Eingesperrte nach dem G20-Gipfel - Knast wegen schwarzen Schals

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Erstveröffentlicht: 
04.08.2017

Bisher hat die Hamburger Justiz 51 Haftbefehle gegen mutmaßliche Randalierer ausgestellt. Eine Anwältin spricht von politischen Motiven.

 

Es sind schwere Vorwürfe, die zwei Anwält*innen gegen die Hamburger Justiz erheben: Was die G20-Verfahren betreffe, sei in Hamburg die Unabhängigkeit der Gerichte nicht mehr gegeben. Es würden „politische Urteile“ gefällt, mit Rechtsstaatlichkeit habe das nichts mehr zu tun. Deshalb wollen sie versuchen, möglichst viele der Verfahren gegen diejenigen, die wegen der G20-Proteste in Haft sitzen, aus Hamburg rauszubringen. Sprich: vor das Verfassungsgericht. Die Anwältin Gabriele Heinecke hat vergangene Woche Verfassungsbeschwerde gegen den Haftbescheid ihres 18-jährigen Mandanten eingelegt. Dieser sitzt seit dem 7. Juli in Untersuchungshaft. Heinicke findet: ohne guten Grund.

 

Zum Stand der Ermittlungen gegen Domonstrant*innen will sich die Polizei nicht äußern. Die Sonderkommission „Schwarzer Block“ wertet seit dem 17. Juli Videomaterial aus und hat darüber hinaus die Bevölkerung um weitere Hinweise gebeten. Vor dem Innenausschusses sprach Polizeieinsatzleiter Hartmut Dudde am 19. Juli von bis dahin 345 Strafanzeigen im Zusammenhang mit G20. Diese Zahl, teilte ein Pressesprecher der taz mit, dürfte durch die Ermittlungen der Soko gestiegen sein.

 

Die Anzahl an Haftbefehlen jedoch legt nahe, dass die Ermittlungen nicht sehr erfolgreich sind. Ursprünglich wurden in 51 Fällen Haftbefehle ausgesprochen. Davon sind nur noch 33 in Kraft. Neun der Inhaftierten sind Deutsche, sechs Italiener*innen, drei Französ*innen, die restlichen kommen aus Russland, den Niederlanden, Österreich, Spanien, Ungarn, Senegal und Polen. Unter den Inhaftierten befindet sich auch der 27-jährige Deutsche, der mit einem Laserpointer versucht hatte, einen Hubschrauberpiloten zu blenden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm daraufhin versuchten Mord vorgeworfen. Mittlerweile lautet der Vorwurf nur noch „schwerer Eingriff in den Luftverkehr“.

 

Den anderen Inhaftierten wirft die Staatsanwaltschaft schweren Landfriedensbruch, versuchte gefährliche Körperverletzung, Widerstand und tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung oder Verstoß gegen das Vermummungsverbot vor, in den meisten Fällen mindestens zwei der Delikte. 

 

Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten


Dabei geht der Straftatsbestand „Tätlicher Angriff“ auf eine Gesetzesänderung vom 1. Juli zurück und dürfte dazu führen, dass die Strafen höher ausfallen, als es vor der Änderung der Fall gewesen wäre. Wer auf dem G20-Gipfel eine*n Polizist*in geschubst hat, muss mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten rechnen, egal ob der Beamte dabei verletzt wurde oder nicht.

 

Trotzdem dürfte es für die Staatsanwaltschaft schwierig sein, eine Tatbeteiligung im Einzelnen nachzuweisen. Die Beschuldigten wurden bei ihrer Verhaftung meist in Gruppen angetroffen, in deren Nähe Gegenstände wie Steine, Pyrotechnik, Vermummungsmaterial oder leere Flaschen gefunden wurde. Aber wer im Einzelfall geworfen hat, ist schwer zu beweisen.

 

Um jemanden aber in Haft zu behalten, muss es gute Gründe geben: Fluchtgefahr etwa, oder die Vermutung, der Beschuldigte könnte Beweise vernichten oder Spuren verwischen. Außerdem muss ein dringender Tatverdacht bestehen. „Nichts davon ist bei meinem Mandanten gegeben“, sagt Heinecke, die deshalb Verfassungsbeschwerde gegen die U-Haft ihres Mandanten eingereicht hat. Im Haftbeschluss des Oberlandesgerichts, der der taz vorliegt, steht sogar: „Eigenhändige Gewalthandlungen lassen sich dem Beschuldigten nach derzeitigem Ermittlungsstand nicht zuordnen.“

 

 

Stattdessen führt das Gericht Indizien an, die die Szenezugehörigkeit des 18-Jährigen belegen sollen, und macht ihn für die gesamten Ausschreitungen mitverantwortlich: „Der Beschuldigte hat die bürgerkriegs­ähnlichen Zustände mitverursacht“, schreibt das Gericht. Das ergebe sich aus der Festnahmesituation aus dem Schwarzen Block heraus. Tatsächlich erfolgte die Festnahme aber schon vor den schweren Ausschreitungen am Freitagabend.

 

Als Indizien für die Szenezugehörigkeit führt das Gericht außerdem die Kleidung des Festgenommenen an: Eine schwarze Gore-Tex-Jacke, ein schwarz-weißer Schal und dunkle Turnschuhe. Auch die Tatsache, dass auf der linken Internetplattform Indymedia ein Aufruf steht, dem 18-Jährigen und allen anderen G20-Gefangenen Solidaritätspost in den Knast zu schicken, führt das Gericht gegen den Beschuldigten an.

 

Ein Sprecher des Oberlandesgerichts gab zu, dass dies keine alltägliche Argumentation sei. Allerdings seien die Umstände ja auch nicht alltäglich. Den Vorwurf, politische Urteile zu fällen, wies er zurück: „Die Gerichte sind kein Spielball der Politik und entscheiden allein nach Recht und Gesetz.“

 

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