„das System, in dem wir leben“

Make Marxism Great Again! - Ankündigung eine Veranstaltungsreihe der Revolutionär Sozialistischen Organisation (RSO)

Oder: Warum die kapitalistische Produktionsweise nicht das Ganze ist

Die Revolutionär Sozialistische Organisation (RSO) führt z.Z. eine – nach dem Ankündigungstext zu urteilen – ziemlich interessante Veranstaltungsreihe (s. Bild zum Arti­kel) durch. Aber nicht darum soll es im Folgenden gehen, sondern um eine kleine Formu­lierung aus dem Ankündigungstext, die auch in vielen anderen linken Texten unterschiedli­cher Spektren stehen könnte: das System, in dem wir leben – nämlich de[r] Kapita­lismus –“. Ist „das System“, in dem wir leben, mit ‚der Kapitalismus’ wirklich richtig be­schrieben?

 

Sicherlich ist das ‚System’, in dem wir leben, auch kapitalistisch. Aber ist damit schon alles Wichtige gesagt? Oder wäre zumindest alles Weitere, das außerdem noch gesagt werden könnte, nur eine nähere Konkretisierung von ‚der Kapitalismus’? Oder fehlt vielmehr Ent­scheidendes?

Daß diese Fragen nicht auf einen bloßen Streit um Wörter hinausläufen, wird deutlich, wenn wir den kompletten Satz, aus dem die zitierte Formulierung stammt, lesen: „Um effektiv Widerstand leisten zu können, müssen wir das System, in dem wir leben – nämlich den Kapitalis­mus –, zuerst verstehen.“

 

 

A. Die RSO spricht im Akkusativ Singular mit bestimmtem Artikel von Kapitalismus („den Kapitalismus“) (Nominativ Singular mit bestimmtem Artikel: „der Kapitalismus“). Viele Linke sprechen von ‚dem Kapitalismus’. Karl Marx sprach dagegen nur sehr selten von „Kapita­lismus“.1

Im ganzen ersten Band des Kapitals (MEW 23) kommt das Wort „Kapitalismus“ – etwaige Digitalisierungsfehler außen vorgelassen – ausschließlich im redaktionellen Anhang und Register des Instituts für Marxismus-Leninismus der SED vor. Für den dritten Band (MEW 25) und für den zweiten Band des Kapitals (MEW 24) gilt – mit Ausnahme einer Stelle, an der Marx selbst von „Kapitalismus“ (24, 123) spricht – der gleiche Befund.

 

Marx selbst nennt das Objekt, das er so gründlich untersucht hat, „kapitalistische Produkti­onsweise“. Das Kapital beginnt mit den Sätzen: „Der Reichtum der Gesellschaften, in wel­chen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Waren­sammlung’, die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt da­her mit der Analyse der Ware.“ (MEW 23, 49)

Wir haben also zwei Analyseebenen: (1.) die kapitalistische Produktionsweise (im Singu­lar) und (2.) Gesellschaften – oder „Gesellschaftsformationen“ (wie Marx an anderen Stel­len sagt) – (im Plural), in denen diese Produktionsweise herrscht.

 

Dies erlaubt uns zwei Schlußfolgerungen:

 

1. Gesellschaften – oder genauer: Gesellschaftsformationen – können nicht auf die Pro­duktionsweise, die in ihnen herrscht, reduziert werden.

 

2. Wenn davon gesprochen wird, daß die „kapitalistische Produktionsweise herrscht“, dann schließt dies ein, daß es in den Gesellschaftsformationen die Marx im Auge hatte, noch weitere Produktionsweisen gab2.

 

 

B. Bevor wir auf unsere Ausgangsfrage, „Ist das ‚System’, in dem wir leben, als ‚der Kapi­talismus’ ausreichend beschrieben / adäquat bezeichnet?“, zurückkommen, ist es vielleicht nützlich, noch den Unterschied zwischen „Produktionsweise“ und „Gesellschaftsformation“ zu erläutern:

 

  • Den Begriff „Produktionsweise“ können wir durchaus im wörtlichen Sinne verste­hen: Eine Produktionsweise ist die Weise, in der er eine Gesellschaft produziert. Damit – in einer Gesellschaft – produziert werden kann, bedarf es ProduzentInnen (Arbeitskräfte) und Produktionsmittel (Rohstoffe und Werkzeuge).3 Arbeitskräfte und Produktionsmittel können wir in ihrer Gesamtheit „Produktivkräfte“ nennen4; inter­essant ist aber vielmehr das Verhältnis zwischen Produzentinnen und den Produkti­onsmitteln. Dieses Verhältnis nennt Marx die „Produktionsverhältnisse“5; die Pro­duktionsverhältnisse sind – abgesehen vom jeweiligen Niveau der Produktivkräfte – das Charakteristische für jede Produktionsweise.

