Unterstützer des Kurses von Björn Höcke könnten laut einer Analyse in einer Bundestagsfraktion die Mehrheit stellen
Als es in Hamburg am Rande des G20-Gipfels Anfang Juli zu Ausschreitungen kam, da sah die AfD ihre Chance, mit dem Wahlkampfthema »Gewalt von Links« wieder in die Schlagzeilen zu kommen. Gleich fünf Pressemitteilungen zu den Ereignissen wurden von der Bundespartei innerhalb weniger Tage veröffentlicht. Spitzenkandidatin Alice Weidel meldete sich drei Mal zu Wort, auch Parteichefin Frauke Petry und Vorstandsmitglied André Poggenburg äußerten sich. Inhaltlich war das Gesagte erwartbar, in ihrer Kernaussage glichen sich die Äußerungen. Verkürzt lässt sich der Inhalt zusammenfassen: Alle sind wieder einmal Schuld am Untergang des Abendlandes - selbstverständlich mit Ausnahme der AfD.
Interessanter als die verbalen Schläge gegen politische Konkurrenten ist die Selbsteinschätzung, die die AfD mitliefert. Während Weidel Angela Merkel als »Extremismuskanzlerin« bezeichnete, sei die AfD »die einzige Partei, die uneingeschränkt bereit ist, Recht und Ordnung auch rigoros durchzusetzen«. Bei Poggenburg hieß es sogar explizit in einer Mitteilung: »Die AfD-Fraktion Sachsen-Anhalt tritt seit jeher entschieden gegen jede Form des Extremismus ein.«
Im Subtext will nicht nur Poggenburg den Wählern signalisieren: Die AfD sei nicht nur Partei einer nicht näher definierten »Mitte der Gesellschaft«, sie sei zugleich eine Partei des politischen Ausgleichs, die radikale Positionen ablehne, und, wie es Parteistratege Marc Jongen 2016 formulierte, die »Lobby des Volkes«.
79 Personen mit positivem Bezug zu Höcke und Poggenburg
Während die AfD also die Kanzlerin als politische Extremistin brandmarkt, sieht die Partei in ihren eigenen Reihen keinerlei kritische Entwicklung. Eine Analyse von Studierenden der Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum, die »nd« vorliegt, kommt zu einem anderen Schluss: Trotz anderslautender Beteuerungen baue der völkisch-nationalistische Flügel rund um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke sukzessive seine Vormachtstellung aus. Schafft es die Rechtsaußenpartei in den nächsten Bundestag, und danach sieht es derzeit aus, könnte es sich bei einer Mehrheit der AfD-Abgeordneten um Unterstützer des Höcke-Kurses handeln. Kernstück der Analyse bilden die von den 16 AfD-Landesverbänden aufgestellten Listen zur Bundestagswahl (Stand: Ende Mai 2017). Auf diesen finden sich laut Studie insgesamt 196 Kandidaten. Darunter ließen sich 79 Personen ausmachen, die »Höcke direkt unterstützen und Verbindungen zu anderen rechten Organisationen haben«. Dazu heißt es: »Trotz der Bemühungen der AfD, sich als bürgernahe Volkspartei darzustellen, zeigen sich auf den Landeslisten für die Bundestagswahl zahlreiche Verstrickungen von Parteimitgliedern in die extrem rechte Szene.«
Unter den 79 Kandidaten mit Bezug zu Höcke sollen sich auffallend viele Anhänger des sogenannten Flügels befinden, einer völkisch-nationalistischen Gruppierung innerhalb der AfD. Von sich Reden machte der »Flügel« im Jahr 2015 durch die »Erfurter Resolution«, die das Ziel formulierte, die Partei auf einen radikaleren einzuschwören. Parteichef Jörg Meuthen gab einmal an, der »Flügel« repräsentiere etwa 20 Prozent der AfD-Mitglieder.
Unter den Bundestagskandidaten finden sich außerdem Sympathisanten und Unterstützer der »Patriotischen Plattform«, einer weiteren AfD-Gruppierung, die zuletzt laut »Spiegel« zunehmend ins Blickfeld des Verfassungsschutzes geriet, weil deren Mitglieder durch »rechtsextreme Positionen« auffielen. Ein Kandidat mit Bezug zur »Patriotischen Plattform« ist deren Schriftführer Alexander Tassis, der zugleich Abgeordneter in der Bremischen Bürgerschaft ist. Eine seiner bekanntesten Provokationen war ein Vergleich zwischen Merkel, Adolf Hitler und Walter Ulbricht. Via Facebook erklärte Tassis im Juli 2016: »Merkel geht mit Hitler und Ulbricht [sic!] ein als eine der drei großen Schadensbringer zwischen 1933 und 2033.« Tassis selbst dürfte mit dem dritten Platz auf der Bremer Landesliste keine Chance auf einen Einzug in den Bundestag haben. Spitzenkandidat wurde dagegen Landeschef Frank Magnitz. Er selbst will sich innerhalb der AfD keinem Flügel zuordnen, wie er im März gegenüber der »taz« erklärte, doch die engen Verbindungen zwischen dem Bremer und dem Thüringer Landesverband sind kein Geheimnis. So trat Magnitz im Mai 2016 an der Seite Höckes bei einer Demonstration in Erfurt auf, an der neben der AfD auch zahlreiche Pegida-Anhänger teilnahmen.
