Entzogene G20-Akkreditierungen: Verwechslungen und Jugendsünden

Erstveröffentlicht: 
19.08.2017

Sechs Wochen nach dem G20-Gipfel haben erste Journalisten Bescheid bekommen, warum ihre Akkreditierung entzogen wurde. Was beim Bundeskriminalamt an Daten über sie gespeichert war, erweist sich als toxisches Datengebräu.

 

Von Arnd Henze, ARD-Hauptstadtstudio

 

Die größte Peinlichkeit musste die Bundesregierung schon eine Woche nach dem Gipfel in Hamburg einräumen: Unter den Journalisten, die das BKA als Sicherheitsrisiko erkannt hatte, sei auch ein sogenannter Reichsbürger, hatte der Sprecher des Innenministeriums verbreitet.

Dabei hatte sich der angebliche Rechtsextremist zu diesem Zeitpunkt längst geoutet: Der NDR-Journalist Christian Wolf war durch eine schlichte Namensverwechslung auf die Schwarze Liste des BKA geraten. Er war nicht der Einzige, der durch pure Schlamperei von der Berichterstattung ausgeschlossen wurde.

Inzwischen haben mindestens zwei weitere Journalisten ein Entschuldigungsschreiben von der Bundesregierung bekommen. Eine offensichtliche Panne gab es auch beim Hamburger Polizeireporter Frank Bründel. Der Journalist, seit 28 Jahren im Beruf, soll nach Angaben des Hamburger Verfassungsschutzes bei der Demonstration am 1. Mai als Angehöriger einer "gewaltbereiten Bewegung" festgenommen worden sein - eine falsche Auskunft, die das BKA aber zunächst ungeprüft übernommen hatte.

 

Bundesregierung sprach von "etlichen Straftätern"

Die übrigen Betroffenen mussten lange rätseln, warum ihnen die Akkreditierung entzogen wurde. Viele hatten über Jahre ohne Problem von politischen Großereignissen wie dem G7-Gipfel in Elmau oder Staatsbesuchen in Berlin berichtet. Doch für Regierungssprecher Steffen Seibert stand fest: Die Sicherheitswarnungen des BKA seien so gravierend gewesen, dass es verantwortungslos gewesen wäre, die Akkreditierungen nicht nachträglich zu entziehen.

Das Innenministerium sprach von "etlichen Straftätern" unter den 32 Journalisten. Die Mehrzahl von ihnen wartet trotz gegenteiliger Versprechungen immer noch auf Auskunft. Zwei Bescheide aber liegen dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vor. Die darin aufgelisteten Daten verstärken nach Auffassung von Experten die Zweifel, dass der Entzug der Akkreditierung rechtmäßig war.

Bei dem Berliner Fotografen Florian Boillot ist als einziger Vorgang ein Verfahren wegen Widerstands gegen Polizei-Vollzugsbeamte gespeichert - und zwar unter verschiedenen Aktenzeichen sowohl in der Datei "politische motivierte Kriminalität" als auch in der Datei "Gewalttäter Links". Dabei geht es, wie die Ermittlungsakten belegen, um einen eher banalen Vorgang: Im März 2016 hatte ihn eine Berliner Polizistin angezeigt, nachdem sie ihn zuvor bei einer Demonstration versehentlich gestoßen und er daraufhin mit einer Beschwerde beim Pressesprecher der Polizei gedroht hatte.

In den Ermittlungsakten wird ausdrücklich festgehalten, dass Boillot in der Situation mit seiner Kamera fotografiert und sich gegenüber der Polizistin weder aggressiv noch beleidigend verhalten hatte. Das Verfahren endete im Mai 2017 mit einem Freispruch "aus tatsächlichen Gründen", was umgangssprachlich einen "Freispruch erster Klasse" bedeutet.