    Für die kapitalistische Produktionsweise ist charakteristisch, daß (von Einzelfällen der Überschneidung oder Unklarheit der Klassenzugehörigkeit an dieser Stelle ab­gesehen) eine Klasse – die KapitalistInnen – die Produktionsmittel besitzen und eine andere Klasse – die Lohnabhängigen – keine Produktionsmittel besitzen. Im­merhin sind die Lohnabhängigen nicht nur frei von Produktionsmitteln, sondern auch frei, ihre Arbeitskraft als Ware an beliebige ProduktionsmittelbesitzerInnen gegen Geld (Lohn) zu verkaufen.

    In anderen Produktionsweisen sind die Produzentinnen durchaus nicht frei, ihre Arbeitskraft zu ver­kaufen. SklavInnen sind verpflichtet für ihreN EigentümerN6 zu arbeiten und können sich auch ihreN EigentümerIn nicht aussuchen (und besitzen ihrerseits auch keine Produktionsmittel).

    In der feudalen Produktionsweise besitzt die bäuerliche Klasse durchaus Produktionsmittel, weshalb die Angehörigen dieser Klasse nicht (ökonomisch) gezwungen sind, ihre Arbeitskraft als Waren an Andere zu verkaufen; sondern sie können auf ‚eigene Rechnung’ produzieren. Allerdings unterliegen sie politischen Abgabepflichten7 an die FeudalherrInnen – was übrigbleibt, reicht oft nur für das eige­ne Überleben, weshalb sie auch nur wenig Möglichkeiten haben, die von ihnen produzierten Produk­te als Waren an Dritte zu verkaufen.

  • Gesellschaftsformationen bestehen dagegen nicht notwendigerweise nur aus einer Produktionsweise, sondern in ihnen können mehrere Produktionsweisen – mit un­terschiedlichem Gewicht – nebeneinander existierenden.8

Graphik: Die Bedeutung der Produktionsweisen für die Gesellschaftsformationen

Pluralität von Produktionswei­sen

+

Dominanz einer von diesen über die anderen

erklärt →

widersprüchliche Komplexität der in jeder kon­kreten Gesellschaftsformation beobachtbaren empirischen Tatsachen

+

widersprüchliche Tendenzen + Geschichte der jeweiligen Gesellschaftsformation als deren Re­sultat

nach: Althusser 2012, 45 f. (s. im hiesigen Text FN 8)

Für eine – über Althusser hinausgehende – verbesserte Darstellung von Gesellschaftsformationen als Ganzes müßte zusätzlich noch die Einwirkung der Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse, die nicht (notwendiger­weise) in Form von Produktionsweisen organisiert, aber trotzdem materiell (Arbeitsteilung und Gewalt) und von gesellschaftsstruktureller Bedeutung sind (Patriarchat & Rassismus), auf die Produktionsweisen der Klassen­verhältnisse berücksichtigt werden.

    Allein ‚der Kommunismus’ (ein Singular, der vielleicht genauso problematisch ist, wie ‚der Kapitalismus’) besteht dagegen nur aus einer Produktionsweise – der kom­munistischen: Die Produktionsmittel gehören allen gemeinsam und es gilt das Prin­zip, „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (MEW 19, 21) Das heißt: Es wird freiwillig gearbeitet – aus Einsicht, daß nur konsumiert wer­den kann, was vorher produziert wurde – und die Freiwilligkeit des Arbeitens wird dadurch sichergestellt, daß der Konsum nicht durch Geld (d.h.: die zahlungsfähi­gen Bedürfnissen), sondern nach den Bedürfnissen als solches reguliert wird.