Die rassistische Bewegung liefert das nächste passende Stichwort: Laut Analyse tummeln sich auf den Landeslisten mehrere Unterstützer von Pegida und Pegida-nahen Organisationen. Einer der bekanntesten Vertreter ist Jens Maier. Im Frühjahr dieses Jahres sorgte der Dresdner Richter für Schlagzeilen, weil er als Vorredner Höckes bei dessen bekannter »Denkmal-der-Schande-Rede« auftrat. Als Einpeitscher brachte er das Ballhaus Watzke zum Kochen, was ihm schließlich den Beinamen »Kleiner Höcke« einbrachte. Mit Sätzen wie »Ich erkläre hiermit diesen Schuldkult für beendet, für endgültig beendet« steht der Richter am Landgericht Dresden dem Thüringer Original ideologisch in nichts nach. Maier plädierte mehrfach dafür, die Grenzen zwischen AfD und Pegida einzureißen. Anfang Juni machte er Nägel mit Köpfen. Im direkten Anschluss an eine Pegida-Kundgebung hielt er auf dem Dresdner Altmarkt eine Rede. Formal waren beide Veranstaltungen getrennt, für den Beobachter war es ein Event. Maier indes konnte sich mit seinem Auftritt schon einmal für den anstehenden Bundestagswahlkampf warmreden. Auf Platz zwei der sächsischen Landesliste direkt hinter Petry gilt sein Einzug ins Parlament als sicher.
Ähnlich sieht es mit Siegbert Droese aus, der direkt dahinter folgt. Der sächsische AfD-Vizechef lehnt nicht nur vehement das von Petry forcierte Parteiausschlussverfahren gegen Maier ab, ähnlich wie der »kleine Höcke« suchte Droese in der Vegangenheit auch die Nähe zu Pegida. 2016 bezeichnete er die rassistische Straßenbewegung als »Bereicherung des politischen Diskurses« und bot den Schulterschluss an. Letztlich wurde er nur von seinem Leipziger Kreisverband zurückgepfiffen.
Petry-Unterstützer klar in der Unterzahl
Deutlich weniger ins Gewicht fallen dagegen jene 37 von 196 Kandidaten, die laut Analyse »mehr oder weniger eindeutig der gemäßigten Strömung der Partei« zuzuordnen sind. Dazu gehören im Wesentlichen Unterstützer von Parteichefin Petry und Personen, die ihren »Zukunftsantrag« auf dem Kölner Bundesparteitag Mai mittrugen. Wobei die Autoren der Analyse einräumen, dass der Begriff »gemäßigt« vorsichtig zu benutzen sei. Die Parteivorsitzende tätigte zurückblickend mehrfach Äußerungen, die auch aus den Reihen der Höcke-Unterstützer hätten stammen können. »Petry hat in der Vergangenheit vor allem mit ihrer Forderung, den Begriff ›völkisch‹ wieder positiv zu besetzen und die deutsche Außengrenze mit Waffengewalt zu verteidigen, für Aufsehen gesorgt«, heißt es in der Analyse. Die eigentlichen Flügelkämpfe verliefen weniger entlang ideologischer Grenzen, sondern teilten die Partei vielmehr in eine parlamentsorientierte und eine bewegungsorientierte Gruppe. Zu dieser Einschätzung kam kürzlich auch eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin und der Universität Kassel, die das Verhalten der AfD in den Landtagen untersuchte.
Die größte Unbekannte auf den Landeslisten ist jene Gruppe, die laut Analyse als die »Unauffälligen« bezeichnet werden. In diese Kategorie fallen in der Analyse 80 von 196 Kandidaten. Diese seien »bisher zu unauffällig und zu wenig in Öffentlichkeit und Medien präsent, als dass man ihre politische Ausrichtung in der Partei bewerten könnte«.
Völkische Nationalisten sichern sich vordere Listenplätze
Obwohl auf allen 16 Landeslisten das Lager der politisch noch schwer zu verortenden AfD-Kandidaten klar dominiert, gelang es den völkischen Nationalisten um Höcke und Poggenburg dennoch, sich in vielen Fällen aussichtsreiche vordere Listenplätze zu erkämpfen. Diese sind für den einzelnen Kandidaten auch dringend nötig, hatte die AfD in den Umfragen zur Bundestagswahl doch zuletzt deutlich an Zustimmung verloren und bewegt sich derzeit zwischen neun und sieben Prozent.
Während sich in der Gesamtheit aller Landeslisten keine »klare Dominanz der Rechten« abzeichne, sehe dies bei einer möglichen AfD-Bundestagsfraktion anders aus, heißt es in der Analyse. Auf Grundlage eines Wahlergebnisses von 8,5 Prozent sowie Schätzungen zu den erwartbaren Ergebnissen in den Ländern auf Basis aktueller Umfragen lässt sich abschätzen, wie sich die künftige Fraktion zusammensetzen könnte. Das Ergebnis alarmiert: Bei einem Zweitstimmenergebnis von 8,5 Prozent würde die AfD mit etwa 58 Abgeordneten in den Bundestag einziehen. Während dabei laut Analyse nur sieben Parlamentarier zum Lager der »Unscheinbaren« zählen würden, kämen die Gemäßigten auf 20 und die völkisch Nationalen auf 31 Mandate.
Möglich würde solch ein Ergebnis sowohl durch die klare Dominanz des Höcke-Flügels in einigen Landesverbänden, darunter in Thüringen und Sachsen-Anhalt, als auch durch den hohen Organisationsgrad der völkischen Nationalisten auf den jeweiligen Nominierungsparteitagen in den vergangenen Monaten. »Auch wenn die AfD immer wieder behauptet, die Rechten in der Partei wären Einzelfälle, kann bei einer genaueren Betrachtung der Listenkandidaten für den Bundestag von Einzelfällen kaum die Rede sein«, lautet das Fazit der Analyse. Parteitmitglieder, die dem Höcke-Lager zuzuordnen sind, seien letztlich auf allen Landeslisten zu finden. Gelingt der AfD der Einzug in den Bundestag, drohen sie die Mehrheit in der Fraktion zu übernehmen.