 

Eintrag hätte längst gelöscht werden müssen

Der Bochumer Strafrechtsprofessor Tobias Singelnstein hält die weitere Speicherung der Daten ab diesem Moment eindeutig für rechtswidrig. Nach dem BKA-Gesetz hätte der Eintrag sofort gelöscht werden müssen. Stattdessen zeigt das Datenblatt des BKA, dass der Eintrag frühestens im Jahre 2026 auf eine mögliche Löschung überprüft werden soll. "Eine Löschung ist für den Fall eines Freispruchs ohne verbleibenden Tatverdacht zwar zwingend vorgeschrieben, geschieht aber in der Praxis häufig nicht oder nicht sofort", kritisiert der Jurist.

Der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, sieht darin einen eklatanten Verstoß gegen den Datenschutz. Er habe schon 2012 auf die Löschung einer großen Zahl unrechtmäßig gespeicherter Daten in den BKA-Dateien bestanden, erklärt er gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio: "Das Beispiel des Fotografen zeigt, dass immer noch viel zu selten überprüft wird, ob die gespeicherten Daten noch aktuell sind oder den rechtlichen Anforderungen entsprechen."

 

Als Jugendlicher bei Robin Wood

Sehr viel ausführlicher ist der Bescheid für den Fotojournalisten Chris Grodotzki, der für Spiegel Online vom G20-Gipfel berichten sollte. Der Dateiauszug des BKA listet gleich acht Einträge aus verschiedenen Bundesländern aus. Doch auch in seinem Fall sind Experten alarmiert: Der älteste Eintrag stammt von 2007. Worum es dabei ging, weiß Grodotzki nicht. Denn aus den Unterlagen des LKA Mecklenburg-Vorpommern ist der Eintrag längst gelöscht, nicht aber aus der Datei "politisch motivierte Kriminalität" des BKA.

Erinnern kann sich Grodotzki aber an eine Plakataktion der Umweltorganisation Robin Wood ein Jahr später in Frankfurt. Das Verfahren wegen Hausfriedensbruchs wurde damals von einem Amtsrichter mit einer "Verwarnung mit Strafvorbehalt" beendet - die niedrigste Sanktion, die das deutsche Strafrecht kennt. Trotzdem ist das Delikt in der Verbunddatei "politisch motivierte Kriminalität" mit einem Aussonderungsdatum im Mai 2023 versehen worden - ein Zeitraum also von 15 Jahren.

 

Delikt: "potenzielle Relevanz"

Grodotzki weist darauf hin, dass diese frühen Verfahren vor seinem Studium und vor Beginn seiner journalistischen Tätigkeit liefen. Journalistisch ist er erst seit 2012 tätig. In dieser Zeit wurden zwei Mal bei Protestaktionen seine Personalien festgestellt. Beide Male habe er daraufhin einen Anhörungsbogen beantwortet und seinen Presseausweis in Kopie geschickt, erzählt er dem ARD-Hauptstadtstudio. Danach habe er nie wieder etwas von den Behörden gehört und hielt die Sache für erledigt. Umso überraschter ist er nun, dass beide Vorgänge nun als "politische motivierte Kriminalität" abgespeichert worden sind.

Noch mehr irritiert ihn, dass er in den Jahren 2012-2014 vom LKA Niedersachsen in einer Datei "potenzielle Relevanz" gespeichert wurde. Nach Auskunft des niedersächsischen Datenschutzbeauftragten müsse für einen solchen Eintrag nicht einmal ein konkreter Tatverdacht vorliegen. Näheres könne der Betroffene aber erst auf Nachfrage beim LKA erfahren.

 

Die Spur führt in die Türkei

Die einzige Datei, die das BKA selber angelegt hat, betrifft ausgerechnet das besonders brisante Thema Türkei. Nach dem Entzug der Akkreditierungen hatten mehrere Betroffene den Verdacht geäußert, ausländische Geheimdienste hätten auf den Entscheidungsprozess Einfluss genommen. Die Bundesregierung hatte das wiederholt bestritten. Aus dem Eintrag geht nun hervor, dass Grodotzki vom BKA selber erst als Linksextremist eingestuft wurde, nachdem dieser im Oktober 2014 zusammen mit weiteren Journalisten im türkischen Diabakyir für kurze Zeit festgenommen wurde.