    Vor allem aber bezeichnet der Begriff „Gesellschaftsformation“ – anders als der Be­griff „Produktionsweise“ – nicht nur das, was wir vielleicht (siehe unten Abschnitt C.2.) spezifische „ökonomische Praxisformen“ nennen können9, sondern die Gesamtheit der „ökonomischen, politischen und ideologischen Praxisformen an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Entwicklungsstadium“10.

 

 

C. Warum ist nun aber die Differenzierung zwischen „Produktionsweise“ und „Gesell­schaftsformation“ wichtig und warum ist es unzutreffend, zu sagen, „das System“, in dem wir leben, sei ‚der Kapitalismus’?

 

Aus drei Gründen:

 

1. In der heutigen, hiesigen Gesellschaftsformation11 kommt die feudale Produktionsweise zwar nicht mehr vor; aber außer der kapitalistischen Produktionsweise existieren in be­stimmten Bereichen (z.B. Zwangsprostitution) Formen von Neo-Sklaverei; in anderen Keimformen (Open Source) der kommunistischen Produktionsweise – und vor allem exis­tiert außerdem noch die bisher gar nicht erwähnte häusliche Produktionsweise12.

 

a) Die häusliche Produktionsweise – der Begriff wurde von der französischen materialisti­schen Feministin Christine Delphy geprägt – unterscheidet sich

  • von der kapitalistischen dadurch, daß in ihr die Arbeitskraft nicht als Ware gegen Lohn getauscht wird (auch etwaige Unterhaltszahlungen sind nicht als Gegenleis­tung für die Hausarbeit konzeptioniert, sondern an Bedürftigkeit einerseits und Zah­lungsfähigkeit andererseits gekoppelt);

  • von der feudalen und der auf Sklaverei beruhenden Produktionsweise dadurch, daß im Rahmen der beiden zuletztgenannten die Aneignung der Arbeit nicht durch ro­mantische Liebe vermittelt13 ist;

  • von der kommunistischen dadurch, daß in der häuslichen – anders als in der kom­munistischen – Ausbeutung (Aneignung der Arbeit der – zumeist weiblichen – viel Hausarbeit leistenden Haushaltsmitglieder durch die – zumeist männlichen – wenig oder gar keine Hausarbeit leistenden Haushaltsmitglieder14) stattfindet.

 

b) Nach der Zeitverwendung-Statistik des Statistischen Bundesamtes für 2012/2013 (S. 11 – 14) verwandten diejenigen, die im Erhebungszeitraum 10 Jahre oder älter waren, im Durchschnitt

  • nur 2:43 Std.:Min. für Erwerbsarbeit (die niedrige Zahl klärt sich aus der Einbezie­hung von Jugendlichen, RentnerInnen, ‚Nur-Hausfrauen- und -männern‘ sowie Wo­chenenden) und weitere 0:32 Std.:Min. für Bildung und Qualifikation – also zusam­men knapp 3 1/4 Stunden,

  • aber 3:07 Std.:Min. für Haushaltsführung und Betreuung in der Familie und weitere für 14 Minuten für Ehrenamt und Unterstützung anderer Haushalte.

 

2. a) Das Materielle reduziert sich nicht auf das Ökonomische (im Sinne von Geldwirt­schaft) und die Produktionsweisen.15 Daher reduziert sich die materielle Relevanz von Pa­triarchat (und Rassismus) nicht auf die häusliche Produktionsweise; vielmehr modifizieren rassistische und sexistische Lohndiskriminierung und Arbeitsteilung in der konkreten ge­sellschaftlichen Wirklichkeit die ‚Reinform’ der kapitalistischen Produktionsweise.

Auch rassistische und sexistische Gewalt sind materiell, wenn auch nicht ökonomisch.

Zu jener Modifizierung und dieser Gewalt hat uns der Marxismus freilich wenig (und noch weniger: Sinnvolles) zu sagen; vielmehr bedarf es für deren Analyse und für die Entwick­lung von Strategien zu deren Überwindung der Ergänzung und – wo der Marxismus die Klassenverhältnisse vorschnell verallgemeinert oder schlicht männlich-bornierte Standpunkte einnimmt – auch Korrektur des Marxismus durch die feministische und anti­rassistische Theoriebildung und politische Praxis, wie sie seit Mitte/Ende der 1960er Jahre entwickelt wurden16.

