Die Skatstadt ist in den Schlagzeilen, seit Wochen, seit Monaten. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Alles dreht sich dabei um ein Thema: Rassismus gegen Theaterleute. Im Vorfeld des kulturpolitischen Dialogs, zu dem OB Michael Wolf (SPD) am 14. März eingeladen hat, fassen wir die Geschehnisse und Fakten noch einmal zusammen.
Altenburg. Die Skatstadt ist in den Schlagzeilen, seit Wochen, seit Monaten. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Alles dreht sich dabei um ein Thema: Alltagsrassismus in Altenburg. Der Tenor nahezu aller Berichte in Funk, Fernsehen und Print: Eine Stadt – leer, ziemlich verfallen und vor allem braun. Denn rassistische Anfeindungen gegen ausländische Schauspieler des Landestheaters hätten selbige veranlasst, ihre Engagements zu kündigen und die Stadt zu verlassen. Der Vorsitzende des Deutschen Bühnenvereins Ost und Intendant des Hans-Otto-Theaters Potsdam, Tobias Wellemeyer, sah darin gar „einen Ausdruck kultureller Zurückgebliebenheit in einer kleinstädtisch-provinziellen Situation“. Angesichts dieser bis dato nicht gekannten Berichterstattungswelle hat der Altenburger Oberbürgermeister Michael Wolf (SPD) am Dienstagabend (14. März) zu einem kulturpolitischen Dialog eingeladen. Im Vorfeld der Veranstaltung fasst die OVZ Geschehnisse und Fakten noch einmal zusammen.
Am Anfang war ein Brief
Begonnen hat alles Ende November vergangenen Jahres mit einem Brief des Theater-Intendanten Kay Kuntze und des kaufmännischen Geschäftsführers Volker Arnold an die Gesellschafter und den Aufsichtsrat der Theater GmbH. „Aufgrund von verbalen Angriffen, ihre Hautfarbe und Sprache betreffend, haben sich Ensemblemitglieder verschiedenster Nationalitäten entschlossen, ihren Vertrag mit Theater & Philharmonie Thüringen nicht zu verlängern oder ihren Wohnort zu verlagern. Viele von ihnen sind mehrere Jahre an der Bühne in Ostthüringen engagiert und haben mit ihrem Können und ihren Talenten zu den Erfolgen des Theaters beigetragen. Aber jetzt ist für sie eine Toleranzgrenze überschritten.“ Kuntze und Arnold appellieren darin deshalb an Politiker aller Ebenen, sich für eine Basis einzusetzen, auf der Künstler aller Nationen angstfrei gemeinsam arbeiten können.
Der Brief, datiert vom 22. November 2016, war eigentlich nur für den internen Gebrauch bestimmt und referierte den Inhalt einer Aufsichtsratssitzung. Doch die im Geraer Stadtrat sitzende Piratenpartei stellte ihn Heiligabend auf Facebook online.
So paukenschlagartig die Meldung deutschlandweit einschlug und sich über alle großen, namhaften Medien verbreitete, so überraschend traf sie die, um die es ging: die drei in Altenburg lebenden Schauspieler Quelgo Téné aus Burkina Faso, Katerina Papandreou aus Griechenland und Öykö Oktay aus der Türkei sowie – in der Berichterstattung meist „unterschlagen“ – den in Gera verorteten Tenor Thaisen Rusch, einen aus Sri Lanka stammenden Sänger mit deutschem Pass. Denn nach Aussagen von Schauspieldirektor Bernhard Stengele hatte die Theaterleitung die Betroffenen über das Schreiben und den Inhalt nicht informiert.
Anfangs suchten sie alle Zuflucht im Schweigen, verweigerten sich jedwedem Interview. Für Rusch ziemlich einfach, da er bereits ab 1. Januar nicht mehr zum Musiktheaterensemble gehörte. Als der Druck zu groß wurde, setzten Téné, Papandreou und Oktay eine gemeinsame Erklärung auf, in der sie ihre Beweggründe und Empfindungen schildern. Die Theaterleitung lehnte es jedoch ab, das Statement zu veröffentlichen. Begründung: Das Haus habe bis dato keine Pressemitteilung zu dem Thema verschickt, das nur durch eine Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangte. Die Schauspieler schickten daraufhin allen, die sie auf Facebook zur Situation anfragten, die Erklärung zu.
Wer musste was und wo erleben?
Was konkret passiert war, schilderten die drei indes auch darin nicht. Sie wollen nicht in eine Opferrolle gedrängt werden, so die Begründung. Durch Gespräche und diverse Interviews, die sie dann doch gaben, ist bislang so viel bekannt: Betroffen von fremdenfeindlichen Attacken waren vor allem Quelgo Téné und Thaisen Rusch – allein ihres Aussehens wegen. Téne wurde sowohl mehrfach verbal („Neger“ oder „Geh zurück in den Busch“) als auch einmal auf dem Nachhauseweg vom Theater unmittelbar vor seiner damaligen Wohnung in der Heinrich-Heine-Straße von mehreren jungen Männern umringt und tätlich attackiert. Stengele kennt den Vorfall.
