Dresden. Vor dem Münchner Oberlandesgericht geht der Prozess um Beate Zschäpe gerade in die Schlussetappe, da macht der Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtags zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mal wieder von sich reden. Gestern präsentierte die Abgeordnete Kerstin Köditz (Linke) eine Art Zwischenbilanz des Kontrollgremiums – und sparte dabei nicht mit Kritik. Der Kernpunkt ihrer Aussage lautete: Eine erhebliche Anzahl der Akten sei als Verschlusssache deklariert und dürfe somit selbst im Abschlussbericht des Gremiums nicht auftauchen. „Diese Geheimniskrämerei verhindert die Aufklärung“, meinte Köditz. „Wenn sich die Behörden nach 2011 entschlossen hätten, reinen Tisch zu machen, brauchten wir eventuell gar keine U-Ausschüsse.“
Drei Themenkomplexe im Fokus
Das betrifft laut Angaben von Köditz rund ein Viertel der zusammen 1500 Aktenordner und macht die Arbeit im U-Ausschuss zäh. Drei Themenkomplexe stehen demnach aktuell im Zentrum. Dabei geht es zum einen um jene Vorgänge Anfang November 2011 in Zwickau, als das Wohnhaus in die Luft flog, in dem Zschäpe sowie den beiden Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untergetaucht waren. Dann geht es um die Serie von Banküberfällen ab dem Jahr 1998, bei denen der NSU insgesamt 500 000 Euro erbeutet hat. Und es geht – drittens – um die jahrelang erfolglose Suche nach dem Trio, laut Köditz der „Kern der Sache“.
Dahinter stehen gleich mehrere beinharte Vorwürfe, die sich zum einen um die merkwürdige Rolle der Geheimdienste drehen und zum anderen um die Unterstützer-Szene, das sogenannte Netzwerk hinter dem NSU. Hier ist Köditz eindeutig: „Der NSU war mehr als ein Trio“, meinte sie. „Es ist anzunehmen, dass es Unterstützer gibt, die bis heute niemand auf dem Schirm hat.“ Das betrifft nicht zuletzt das 2000 verbotene Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“ („Blut und Ehre“). Dieser extrem gewaltbereiten Szene werden Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe schon im Jena der neunziger Jahre zugerechnet.
Das Besondere daran aber betrifft eher Sachsen. Noch vor dem bundesweiten Verbot von „Blood & Honour“ hat sich die sächsische Kadertruppe abgespalten und war damit nicht mehr im Fokus der Ermittler. Ja, und mehr noch: Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Chef von „Blood & Honour“ als sogenannter V-Mann für den Verfassungsschutz gespitzelt hat. „Das ist mein finsterstes Loch“, sagte Köditz gestern, „da läuft’s mir eiskalt den Rücken runter.“ Schließlich sei der Geheimdienst ganz offensichtlich „immer mit dabei“ gewesen – auch bei der weiteren Radikalisierung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe in ihren sächsischen Jahren.
Für Köditz stärkt das die Annahme, dass es ist möglich gewesen wäre, das vermeintliche Trio schon frühzeitig zu fassen und so die Mordserie zu stoppen. „Dieser Kern“, sagte die Linke, „liegt hier, in Sachsen“. Wegen der Geheimniskrämerei allerdings sei es schwierig, Licht ins Dunkel zu bringen. „Wir stoßen, je näher wir dieser Sache kommen, auf immer stärkere Blockaden.“
Szene laut Köditz sehr gut vernetzt
Das soll sich nun, in der zweiten Hälfte des U-Ausschusses bis 2019, zumindest ein wenig ändern. So ist laut Köditz geplant, weitere leitende Verfassungsschützer zu vernehmen – und eventuell auch Zschäpe selbst. Diese habe bereits durchblicken lassen, dass sie einige Fragen eher vor einem U-Ausschuss beantworten wolle denn als Angeklagte vor Gericht. All das sei bitter nötig, meinte Köditz, zumal die Behörden noch immer nicht die entscheidenden Lehren aus dem NSU-Desaster gezogen hätten. „Die Szene ist besser vernetzt als der Verfassungsschutz“, die Ermittler hätten beim Thema Neonazi-Netzwerk „nichts dazugelernt“.
Dem NSU werden insgesamt neun Morde an Menschen mit ausländischen Wurzeln sowie einer Polizistin zur Last gelegt. Das Trio war Ende der neunziger Jahre zunächst in Chemnitz untergetaucht und hatte später in Zwickau Unterschlupf gefunden. Mundlos und Böhnhardt nahmen sich nach einem Banküberfall Anfang November 2011 in Eisenach das Leben.