Ausführlich und ohne jede Einordnung zitiert der Eintrag die Vorwürfe der türkischen Behörden und stellt dann lediglich fest, dass "den Journalisten kein strafbares Handeln nachgewiesen" werden konnte. Schon im nächsten Satz heißt es dann aber: "In diesem (!) Zusammenhang wurde folgende Bewertung vorgenommen: Er ist als Angehöriger der linksextremistischen Szene und Umweltaktivist bekannt".

 

Schaar fordert Auskunft

Das BKA erwähnt eine offizielle Anfrage der türkischen Behörden, die allerdings aus rechtlichen Gründen nicht beantwortet werden durfte. Datenschützer Schaar sieht in dem Dokument den Beleg, dass der Verdacht türkischer Einflussnahme noch längst nicht ausgeräumt ist.

Er fordert nun vor allem zu zwei Fragen Auskunft: Zum einen möchte er wissen, wann der Vermerk angefertigt wurde: "Weil in dem Eintrag kein Datum genannt wird, kann das vor Jahren, Monaten oder auch erst vor Wochen oder Tagen gewesen sein." Zum anderen müsse geklärt werden, welche Angaben aus der Türkei im Verlauf des Vorgangs gespeichert worden seien.

 

"Gefährlicher Automatismus"

Für Professor Singelnstein weisen die Fragen an die Sicherheitsbehörden weit über den Fall der 32 Journalisten hinaus. Der Entzug der Akkreditierung zeige wie in einem Brennglas, "wie gefährlich der Automatismus ist, der durch die Eintragung in einer Datei entsteht und welche massiven Folgen eine solche haben kann".

Das gelte umso mehr, wenn auch Belanglosigkeiten oder unrichtige Vorwürfe Eingang in Dateien wie "gewaltbereite Straftäter" oder "politisch motivierte Kriminalität" fänden. Tatsächlich wurde einem der Journalisten kurz nach dem Gipfel vom Verteidigungsministerium auch die Akkreditierung zum Gelöbnis am 20. Juli im Bendlerblock verweigert. Eine Sprecherin des Ministeriums bestätigte entsprechende Recherchen des ARD-Hauptstadtstudios.

 

"Speicherung verletzt Verfassung"

Noch deutlicher wird der Datenschutz-Experte: "Wenn das als politische Kriminalität gespeichert wird, hat das stigmatisierende Wirkung", meint Peter Schaar. Das sei besonders kritisch, wenn die betroffene Person lediglich in Ausübung der Pressefreiheit an einer Demonstration teilgenommen habe. Die lange Speicherungsdauer widerspreche zudem verfassungsrechtlichen Vorgaben: "Das Bundesverfassungsgericht hat erst kürzlich festgestellt, dass hier sehr kurze Fristen gelten. Das beinhaltet die Verpflichtung, immer wieder zu prüfen, ob die Speicherung noch erforderlich sei - das kann ich hier überhaupt nicht erkennen."

 

Journalistenverband spricht von Skandal

Scharfe Kritik kommt auch von der Deutschen Journalistenunion: Es sei ein Skandal, dass mit dem Ruf und der Existenzgrundlage so umgegangen werde, heißt es in einer Erklärung. Für die noch ausstehenden Auskünfte an betroffene Journalisten verheiße das nichts Gutes.

Viele Kollegen von Boillot und Grodotzki sind untereinander im engen Austausch. Auch von ihnen sind schon viele gelegentlich bei einer Demonstration zwischen die Fronten geraten. "Das gehört zum Job eines Fotografen", meint ein Betroffener. Sie sind aber überzeugt, dass es auch bei Ihnen keine Belege für eine Einstufung als "Sicherheitsrisiko" gibt.

Einige sind sich sogar sicher, noch nie polizeilich auffällig geworden zu sein. Deren Auskünfte werden nun mit besonderer Spannung erwartet. Sie alle wollen um ihre Rehabilitierung kämpfen. Und sie wollen eine Entschuldigung von dem, der ihnen die Akkreditierung erst erteilt und dann wieder entzogen hat: Regierungssprecher Steffen Seibert.