Spätestens der NSU-Prozess hat gezeigt, wie geschickt sich Neonazis in die Gesellschaft integrieren. Oft kaufen oder mieten sie Immobilien von zum Teil nichtsahnenden Bürgern und nutzen sie für ihre Zwecke. Neben Thüringen gilt Sachsen bundesweit als eine der Schwerpunktregionen.
von Jennifer Stange, MDR AKTUELL
"Unentdeckte Nachbarn" hieß das internationale Theatertreffen, das sich Anfang November in Chemnitz künstlerisch mit dem NSU und seinen Folgen beschäftige. Genau in der Zeit wurde einer der Austragungsorte, das Kulturzentrum Lokomov, mit Sprengkörper angegriffen. Es war der Höhepunkt einer ganzen Serie von Vorfällen dieser Art in der Nachbarschaft des Stadtteils Sonnenberg.
Für Jens Paßlack vom Mobilen Beratungsteam Chemnitz liegt die Vermutung nahe, dass die lokalen beziehungsweise stadtteilbezogenen Neonazistrukturen dahinter stecken. Spannend sei, dass offensichtlich der Ermittlungsdruck seitens der Polizei deutlich zugenommen habe: "Seitdem hat sich diese Gruppe, rechtes Plenum nennt sie sich, deutlich zurückgenommen."
Größte Dichte in Chemnitz
Die Gruppe gründete sich 2015. Sie veröffentlichte Propaganda-Videos, hielt vergleichsweise offen Treffen und Schulungen ab und zeigte ganz bewusst Präsenz im Chemnitzer Stadteil Sonneberg. Organisierte Nazis mit einer neuen Strategie, sagt Paßlack: "Dass sich zum Teil auch zugezogene Personen in gemeinschaftlich bewohnten Häusern neu ansiedeln und versuchen, sehr dominant die Stadtteilöffentlichkeit zu beeinflussen."
Eine neue Generation, die versucht, Raum zu erobern. Während die Generation Neonazis der neunziger Jahre – diejenigen, die beispielsweise aufgrund von Kontakten zum Terror-Trio als Zeuge im Prozess gegen Zschäpe geladen waren – längst etabliert seien.
"Indem sie sich wirtschaftlich eigene Standbeine aufgebaut haben. Und sie haben mittlerweile auch Eigentum an Häusern. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal von Chemnitz", so Paßlack. "Es ist halt so, dass dort die größte Dichte an Vertriebsstrukturen besteht, die mit Nazidevotionalien handelt. Seien es Tonträger oder Klamotten."
Auch kommunale Orte als Treffpunkte genutzt
Verkauft werden sie in zwei einschlägigen Läden in der Stadt. Einer davon liegt ausgerechnet in der Nähe einer Schule. Insgesamt drei Objekte zählt das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz in Chemnitz. Das geht aus einer parlamentarische Anfrage der linken Abgeordneten Kerstin Köditz im sächsischen Landtag hervor.
Sachsenweit hat der Geheimdienst 45 Objekte auf der Liste, die 2016 von Rechtsextremisten genutzt wurden. Ein Plus von 17 Objekten im Vergleich zum Vorjahr. Stärksten Zuwachs hatte demnach Dresden mit insgesamt zehn Treffpunkten, gefolgt vom Vogtlandkreis mit fünf Szenetreffpunkten. Abgeordnete Köditz glaubt, das sei nur die Spitze des Eisbergs:
Wir reden derzeit viel über Vernetzung seitens der Naziszene über die sozialen Netzwerke. Und ich glaube, das darf man einfach nicht unterschätzen, was gerade diese Objekte für Vernetzung, für Absprachen, für Gruppen, Zusammengehörigkeitsgefühl an Bedeutung haben.
Kerstin Köditz, Linke
Um so verwunderlicher, dass dem Verfassungsschutz zufolge drei der genannten Treffpunkte kommunales, also öffentliches Eigentum sind. Dort befinden sich Gaststätten, die Neonazis 2016 als Treffpunkt nutzten. Angaben zum jeweiligen Ort macht der Verfassungsschutz nicht. Das Innenministerium verweist in seiner Antwort auf Geheimhaltungsinteressen der Behörde.