 

b) Wir können und müssen uns mit der Festststellung begnügen, daß wir es mit drei materiellen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen – die (v.a. kapitalistischen) Klas­senverhältnisse; das patriarchale Geschlechterverhältnis und dem Rassismus – zu tun ha­ben, die die hiesige, heutige Gesellschaftsformation grundlegend prägen. Etwaige Versu­chen deren Gewicht zu quantifizieren (z.B. Aufrechnung von Vermögensunterschieden im Klassenverhältnis, die es aber auch z.B. zwischen den Geschlechtern gibt, gegen sexuelle und rassistische Gewalt) scheinen mir wenig tragfähig zu sein.

Ich würde daher die Hypothese, daß von den drei genannten Herrschafts- und Ausbeu­tungsverhältnissen das kapitalistische das dominierende sei, durch die These von einem ungefähren Gleichgewicht oder durch eine Null-Hypothese ersetzen wollen.

 

3. Der der kapitalistischen Produktionsweise entsprechende Überbau ist besser als „bür­gerlich“ denn als „kapitalistisch“ zu bezeichnen. Denn der politische und ideologische Überbau der kapitalistischen Produktionsweise funktioniert seinerseits – anders als diese Produktionsweise – zu erheblichen Teilen nicht nach dem Prinzip des Warentauschs.

 

 

D. Aus alle dem folgt:

 

Die heutige, hiesige Gesellschaftsformation ist allein als „kapitalistische“ nicht adäquat be­zeichnet; ihre materielle Basis ist vielmehr vor allem kapitalistisch, patriarchal und rassis­tisch strukturiert; ihr Überbau rassistisch, patriarchal und bürgerlich.

 

 

PS.:

Hinsichtlich der verschiedenen Formen von Produktionsweisen seien außer den schon genannten noch er­wähnt:

erwähnt. – Als „asiatische Produktionsweise“17 bezeichnet Marx eine auf Gemeineigentum an Böden und Be­wässerungsanlagen beruhende Form – mal mehr ‚väter-demokratisch’ (gemeinsame Herrschaft der Familienväter), mal mehr autokratisch-despotisch (Alleinherrschaft eines Stammvaters) akzentuierte Form – patriarchaler Herrschaft.18 Die herrschende Klasse, die sich das Mehrprodukt aneignet, kann eine Aristokra­tie oder eine Bürokratie sein.

 

 

Literatur:

Althusser, Louis: Über die Reproduktion. Ideologie und Ideologische Staatsapparate, 2. Halbband, VSA: Hamburg, 2012.

Godelier, Maurice: Stichwort „Ökonomische Gesellschaftsformation“, in: Labica/Bensussan a.a.O., Bd. 5, 1986, 941 - 645.

Labica, Georges / Bensussan, Gérard (Hg.): Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Bd. 1 - 8, Argument: [West]berlin, 1983 - 1989.

Lefebvre, Jean-Pierre: Stichwort „Produktivkraft“, in: Labica/Benussan, a.a.O., Bd. 6, 1987, 1065 - 1071.

Seib, Günter: Glossar, in: Nicos Poulantzas, Politische Macht und gesellschaftliche Klas­sen, Äthenäum Fischer: Frankfurt am Main, 19752, 358 - 365.

Wolf, Frieder Otto: What ‘capitalism’ is, what it means to be against it, and what it will take to end it: Some remarks to prevent a renewal of blind alleys, unveröff. Typoskript, 2006.

ders.: Vorgreifen! Philosophische Retraktationen zu Kapitalismus, Staat und Politik – er­neute Annäherungen an die großen Themen der Zukunft (2009), in: ders., Rückkehr in die Zukunft – Krisen und Alternativen, Westfälisches Dampfboot: Münster, 2012, 294 - 365.

ders.: Nachwort 2010/2011: Die ‚Rückkehr des Staates‘, die Intersektionalität der Kämpfe, das Gemeinsame der Neuen Zeit und die Suche nach gemeinsamen Perspektiven, in: ebd., 366 - 424.


1Marx has very rarely referred to something called ‘capitalism’. Apparently, he reserved this expression for two occa­sions only: for a journalistic reference to the present enemy and state of affairs the labour movement was confronted with, and for looking back to this present state of affairs from the anticipated point of view of a future liberated society.