Als die Angreifer gemerkt hätten, dass er mit der Polizei telefonierte, ließen sie von ihm ab. Der Aufforderung, auf die Wache zu kommen und Anzeige zu erstatten, sei der 32-Jährige aber nicht nachgekommen. Er habe Angst gehabt, an diesem Abend das Haus noch einmal zu verlassen. Und er sei vorbelastet, weiß der Schauspieldirektor: Das Letzte, was man in Burkina Faso bei einem Problem rufe, sei die Polizei. Téné suchte sich eine neue Wohnung ganz in der Nähe des Theaters. Er selbst möchte darüber nicht reden. „Es ist nur etwas, was ich persönlich erlebt habe“, sagt er. Und: „Ich renne nicht vor dem Rassismus weg. Ich brauche nur eine Pause“. Im Sommer geht Quelgo Téné nach Basel.
Gera wird meist „unterschlagen“
Thaisen Rusch ist da ein wenig offener. Kleinere Alltagsdiskriminierungen wie böse Blicke beim Einkaufen oder offenkundige rassistische Beleidigungen in der Gaststätte, zum Arbeitsweg unmittelbar vor dem Theater („Du siehst scheiße aus.“) oder im Zug von Leipzig nach Gera („Neger im Viehtransporter“) hätten sich in letzter Zeit gehäuft, sagt er in einem Interview mit einer Zeitschrift, die die Gewerkschaft Deutscher Bühnenangehöriger herausgibt. Er habe die heftigsten Zwischenfälle chronologisch in sein Tagebuch notiert. Von polizeilichen Anzeigen habe er jedoch ebenfalls abgesehen, da erfahrungsgemäß „die Verfolgung solcher Zwischenfälle eher selten bleibt“. Deshalb habe er sich entschieden, seinen Vertrag mit dem Altenburg-Geraer Theater über den Sommer 2017 hinaus nicht zu verlängern. Dass es Weihnachten 2016 zu einer vorzeitigen Vertragsauflösung kam, habe andere Gründe. Nennen möchte er sie auf Nachfrage nicht. Ab Sommer hat der Sänger ein neues Engagement am Theater Augsburg.
Da Thaisen Rusch in Gera lebte, mutet es für Schauspieldirektor Bernhard Stengele schlichtweg grotesk an, dass sich nahezu alle Rassismusvorwürfe und Recherchen auf Altenburg konzentrieren und der Geraer Rathaussprecher die Stadt mit der Begründung, Rusch sei ja im Zug angepöbelt worden, nicht einmal betroffen sieht.
Es gibt nicht nur einen Grund
Für Katerina Papandreou und Öykö Oktay stellt sich die Situation etwas anders dar. Sie sind nicht auf den ersten Blick als Ausländerinnen erkennbar. In einem Geschäft sei der Türkin mal beschieden worden, sie solle erst einmal richtig deutsch lernen. Oder man habe so getan, als ob man sie nicht verstehe. „Dennoch macht die Fremdenfeindlichkeit vielleicht fünf Prozent meiner Motivation aus, hier wegzugehen. Eigentlich gehe ich, weil mir dieser Ort auf die Dauer zu klein ist“, sagte sie in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“. Sie will im Sommer nach Istanbul zurück.
Ähnlich ist es bei Katerina Papandreou. Auch sie hat einen deutlichen Stimmungsumschwung ausgemacht. Als sie vor drei Jahren als Gast zum ersten Mal zu einer Theaterinszenierung nach Altenburg kam, seien sie und ihre ausländischen Kollegen von der Bevölkerung herzlich und mit offenen Armen empfangen worden, was sich seit der Flüchtlingskrise aber deutlich verändert habe. „Der Alltag in dieser Stadt macht mich manchmal traurig. Aber deshalb gehe ich nicht weg. Ich gehe, weil mir die Stadt nicht lebendig genug ist“, sagt sie und träumt davon, einmal in Berlin zu arbeiten.
„Kein Nazi-Nest“
Nach dem ersten gemeinsamen Projekt „Die Frauen von Troja“ hätten wildfremde Leute die Schauspieler, als sie in einem Eiscafé auf dem Markt saßen, angesprochen und ihnen auf die Schulter geklopft, bestätigt Bernhard Stengele aus eigener Erfahrung. „Jetzt werden sie an gleicher Stelle scheel angesehen.“ Und Quelgo haben nach dem ersten Jahr seines Engagements die Kinder im Altenburger Freibad das Schwimmen beigebracht, weil sie diesen tollen Typ aus dem Weihnachtsmärchen kannten. „Heute fühlt er sich nur noch am Theater wohl.“
Dennoch ist Stengele über die seiner Meinung nach einseitige Berichterstattung entsetzt. „Es gibt rassistische Anfeindungen, aber sie sind nicht der alleinige Grund, dass die Schauspieler gehen“, sagt er. So schließt der Schauspielchef nicht aus, dass auch sein eigener, für den Sommer angekündigter Weggang die Entscheidung der drei, die er ja in sein internationales Ensemble geholt hat, beeinflusst habe. Auch spielten bei Katerina und Öykö ihre große Solidarität mit Quelgo keine unbedeutende Rolle. „Aber bei allen Problemen, die es gibt: Altenburg ist kein Nazi-Nest“, sagt er.
Am Dienstagabend (14. März) sollen im Altenburger Rathaus Einwohner und Gäste der Stadt miteinander ins Gespräch kommen. Es geht um das Spannungsfeld von Rassismusvorwürfen und Imageproblemen in der Skatstadt. Oberbürgermeister Michael Wolf (SPD) hat zu diesem kulturpolitischen Dialog eingeladen. Beginn ist um 19.30 Uhr.
Von Ellen Paul