»Innenminister Rech muß erklären, was passiert ist«

Erstveröffentlicht: 
20.01.2011

20.01.2011 / Inland / Seite 2

 

»Innenminister Rech muß erklären, was passiert ist«

 

In Affäre um den in Heidelberg aufgeflogenen Polizeispitzel sind weitere Ermittlungen notwendig. Ein Gespräch mit Michael Csaszkóczy

 

Interview: Ralf Wurzbacher

 

Michael Csaszkóczy ist aktiv bei der Antifaschistischen Initiative Heidelberg

 

Das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg hat die Heidelberger Antifa monatelang durch einen in das linke Unimilieu eingeschleusten verdeckten Ermittler ausspähen lassen. Das mußte zu Wochenanfang Innenminister Heribert Rech (CDU) eingestehen (jW berichtete). Überrascht Sie die Ehrlichkeit?


Herr Rech hat ja nicht mehr zugegeben als das, was wir ohnehin schon öffentlich gemacht und auch belegt haben. Insofern kann von Ehrlichkeit eigentlich keine Rede sein. Zu den wesentlichen Punkten schweigt der Minister weiterhin beharrlich.

Wo wünschen Sie sich weitere Aufklärung?

 

Die angeblich drohende Gefahr schwerer Straftaten, die der Ermittler verhindert haben soll, müßte der Innenminister schon konkretisieren. Die Gefährdungslage ist offensichtlich schlichtweg erfunden, wir jedenfalls führen nichts Schlimmes im Schilde.

Deshalb hätte der Einsatz des Spitzels, der ja in weiten Teilen dokumentiert ist, auch gar nichts bringen können. Insofern wollen wir natürlich, daß das Innenministerium der Öffentlichkeit erklärt, welche Zwecke die Polizei wirklich verfolgte und welche Daten weitergegeben wurden. Die Bespitzelung reichte ja bis in intimste Lebensbereiche hinein.

Stutzig macht, daß der Einsatz des Spitzels von der Polizeidirektion Heidelberg angeordnet worden sein soll. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?


Es gibt letzten Endes zwei Möglichkeiten: Entweder durfte eine völlig untergeordnete Instanz wie die Polizeidirektion Heidelberg eine solch weitreichende Maßnahme einfach anordnen, ohne daß es eine wirksame Kontrolle gegeben hätte. Das wäre allerdings tatsächlich erschreckend. Oder Innenminister Rech versucht, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, indem er die Verantwortung einfach nach unten weiterschiebt.

Ist es aus Ihrer Sicht glaubhaft, daß derlei Einsätze ohne Kenntnis des Ministers erfolgen, wie dieser erklärt hat?


Angenommen, es hätte wirklich die Gefährdungslage gegeben, die Rech hier aus dem Hut zaubert. Dann hätte das Innenministerium sicherlich in die Entscheidungsstrukturen eingebunden sein müssen. Oder – und das ist hier augenscheinlich der Fall – der Einsatz war offensichtlich rechtswidrig.

Was folgt für Sie aus all dem?


Entweder Innenminister Rech hat völlig die Kontrolle über seinen Apparat verloren. Dann ist er nicht mehr tragbar. Oder – und das ist eigentlich noch schlimmer – die Polizei wird bewußt und geplant zur Bespitzelung, Einschüchterung und Kriminalisierung politisch mißliebiger Gruppen eingesetzt. Das würde ein obrigkeitsstaatliches Verständnis der Rolle der Polizei offenbaren, das eigentlich eher zur Bismarckschen Ära der Sozialistengesetze paßt. Es steht ja ebenfalls die Frage im Raum, wie viele Spitzel und Agents provocateurs es noch in Baden-Württemberg gibt. Auch bei den Protesten gegen »S21« ist ja klargeworden, daß der Einsatz wohl kein Einzelfall ist. Offen bleibt schließlich, inwieweit auch Simon Bromma – der enttarnte Polizeispitzel – Vorwände zur strafrechtlichen Verfolgung Oppositioneller erst selbst geliefert hat.

Gibt es dafür Hinweise?

 

Ja, die gibt es tatsächlich. Als Beispiel sei hier nur angeführt, daß Bromma die Südblockade des Castortransportes maßgeblich mitorganisiert hat, die die Polizei dann später zum Anlaß für Personenfeststellungen und Strafanzeigen nahm. Man muß dem Rechtsverständnis der Polizei in diesem Fall nicht folgen, aber es ist ja klar, daß die Polizei hier an der Organisation von Aktionen beteiligt war, aufgrund derer sie andere dann strafrechtlich verfolgt.

Geht Ihnen das Aufklärungsbemühen der Opposition im Stuttgarter Landtag weit genug?

 

Die Anfrage der Grünen im Landtag ist ein erster Schritt, auch wenn ich mir in den Formulierungen mehr Deutlichkeit wünschen würde. Nun wird sich der Innenausschuß mit dem Thema befassen. Danach werden wir weitersehen. Aber letzten Endes muß der Innenminister nicht irgendeinem Ausschuß oder dem Parlament Rechenschaft über diesen Polizeiskandal ablegen, sondern vor allem der Öffentlichkeit erklären, was passiert ist und wie es dazu kommen konnte. Dafür braucht es öffentlichen Druck, nicht nur im Parlament.