The central theoretical concept he has elaborated should be clearly distinguished from this ‘journalistic’ or ‘reflective’ concept: When in the opening phrase of Das Kapital Marx refers to the general object of his enquiry he uses the expres­sion of the ‘capitalist mode of production’ and puts it in a relation of ‘domination’ with regard to some ‘societies’ – as we know from other formulations by Marx, he is here talking about ‘modern bourgeois societies’: ‘within the societies domin­ated by the capitalist mode of production’(Wolf 2006, 1)


2 Ich schreibe „gab“, weil nicht sicher ist, daß die Gesellschaftsformationen, die Marx im Auge hatte, heute noch existie­ren. Ich komme in FN 11 auf das Problem zurück.

 

3 Eine Produktionsweise ist „die Einheit dessen, was Marx als Produktivkräfte bezeichnet, auf der einen und der Produktionsverhältnisse auf der anderen Seite“ (Althusser 2012, 46)

 

4 Produktivkraft [bzw. vielmehr: „-kräfte“] = „Produktionskapazitäten einer Gesellschaftsformation (in diesem Sinne stets im Plural), zu denen die Gesamtheit der Arbeitskräfte und der Produktionsmittel eines Landes oder einer bestimmten Epoche gehören“ (Lefebvre 1987, 1065 [Definition 2.]; der Artikel stellt den schwankenden Sprachgebrauch von Marx und Engels dar, der die Produktivkräfte manchmal auch auf die Produktionsmittel zu reduzieren und manchmal diesen Begriff (im Singular) mit dem der Produktivität gleichzusetzen scheint).

 

5 „Die spezifische ökonomische Form, in der unbezahlte Mehrarbeit aus den unmittelbaren Produzenten ausgepumpt wird, bestimmt das Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnis, wie es unmittelbar aus der Produktion selbst hervorwächst und seinerseits bestimmend auf sie zurückwirkt. Hierauf aber gründet sich die ganze Gestaltung des ökonomischen, aus den Produktionsverhältnissen selbst hervorwachsenden Gemeinwesens und damit zugleich seine spezifische politi­sche Gestalt. Es ist jedesmal das unmittelbare Verhältnis der Eigentümer der Produktionsbedingungen zu den un­mittelbaren Produzenten [...], worin wir das innerste Geheimnis, die verborgne Grundlage der ganzen gesellschaftli­chen Konstruktion […] der jedesmaligen spezifischen Staatsform finden.“ (MEW 25, 799 – alle Hv. von mir)

 

6 Auch Frauen konnten – zumindest in einigen – antiken Gesellschaften Herrin von SklavInnen sein.

 

7 Das Vorhandensein eines Mehrprodukts ist omnihistorisch; allein die Art und Weisevia Markt/Warentausch oder mit­tels politischer oder persönlicher Gewalt oder via Liebe – und die Subjekte (die individuellen ProzentInnen selbst, indivi­duelle Dritte oder die Gesellschaft als Ganze) der Aneignung des Mehrprodukts (das seinerseits abstrakt-ideell [z.B. aus einer Musikaufführung {vgl. MEGA II.3.2, 443, 445 ≈ MEW 26.1, 127, 128: Clown, Schriftsteller} oder der Sicherheit, die eine proletarische Miliz schafft, resultierend] oder stofflich-konkret [aus dem Backen einer Schokotorte resultierend] sein kann) sind produktionsweisen-spezifisch.

 

8 Lenin verwendet „den Ausdruck ‚obščestvenno-ekomičeskaja formacija’, um die verschiedenen im russischen Reich koexistierenden Produktionsweisen zu beschreiben, die Spuren der alten russischen Dorfgemeinschaft (des mir) und der alten Feudalverhältnisse, die Produktionsweise der Bauern und der unabhängigen Handwerker, den Industriekapitalis­mus in Baku usw.“ (Godelier 1986, 944. Angemerkt sei, daß Godelier eine andere Lesart des Begriffes als Lenin vertritt.)

Die „Pluralität von Produktionsweisen innerhalb jeder Gesellschaftsformation sowie die jeweils gegenwärtige Herrschaft einer Produktionsweise über diejenigen Produktionsweisen, welche noch abgebaut werden oder sich erst konstituieren, ermöglichen es, die widersprüchliche Komplexität der in jeder konkreten Gesellschaftsformation beobachtbaren empiri­schen Tatsachen zu erklären, sowie die widersprüchlichen Tendenzen, die in ihr aufeinandertreffen und aus denen sich deren Geschichte ergibt“ (Althusser 2012, 45 f. – vgl. Graphik im Haupttext).

