Einladung der Stiftung Lesen - AfDler sollen an Schulen vorlesen

Erstveröffentlicht: 
02.08.2017

Zum Vorlesetag an Schulen, in Bibliotheken und Kitas sollen AfD-Politiker kommen. Wie passt die Einladung zu der angesehenen Stiftung Lesen?

 

Die gemeinnützige und angesehene Stiftung Lesen wirbt auch umstrittene PolitikerInnen der AfD als VorleserInnen an, um sie für ihren bundesweiten Vorlesetag am 17. November an Kitas und Schulen zu vermitteln. In diesem Jahr erging an alle gewählten Landtagsabgeordneten, auch die der AfD, eine persönlich adressierte Einladung, am „größten Vorlesefest zwischen der Nordseeküste und den Alpen“ teilzunehmen. Die Stiftung Lesen bestätigte entsprechende Informationen der taz.

 

Unter den Adressaten sind auch der Landes- und Fraktionsvorsitzende der AfD im saarländischen Landtag, Josef Dörr, den der Bundesvorstand wegen seiner angeblichen Verbindungen in die Neonaziszene aus der Partei ausschließen lassen wollte, sowie sein Fraktionsgeschäftsführer Rudolf Müller. Der hatte für Schlagzeilen gesorgt, weil er in seinem Antiquitätengeschäft mit Nazidevotionalien und KZ-Geld gehandelt hatte.

 

Für den Vorlesetag vermittelt die Stiftung alljährlich unbekannte sowie prominente VorleserInnen aus Politik und Gesellschaft. In Bildungseinrichtungen, Bibliotheken und anderen Veranstaltungsorten treten sie vor allem vor Kindern auf, um für das Vorlesen zu werben. „Bei der Veranstaltungsplanung sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt“, so die Stiftung. Auf den Einladungen, die auch den AfD-PolitikerInnen zuging, heißt es: „Jeder Einsatz ist gefragt.“ Offenbar auch der von Menschen, die sich mit rassistischen und antisemitischen Äußerungen hervorgetan haben.

 

 

So nämlich steht auch der umstrittene AfD-Fraktionsvorsitzende aus Sachsen-Anhalt, Andrè Poggenburg, auf der Einladungsliste. Er wird dem völkischen Flügel seiner Partei zugerechnet und fordert von Kulturschaffenden „einen positiven Bezug zur Heimat“. „Helfen Sie dabei, Wucherungen am deutschen Volkskörper endgültig loszuwerden“, forderte er etwa. Gemeint waren damit linke Studierende an der Uni Magdeburg, die er als „linksextreme Lumpen“ bezeichnete. Was würde Poggenburg wohl in Kitas und Schulen vorlesen?

 

Auch der wegen seiner antisemitischen Äußerungen umstrittene Stuttgarter AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon ist eingeladen. Für ihn ist das Judentum der „innere“ und der Islam der „äußere Feind des christlichen Abendlandes“. Sein Buch trägt den Titel: „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“.

 

Björn Höcke gehört wie Poggenburg zum völkischen Flügel der Partei – am Vorlesetag könnte er demonstrieren, was er unter „identitätsstiftender Kulturpflege“ versteht. Gegen ihn ist wegen rassistischer Äußerungen ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet worden, doch er erhielt ebenso eine persönliche Einladung wie Jörg Meuthen, Frauke Petry und Marcus Pretzell.

 

Wie passt das Einladen von PolitikerInnen, die Vorurteile verbreiten oder rassistische und antisemitische Positionen vertreten, zu den Grundsätzen der Stiftung Lesen? Dort heißt es: „Sie (die Stiftung) schließt die Zusammenarbeit mit Parteien, Institutionen und anderen Gruppen oder Einzelpersonen, die antidemokratisches, rassistisches, fremdenfeindliches oder diskriminierendes Gedankengut vertreten oder verbreiten, aus.“

 

Partner der Stiftung beim Vorlesetag ist die Stiftung der Deutschen Bahn AG. In deren Grundsätzen heißt es: „Wir leben Solidarität mit Menschen am Rande der Gesellschaft, indem wir uns dafür einsetzen, Vorurteile abzubauen.“

 

NPD war immer ausgeschlossen 

 

Der Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Lesen, der frühere ZDF-Intendant Markus Schächter, erfuhr offenbar erst durch die taz von den Einladungen an die AfD-PolitikerInnen. Es gebe einen Vorstandbeschluss, nach dem alle gewählten Abgeordneten jenseits der NPD angeschrieben werden sollten, teilte Schächter schließlich mit. Kommentieren mochte er den Vorgang aber nicht.

 

Die Stiftung Lesen selbst erklärte der taz: „Wie in den vergangenen Jahren haben wir auch dieses Jahr alle gewählten Abgeordneten demokratischer Parteien im Bundestag und in den Landtagen auf den bundesweiten Vorlesetag hingewiesen. Jede Einrichtung entscheidet selbst, ob und mit welchen Aktionen und Personen sie sich beteiligen möchte. Ausgenommen von dem Hinweis auf den Vorlesetag war stets die NPD, da deren Parteiprogramm klar unseren Leitlinien widerspricht“.

 

Fast wortgleich antwortete der Zeitverlag. Die Wochenzeitung Die Zeit unterstützt den Vorlesetag als Medienpartner. In den Vorjahren druckte sie die lange Liste aller Namen der freiwilligen VorleserInnen ab. Der saarländische Bildungsminister Ulrich Comerçon, SPD, selbst Kuratoriumsmitglied der Stiftung, versicherte der taz immerhin: „Man kann keine Schule dazu zwingen, AfD-VertreterInnen einzuladen.“