Zum wiederholten Male hat die Alternative für Deutschland (AfD) am Wochenende Medienvertreter von einem Parteitag ausgeschlossen. Der Hamburger Staatsrechtler Ulrich Karpen sieht die Grenze des Verfassungswidrigen erreicht. Der 78-Jährige ist emeritierter Rechtswissenschaftler und saß von 1991 bis 2001 für die CDU in der Hamburger Bürgerschaft.
Die AfD schließt immer wieder Medienvertreter von ihren Versammlungen aus. Im Januar musste die Presse beim Parteitag in Baden-Württemberg draußen bleiben. Am Wochenende tagte die niedersächsische AfD in Hannover hinter verschlossenen Türen. Ist das rechtens?
Ulrich Karpen: Wenn die AfD immer wieder ohne Nennung von triftigen Gründen die Öffentlichkeit ausschließt, ist die Grenze des Verfassungswidrigen erreicht. Eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht hätte dann gute Chancen. Denn eine Partei kann die Öffentlichkeit nicht einfach ausschließen. Sie muss begründen, warum.
Worauf berufen Sie sich bei dieser Einschätzung?
Karpen: In Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es, dass Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und ihre innere Struktur demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Ein Kernpfeiler der Demokratie ist die Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeitspflicht gilt für Parteien also kraft Grundgesetz. Es müsste schon einen besonderen Grund geben, Pressevertreter von Parteitagen auszuschließen. Das Grundgesetz ist an dieser Stelle eindeutig.
Welche Gründe sind gewichtig genug, um die Öffentlichkeit auszuschließen?
Karpen: Das können vor allem persönliche Gründe sein. Wenn der Parteitag etwa über die Eignung eines Kandidaten debattiert und dabei auf mögliche Krankheiten, Affären oder außereheliche Kinder zu sprechen kommt, könnten das Gründe sein, die Presse auszuschließen. Ein gesteigertes Interesse an der Vertraulichkeit der Vorgänge muss aber zwingend nachgewiesen werden.
Bei dem Parteitag der Afd in Hannover wurden zunächst interne Streitigkeiten ausgetragen. Dabei ging es um den Vorsitzenden Paul Hampel, gegen den einige AfD-Mitglieder rebelliert hatten. Kritiker werfen ihm einen autoritären Führungsstil und eine zu große Nähe zum rechtsextremen Rand vor. Sind diese Konflikte Grund genug, die Öffentlichkeit auszuschließen?
Karpen: Ganz und gar nicht. Gerade an den Streitigkeiten hat die Öffentlichkeit ein hohes und berechtigtes Interesse. Schließlich helfen sie, eine Partei, ihre unterschiedlichen Strömungen und Positionen einzuordnen. Am Machtkampf zwischen CSU-Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel nimmt die Öffentlichkeit schließlich auch teil. Es reicht im Übrigen auch nicht, anschließend in einer Pressekonferenz über den Parteitag Auskunft zu geben. Die Journalisten haben ein Recht auf Informationen aus erster Hand.
Bei welchen Versammlungen darf die Presse ausgeschlossen werden?
Karpen: Bei Vorstands- und Präsidiumstreffen, bei denen strategische Entscheidungen getroffen werden, bleibt die Presse ausgeschlossen. Auch Ausschüsse des Bundestages und Bundesrates dürfen im Geheimen tagen.
Im Parteiengesetz ist der Umgang mit der Öffentlichkeit nicht klar geregelt. Warum nicht?
Karpen: Parteien wirken zwar von der Gesellschaft in den Staat hinein. Es handelt sich aber um Körperschaften des privaten Rechts, nicht um Staatsorgane. Deswegen hat sich der Gesetzgeber gescheut, die Rolle der Öffentlichkeit im Parteiengesetz zu verankern. Das Grundgesetz ist aber, wie gesagt, klar.
Der Ausschluss der Öffentlichkeit von Parteitagen ist bisher nicht als Problem aufgetreten. Parteien haben eigentlich ein großes Interesse an Berichterstattung. Muss das Parteiengesetz nach den Vorfällen mit der AfD überarbeitet werden?
Karpen: Wenn sich die AfD als Geheimbund erweist, der stets hinter verschlossenen Türen verhandelt, müsste das Parteiengesetz überarbeitet werden.
In den USA verwehrt Donald Trump bestimmten Medien regelmäßig den Zugang zu Pressekonferenzen. Auch die AfD hat bereits selektive Verbote für Pressevertreter ausgesprochen. Ist das rechtens?
Karpen: Das geht überhaupt gar nicht. Eine Meinungskontrolle durch den gezielten Ausschluss unliebsamer Medien ist nach Artikel 5 im Grundgesetz verfassungswidrig.
Immer wieder spricht die AfD von "Pinocchio-Presse" und "Lügenpresse". Der Vorsitzende der Niedersachsen-AfD nannte Journalisten am Wochenende "Maulwürfe". Ist das nicht eigentlich Verleumdung und damit strafbar?
Karpen: Die Presse insgesamt kann nicht verunglimpft werden. Wer aber bestimmte Medien verbal angreift - so wie es US-Präsident Trump etwa mit der "Washington Post" getan hat - macht sich im Zweifel strafbar. Der Verunglimpfte kann dann einen Strafantrag stellen und Schadensersatz fordern.