ihrem Regelsatz bezahlen. „Man überlebtauch mit 250 Euro im Monat“,kommentiert dies Roland Rosenow, ein Mitarbeiter der klagenden Kanzlei. Rosenow ist sichziemlich sicher, dass dies in Freiburg und in den Landkreisen inSüdbaden, in denen die KanzleiMandanten betreut, sehr häufigder Fall ist. Beklagte erscheinen nicht vor Gericht – Die Kanzlei hat mittlerweile geschätzte 50 Klagen gegen dasJobcenter Freiburg wegen dieser Praxis eingereicht. Alle hat dieKanzlei, die sich unter anderemauf die Betreuung von Hartz-IV-Empfängern spezialisiert hat,spätestens in der zweiten Instanz verloren. Jetzt aber ist esihr gelungen, mit einer Klage biszum Bundessozialgericht durchzudringen. Das oberste Gerichthat prompt den Fall an das Landessozialgericht zurückverwiesen und mit der Auflage versehen, zu prüfen, ob in ausreichender Zahl Wohnungen verfügbar sind. Die Kanzlei geht davon aus, dass die Stadt Freiburg nun die Mietobergrenze anheben muss. Um welche Summe es dabei für die Stadt geht, kann nur geschätzt werden. Mindestens aber um einen sechsstelligen Betrag, meint Rosenow, vielleicht auch um einen siebenstelligen. Das wird man nicht so bald wissen – das Landessozialgericht muss etzt erst mal prüfen. Das könne zwei Jahre dauern, weiß Rosenow. Allen Betroffenen rät die Kanzlei daher, zu klagen. Denn nur wer klagt, bekomme rückwirkend Mietkosten erstattet. Die Verfügbarkeit günstiger Wohnungen in Freiburg geht nach Einschätzung der Kanzlei weiter zurück, weil die Freiburger Stadtbau seit einigen Jahren hre Mieten auf das Niveau des Mietspiegels anhebe. Daten des Mietspiegels gebe die Stadt mit Verweis auf das Urheberrecht nicht heraus. Die Zahl der Menschen in Freiburg, die von Hartz V oder Sozialhilfe leben, schätzt Rosenow auf über 20 000. Die Praxis in den Landkreisen beschreibt Rosenow nach seinen Erfahrungen ebenfalls als nicht regelkonform. Der Landkreis Emmendingen habe sich auf eine Obergrenze festgelegt, ohne sich um einen Überblick auf dem Wohnungsmarkt zu bemü- hen. Im Landkreis Breisgau- Hochschwarzwald werden Zeitungsanzeigen ausgewertet. So könne die Verfügbarkeit entsprechender Wohnungen nachgeprüft und vor Gericht belegt werden, teilt die Behörde mit. Das Ergebnis dieser Auswertung werde aber geheim gehalten, kritisiert Rosenow: „Das ist skurril.“ 2010 gab es im Landkreis 119 Kla- gen von Mietern, in den ersten drei Monaten dieses Jahres 27. Der Landkreis Lörrach zahle im Einzelfall einen höheren Mietzu- schuss. Ein Urteil gegen die gän- gige Praxis wolle man so vermei- den, wirft ihm die Kanzlei vor. Bezeichnend ist für Rosenow, dass die Stadt Freiburg und das Jobcenter nicht einmal bei der Urteilsverkündung – auch in den Vorinstanzen – vertreten waren. „Das ist unglaublich.“ Werner Altmann vom „Runden Tisch“ spricht von einer Verhöhnung des Rechtsstaates. „Das ist keine Basis für Leute, denen geholfen werden muss.“ Matthias Müller, stellvertretender Leiter des Amtes für Soziales und Senioren, räumt ein, dass die Stadt Freiburg aus organisatorischen Gründen beim Termin in Kassel nicht dabei sein konnte. Den Vorwurf, die Stadt habe die Mietobergrenze ohne jede Prüfung festgesetzt, weist er jedoch zurück. „Wir gehen davon aus, dass es zu diesen Preisen ausreichend Wohnungen in Freiburg gibt.“ Zudem verweist Müller auf die noch ausstehende Urteilsbegründung. Die wolle man abwarten, ehe man Stellung beziehe. Die abgewiesene Klage in Kassel hält er für einen Einzelfall. Die Kanzlei Sozialrecht in Freiburg ist sich ihrer Sache aber sicher und verweist auf ein „Parallelurteil“ des Bundessozialgerichts im Oktober zur Mietobergrenze in Berlin. Die Hauptstadt hätte das genau so gemacht wie in Freiburg, und das sei als unzulässig erklärt worden. Die örtlichen Gegebenheiten ind entscheidend für die Frage nach der Angemessenheit deMiete. Eine – für das ganze Bundesgebiet – einheitliche Antworuf die Frage, wann die Miete angemessen ist, gibt es nicht, weidie Mieten je nach Lage stark unerschiedlich sind. Die Obergrenze wird deshalb von den Kommunen selbst festgelegtAusgezahlt werden die Kosten ür die Unterkunft von den Jobentern. Die Kommunen erstaten diese Kosten. Der Bund wiederum erstattet den Kommunen davon ein gutes Viertel.