»Welcome to Hell«-Aktivist*innen im Gespräch darüber, wie sie linke Positionen auch durch Militanz weiterentwickeln wollen
Die Stadt Hamburg scheint sich auf ein Bürgerkriegsszenario vorzubereiten. Wie weit sind Sie, »Welcome to Hell«, mit Ihren Vorbereitungen?
Robin Baabe: Verschiedene Gruppen aus dem
Bündnis »Welcome to Hell« haben sich an den Aktionskonferenzen gegen den
G20-Gipfel beteiligt, teilweise auch bei AGs oder an der Pressearbeit.
Einer unserer Schwerpunkte ist die antikapitalistische Demonstration am
6. Juli. »Welcome to Hell« wird sich auch an den Blockaden am 7. Juli
beteiligen und einen autonomen Block auf der Großdemo am Tag darauf
stellen. Außerdem unterstützen wir die antikapitalistische
Campvorbereitung, da die Bereitstellung von Schlafplätzen ein
wesentlicher Faktor für den Erfolg der Proteste sein wird.
Wie bewerten Sie ein militantes Vorgehen gegen den G20-Gipfel?
Robin Baabe: In
sozialen Protestbewegungen gibt es immer auch eine militante
Perspektive, gerade in Hamburg, wo Projekte wie die Rote Flora oder die
Hafenstraße ohne Militanz heute nicht mehr existieren würden. Allen
Beteiligten der verschiedenen Protestspektren ist klar, dass sich
Gipfelproteste auf St. Pauli anders entwickeln werden als vielleicht in
Baden-Baden. Diese sollen ja, so das Ziel von »Welcome to Hell«, den
reibungslosen Ablauf des Gipfels stören, um ein unversöhnliches
Verhältnis gegenüber den herrschenden Verhältnissen zum Ausdruck zu
bringen.
Kim Berg: Es macht Sinn, sich die Erfahrungen anderer
Länder anzuschauen. Wenn belgische Gewerkschafter*innen demonstrieren,
werden erst einmal ein paar Autoreifen auf der Straße angezündet, um die
nötige Aufmerksamkeit zu haben. Sabotage wird von französischen
Gewerkschaften als uralte Form des Arbeitskampfes begriffen. In
Deutschland gibt es in solchen Spektren häufig immer noch ein etwas
verkrampftes Verhältnis zu direkten Aktionen. Wir wollen diese Haltung
ändern, wirksamer Protest darf sich nicht immer an die
Straßenverkehrsordnung halten. Denn gesellschaftliche Veränderung
entsteht nicht, wenn wir als Protestbewegung berechenbar und handzahm
sind.
Zum, wie Sie es nennen, »verkrampften deutschen Verhältnis zur direkten Aktion«: Bei militanten Aktivitäten im Vorfeld von G20 kam es ja bereits zu massiven Sachbeschädigungen. Haben Sie keine Bedenken, dass die Militanz in der Stadt abgelehnt wird?
Kim Berg:
Die bisherigen Sachschäden haben sich, denke ich, selbst vermittelt. Ich
bezweifle, dass viele Menschen abgebrannten Polizeifahrzeugen
nachweinen oder gezielt in Brand gesetzten Luxuswagen einiger
millionenschwerer Reeder und Investoren. Ich spüre da klammheimliche
Freude weit über die linksradikale Szene hinaus. Wäre der Kleinwagen vom
Nachbarn um die Ecke abgefackelt worden oder Menschenleben im Namen des
G20-Protestes bedroht worden, wäre das sicher anders.
Robin Baabe:
Es ist aber in der Realität auch noch nicht so viel gelaufen. Das muss
mensch mal nüchtern betrachten. Die Gewerkschaft der Polizei hat durch
die unrechtmäßigen Bezüge für ihre Funktionäre sicher noch mehr
Sachschaden angerichtet als die bisherigen drei, vier Brandanschläge und
einige Farbbeutel. Allerdings befeuert der Senat die Proteste im Moment
immens durch Demoverbotszonen und die Planung des Ausnahmezustandes
rund um den Gipfel. Das werden sich die Menschen hier nicht wehrlos
gefallen lassen.
