Am Rande eines NPD-Infostandes wurden Anwohner Opfer von Polizeigewalt. Eine "Schutzbehauptung" schützte einen Beamten nicht vor Verurteilung.
HAMBURG taz
| Ingo E. betritt den Saal 18 des Amtsgerichts Hamburg-Blankenese am
Dienstag bedrückt. "Für mich ist es belastend, hier zu sitzen", sagt er.
Am Ende spricht das Gericht den Polizeibeamten Jörg D. schuldig, E.
ungerechtfertig angegriffen und festgenommen zu haben. Das Gericht
verurteilt D. wegen Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung zu
einer Geldstrafe von 4.200 Euro. "Sie haben jedes Augenmaß vermissen
lassen", sagt der Richter.
Der 55-Jährige Ingo E., graue Haare, dunkler
Anzug, folgt der Verhandlung über weite Strecken gesenkten Hauptes.
Wegen der Vorfälle am 12. Dezember 2009 hätte ihm "eine Entschuldigung
gereicht", sagt er.
Vom Gericht aus nur ein paar Schritte die Straße hinunter, schon ist
man am Tatort: Dem Vorgarten von Familie E. Hier wurde E.s Tochter von
einem Polizisten angegangen und der Vater von zwei weiteren Beamten auf
den Boden geworfen und festgenommen. An jenem Samstag hatte die NPD in
der Nähe einen Infostand aufgebaut. Schnell formierte sich Protest -
auch von den Anwohnern. Als etwa 15 Jugendliche "Nazi raus" rufend auf
den NPD-Stand zuliefen, setzte die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke
ein.
Von all dem hatte E. nichts mitbekommen. Als er
Brötchen holen wollte, sah er, wie ein Polizist im Vorgarten seine
Tochter schubste und stieß. Der Grund: Sie habe den "linken Störern
Wasser und Tabletten" über den Gartenzaum gereicht, so die Polizei
später. "Ich sah meine Tochter in Gefahr", erinnert sich E. vor Gericht.
Als er auf den einen Beamten zuging, schritten D. und ein weitere
Beamter ein. In der Verhandlung erklärte D., Herrn E. vorschriftsmäßig
erst gewarnt und dann in Gewahrsam genommen zu haben. E. berichtet
jedoch, er sei äußerst brutal auf den Boden geworfen worden. Er erlitt
dabei eine Verletzung am Mund, mehrere Wirbel wurden ausgerenkt. "An der
Rückenverletzung leide ich heute noch", sagt er.
Der Richter fragt außer den Beschuldigten alle
beteiligten Beamten, warum E. vor seinem Haus auf der Straße in
Handschellen festgehalten wurde, statt ihn ins Haus zu schicken. Er will
auch wissen, ab wann den Beamten eigentlich klar war, das da ein völlig
überforderter Vater wegen seiner Tochter eingriff. Der Beamte, der die
Tochter gestoßen hatte, räumt ein, dass er E. gleich zu Beginn laut
sagen hörte: "Das ist meine Tochter." Die Staatsanwältin stellt fest:
"Dass da ein Vater seiner Tochter zu Hilfe kommt, ist doch
selbstverständlich. Sie haben nur stur ihr Programm abgespult."
Um nicht zur Verantwortung gezogen zu werden,
sprechen D. und ein weiterer Beamter von einem "nicht namentlich
bekannten Polizeiführer", der die Entscheidungen getroffen habe. Mehr
als bloß eine "Schutzbehauptung", meint E.s Anwalt.