Vor fast einem Jahr meldete Tina eine Demo gegen Fessenheim an - und plötzlich hatte die halbe Uni ihre Handynummer. Wie konnte das passieren? fudder-Autor Konstantin hat sich für uns durch die Irrungen und Wirrungen von Demo-Anmeldungen und universitären E-Mailverteilern gewühlt.
Am 25. April 2010, sollte ähnlich wie vergangenen Sonntag, eine Fahrrad-Demo nach Fessenheim führen
- natürlich in sehr viel kleinerem Rahmen als dieser Tage, weil
Atomkraftgegnerschaft damals noch kein solches Breitenphänomen war.
Hier
bei uns in Deutschland steht die Versammlungsfreiheit einerseits im
Grundgesetz und wird andererseits durch das Versammlungsgesetz
beschränkt. Versammlungen müssen zum Beispiel angemeldet werden. Damit
ist keine Genehmigung gemeint, sondern lediglich, dass die
Versammlungsbehörde, in der Praxis also das Amt für öffentliche Ordnung,
über die Versammlung Bescheid weiß. Dann kann es,
soweit nötig, rechtzeitig Straßensperrungen veranlassen oder andere
Betroffene informieren. Neben den Personalien gibt man bei einer
Anmeldung auch Telefon- und Handynummern an, damit kurzfristige Absprachen, etwa über den Verlauf der Demonstration, auch noch vor Ort möglich sind.
Startpunkt
für Tinas Fahrraddemo sollte der Platz der Alten Synagoge sein, für den
Tina die Auftaktversammlung angemeldet hatte. Kurz vor der Demo bekam
Tina eine SMS von einem befreundeten Mitarbeiter eines Jura-Lehrstuhls
im Kollegiengebäude II (KG II): Er habe eine E-Mail erhalten, in der
Tinas Kontaktdaten samt Handynummer stehen würden.
Das KG II
liegt am Platz der Alten Synagoge, offenbar hatte die Stadt also die
Anlieger der geplanten Auftaktveranstaltung informiert. Nach einem Anruf
bei einem anderen, nicht im KG II gelegenen Lehrstuhl war aber klar,
dass offenbar die ganze juristische Fakultät die Daten
bekommen hatte. „Da bekam ich so langsam ein mulmiges Gefühl,“ sagt
Tina, damals selbst noch Jurastudentin. Auf Nachfrage bestätigte auch
ein Hausmeister, dass er die E-Mail erhalten habe. Tina informierte den
Landesbeauftragten für den Datenschutz - und erst jetzt, nach einem
Jahr, kam eine erste Antwort.
„Kritisch sehen wir vor allem die Weitergabe der Daten an die Universität,“ heißt
es im Schreiben des Landesbeauftragten. Die Stadt hatte die
Universität, zusätzlich zu diversen Ämtern und öffentlichen Diensten,
als Anlieger informiert. „Dabei werden jedoch
generell außer dem Namen der anmeldenden Person keine weiteren
persönlichen Daten genannt. Dass dies im vorliegenden Fall geschehen
ist, ist ein Versehen,“ zitiert der Datenschutzbeauftragte die Stellungnahme der Stadt. Wirklich ein einzelnes Versehen?
Gegenüber fudder äußerte sich die Stadt ähnlich, aber anders: „Die
Stadt Freiburg hat bis 2010 die sogenannte Schnellmeldungen von
Anmeldung von Demonstrationen an andere öffentliche Einrichtungen, die
davon betroffen sind, mit Name, Anschrift und Kontaktdaten, also auch
Telefon etc., an die Dienststellen gesendet. Bei Versammlungen vor der
Uni, wie vor dem KG II, ging die Schnellmeldung auch an das Rektorat.“ Nach der Intervention des Landesdatenschutzbeauftragten hat die Stadt das Verfahren geändert und gibt nach eigenen Angaben „seither nur noch den Namen ohne Kontaktdaten weiter“.
Für den Datenschutzbeauftragten ist die datenschutzrechtliche Prüfung
noch nicht abgeschlossen. Sowohl bei der Stadt, als auch bei der
Universität, die für die Verteilung der Daten vom Rektorat an abwärts
verantwortlich ist, seien noch einige Aspekte zu klären. Besonders bei
der Universität könnte durchaus noch ein wenig Aufklärung von Nöten sein.
Während
die obersten Landesdatenschützer schon die Weitergabe der Kontaktdaten
an das Rektorat kritisch sehen, hat Unijustiziarin und damit auch
oberste Uni-Datenschützerin Edith Wiesen-Emmerich mit der kettenmailartigen Weiterleitung über diverse E-Mail-Verteiler anscheinend keine Probleme: „Die
Mitteilung über den verantwortlichen Leiter/die verantwortliche
Leiterin der geplanten Maßnahme ist für die anliegenden Einrichtungen
wegen der örtlichen Nähe notwendig, um ihn/sie zum einen während der
Veranstaltung ansprechen zu können," sagt sie. "So obliegt es der
verantwortlichen Leitung im Falle von Ausschreitungen für einen
ordnungsgemäßen Ablauf zu sorgen und ggf. den Aufzug, die Demonstration,
für beendet zu erklären.“ Man muss keine Versammlungsrechtsschulung als
akj-Demobeobachter bekommen haben, um wissen zu können, dass, wenn eine
Demonstration einen nicht ordnungsgemäßen Verlauf nimmt, die Polizei zuständig ist und auch über eine Kontaktaufnahme hinaus tätig wird.
In
Tinas Fall wurde die E-Mail offenbar ungekürzt an die Dekanate der
beiden im KG II ansässigen Fakultäten und an den Hausmeisterdienst
weitergeleitet. Der Schluss liegt nahe, dass es von den Dekanaten an
alle Lehrstühle und von den Lehrstühlen an alle Mitarbeiter ging. Und
zwar nicht nur die Mitteilung über Zeit, Ort und Umfang der
Veranstaltung, was noch zu verstehen gewesen wäre, nämlich um von den
Leuten vor Ort, die die Umstände am besten einschätzen können, in
Erfahrung zu bringen, „ob Bedenken bestehen oder besondere Auflagen für
die Sicherheit der angrenzenden Gebäude für erforderlich gehalten
werden“, so Wiesen-Emmerich, sondern eben auch die Handynummer von
Tina. Welche Beeinträchtigungen von den erwarteten circa 20 Radlern
(auch die Zahl der erwarteten Teilnehmer gibt man bei der Anmeldung an)
zu erwarten gewesen wäre, verbleibt derweil im Reich der Spekulation.
Übrigens: der 25. April 2010 war der Tag der Oberbürgermeisterwahl,
also ein Sonntag. Da sind die Universitätsgebäude – bis auf die UB – geschlossen.