Wie halten Sie es mit dem Vermummungsverbot?
Kim Berg: Wenn
es Menschen aus Ländern wie der Türkei oder Russland nach Hamburg
schaffen und hier demonstrieren, dann ist Zuhause unter Umständen ihr
Leben bedroht. Da stellt sich die Frage von Vermummung nochmal völlig
anders. Deshalb ist es wichtig, den Selbstschutz auf Demonstrationen
rund um den Gipfel als wichtiges Gut zu verteidigen – auch gegenüber der
Polizei.
Was zeichnet das Bündnis »Welcome to Hell« jenseits seiner spezifischen Haltung zum staatlichen Gewaltmonopol aus im Vergleich zu den anderen Bündnissen des G20-Protestes?
Robin Baabe: Wir
verstehen uns nicht als Politikberatung zur besseren Gestaltung des
globalen Kapitalismus, sondern wollen während des Gipfels unsere
radikale Kritik an den Verhältnissen zum Ausdruck bringen.
Wie formulieren Sie diese und an wen ist sie gerichtet?
Robin Baabe:
In unserem Aufruf weisen wir zum Beispiel auf die kapitalistische
Durchdringung der Welt hin: Rohstoffe werden importiert, Maschinen
exportiert. Der größte Teil der Wertschöpfung bleibt in wenigen Ländern,
die ihre Interessen und Absatzmärkte in angeblich humanitären Kriegen
militärisch absichern. Mit demselben humanitären Argument hat aber schon
das britische Empire sein Weltreich aufgebaut und dieses ist aufgrund
der zunehmenden Spannungen und Widersprüche zerfallen. So wird es
langfristig auch der scheinbar ewigen Ordnung des Kapitalismus ergehen.
Unmittelbar von den Repräsentanten der G20 fordern wir nichts,
stattdessen setzen wir auf einen weltweiten Widerstand, den wir auch
hier in Hamburg vorantreiben.
Heißt das, Sie wollen gar nicht die konkreten Verhältnisse in den G20-Ländern kritisieren?
Kim Berg:
Doch. Einer unserer Schwerpunkte wird sein, eine Kritik an den weltweit
erstarkenden autoritären Regimen wie in der Türkei zu formulieren.
Anscheinend muss das internationale Regime der Ausbeutung immer mehr
dadurch stabilisiert werden, dass autoritäre rassistische und
sexistische Lösungen nach innen propagiert werden. Diese Tendenz wird
auch aus der Mitte der Gesellschaft getragen, wenn von AfD über die CDU
bis zur SPD eine neue deutsche Leitkultur eingefordert wird.
Wenn es Ihnen nicht um schlagkräftige Forderungen gegenüber den G20 geht, woran werden Sie denn später den Erfolg der Proteste messen?
Robin Baabe: Den
messe ich weder in der Höhe des Sachschadens noch an der Größe der
Sitzblockade, sondern daran, ob es gelingen wird, mit Hilfe der
aktuellen Proteste linksradikale Positionen langfristig
weiterzuentwickeln.
Das »Welcome to Hell«-Bündnis
Kim Berg und Robin Baabe sind zwei Aktivist*innen vom »Welcome to Hell«-Bündnis, das sich für den Gipfelwiderstand gründete. Es ist eines von vier relevanten Protestbündnissen. In Hinblick auf die radikale Linke zeichnen Medien bereits am Schreckgespenst der Militanz. Gaston Kirsche hat Kim Berg und Robin Baabe für »nd« auf der Hamburger »Schanze« getroffen, um mit ihnen auch über die inhaltlichen Ziele ihres Bündnisses zu sprechen.