 

9 Vgl. Seib 1975, 363: „Die Produktionsweise ist der zentrale Begriff der ökonomischen Praxis innerhalb der Theorie ei­ner Gesellschaftsformation.“ (meine Hv.)

 

10 „Eine Gesellschaftsformation ist das komplexe Ganze, das die ökonomischen, politischen und ideologischen Praxis­formen an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Entwicklungsstadium umfaßt.“ (Seib 1975, 360 – meine Hv.)

 

11 Ich drücke mich so kompliziert („heutigen, hiesigen Gesellschaftsformation“) aus, weil ich – an dieser Stelle (um den Text nicht länger als nötig zu machen) offenlassen möchte –, ob der „bestimmte Ort“ der „hiesigen Gesellschaftsformati­on“ von den Grenzen des Nationalstaats „Bundesrepublik Deutschland“ oder vielleicht eher von den Grenzen der Euro­zone oder der Europäischen Union markiert wird. –

Zur Zeit von Marx dürften die Grenzen der Gesellschaftsformationen dagegen noch weitgehend mit den Grenzen der Nationalstaaten zusammengefallen sein.

Auch dürfte es – wenn auch nicht auf der Ebene der (kapitalistischen) Produktionsweise, deren charakteristischen Merk­male feststehen und keinem Stadienwechsel unterliegen, so doch auf der Analyseebene der Gesellschaftsformation – z.B. sinnvoll sein, zwischen frühkapitalistischen, fordistischen und neoliberalen Gesellschaftsformationen zu unterschei­den (vgl. diesbzgl. zur Differenzierung zwischen den beiden Analyseebenen [Produktionsweise – Gesellschaftsforma­tion]: Wolf 2010/11, 378 mit FN 26, 397 f., 399 und 2009, 315, FN 51; 318, FN 58)

Das heißt: Das Preußen und die ersten Jahre des Deutschen Reiches der Zeit von Marx waren andere Gesellschaftsfor­mationen als z.B. das nationalsozialistische Deutsche Reich, die fordistische Bundesrepublik und der gemeinsame Bin­nenmarkt des Maastricht-Vertrages mit seinen politischen Überbauten (falls denn letzterer [Zeit]Raum [= EU-Binnen­markt] hinreichend viele Gemeinsamkeiten aufweist, um ihn als eine Gesellschaftsformation zu bezeichnen).

 

12 Siehe zum Folgenden meinen Kommentar im Blog von systemcrash: https://systemcrash.wordpress.com/2017/05/14/elemente-der-linken-diskussionen-um-stategien-und-basisorganisierung/#comment-5824 (Mai 17, 2017 um 5:58 pm).

 

13 Vgl. dazu den Aufsatz von Gisela Bock und Barabara Duden, von dem ich bisher auch nur den Titel kenne: Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit. Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus, in: Annemarie Tröger (Hg.): Frauen und Wis­senschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen. Juli 1976, Courage: Berlin, 1977, 118 - 199.

 

14 Vgl. dazu: „Patriarchat bedeutet z.B. millionenfache unentlohnte (daher: kein Fall von Kapitalismus!) Aneignung von Frauenhausarbeit durch Männer.“ (https://linksunten.indymedia.org/de/comment/view/170331) und dazu wiederum: https://linksunten.indymedia.org/de/comment/view/171093 [insb. Nr. 2.b)] und dazu schließlich wiederum: https://linksunten.indymedia.org/de/node/164505 (Abschnitt IV.).

 

15 Insoweit zutreffend: „Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment der Ge­schichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andererseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung“ (MEW 21, 27 f.).

 

18 „die Gemeinschaftlichkeit innerhalb des Stammwesens [kann] mehr so erscheinen, daß die Einheit in einem Haupt der Stammfamilie repräsentiert ist oder als die Beziehung der Familienväter aufeinander. Danach dann entweder mehr despotische oder demokratische Form dieses Gemeinwesens.“ (MEW 42, 386 – meine Hv.)