Gewalt gegen Polizisten: Nutzlose Gesetze

Erstveröffentlicht: 
09.03.2017

Georg Restle: „Gewalt gegen Polizisten. Mit diesem Video hat die Gewerkschaft der Polizei eine Kampagne gestartet, in der es um besseren Schutz von Polizeibeamten geht. Die Frage ist nur: Wie soll das gehen? Nach Meinung von Justizminister Heiko Maas vor allem mit einer Verschärfung des Strafrechts. Drakonische Strafen bei Angriffen gegen Polizeibeamte. So sieht es ein Gesetzentwurf vor, der noch diesen Monat vom Bundestag verabschiedet werden soll. Klingt entschieden. Die Frage ist nur: Bringt das überhaupt was? Und ist die Lage wirklich so dramatisch wie Bundesregierung und Polizeigewerkschaften immer wieder behaupten? Jochen Taßler und Nikolaus Steiner.“


Anfeindungen. Gewalt. Alltag für Polizisten in Deutschland. Und es werde immer schlimmer. So jedenfalls stellt es die Polizei dar. Und der Justizminister geht mit:

Heiko Maas (SPD), Bundesjustizminister, 17.02.2017: „Wir haben in den letzten Jahren festgestellt, dass tätliche Angriffe, gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte insbesondere, permanent zunehmen.“

Die Regierung will nun das Strafrecht verschärfen und Gewalt gegen Polizisten härter bestrafen, begründet mit der steigenden Zahl der Angriffe. Aber steigt die Zahl überhaupt? Alle Annahmen zu Gewalt gegen Polizisten basieren auf der Polizeilichen Kriminalstatistik. Die aber bildet nicht die tatsächliche Kriminalität ab. Sie zählt Ermittlungsverfahren. Das kann zu Übertreibungen führen, auch eingestellte Verfahren werden mitgezählt. Dennoch, laut der Statistik haben die Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt im Vergleich zu 2008 nicht zu-, sondern abgenommen. Diese Zahlen nennt die Bundesregierung aber nicht. Sie bezieht sich auf die Opferzahlen. Die liegen etwa dreimal so hoch, auch weil Polizisten oft in Teams unterwegs sind. Dann werden häufig alle als Opfer gezählt. Auch wenn nur einer angegriffen wurde.

Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): „Im Jahr 2015 sind mehr als 64.000 Polizisten Opfer von Straftaten geworden.

Dr. Johannes Fechner (SPD): „Das sind über 170 pro Tag.“

Heiko Maas (SPD): „Wir haben mittlerweile jedes Jahr über 60.000 Angriffe.“

Aber um was für Angriffe geht es dabei? Der genaue Blick auf die offiziellen Zahlen zeigt: Mehr als zwei Drittel der angegriffenen Polizisten wurden Opfer von so genannten Widerstandshandlungen oder Bedrohungen. Im Wesentlichen sind das Bagatelldelikte. Gewalt ist hier meist nicht im Spiel. Gewalttaten werden gesondert ausgewiesen. Vorsätzliche einfache Körperverletzung etwa. Oder gefährliche und schwere Körperverletzung. Gewalttätig angegriffen werden insgesamt also deutlich weniger Polizisten als von der Regierung dargestellt. Und hier sind die Versuche mitgezählt. Opfer von vollendetem Totschlag oder Mord gab es laut Statistik 2015 übrigens nicht.

Rita Steffes-enn, Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung: „Bei den Fällen, die angezeigt werden, haben wir eine Zunahme von den einfacheren Straftaten, die also minderschwerer sind, zum Beispiel Beleidigungen, Bedrohungen, einfache Körperverletzungen. Wohingegen wir bei den schwerwiegenderen Straftaten wie zum Beispiel vollendeter gefährlicher Körperverletzung oder aber auch den Tötungsdelikten, versuchten Tötungsdelikten, da haben wir einen durchaus drastischen Rückgang teilweise zu verzeichnen.“

Prof. Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg: „Wenn wir nüchtern das Material betrachten, ist für Alarmstimmung und für eine Hysterie eigentlich kein Platz. Nur, was wir beobachten ist tatsächlich, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik nicht mehr die materielle Grundlage bildet, sondern sich der Diskurs um Gewalt gegen Polizeibeamte verselbstständigt, das heißt, er ist moralisch geworden. Es ist eine gefühlte Gewalt, die interpretiert wird, die gemeint ist, und eben keine statistisch nachweisbare mehr.“

Trotzdem reagiert der Gesetzgeber mit voller Härte. Mindestens drei Monate Gefängnis soll künftig bekommen, wer einen Polizisten tätlich angreift. Als „tätlicher Angriff“ gilt dabei jede aktive Handlung gegen den Körper des Polizisten. Wie harmlos sie auch sein mag. Soll jemand zum Beispiel von Polizisten abgeführt werden und schlägt dabei im Reflex den Arm des Polizisten weg, wären das mindestens drei Monate Haft. Genauso, wenn jemand, der in einen schmerzhaften Polizeigriff genommen wird, nicht ruhig bleibt, sondern versucht, sich zu befreien. Dabei muss er den Polizisten nicht einmal treffen. Der Versuch würde schon reichen für drei Monate Haft. Ist man mindestens zu zweit, wäre eine relativ harmlose Widerstandshandlung, ohne Schmerzen für den Polizisten, sogar sechs Monate Mindeststrafe wert. Zum Vergleich: Eine Mindeststrafe von sechs Monaten sieht das Gesetz sonst nur für schwerste Straftaten vor: für gefährliche Körperverletzung etwa, für Zwangsprostitution oder sexuellen Missbrauch von Kindern.

Prof. Tobias Singelnstein, Ruhr-Universität Bochum: „Die Schuld des Täters auf der einen Seite und die Strafe, die der Staat auf der anderen Seite dafür androht, müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen. Und wenn das Schubsen eines Polizeibeamten mit drei Monaten Mindeststrafe bedroht wird, dann ist das aus meiner Sicht nicht mehr angemessen, sondern außerhalb jeglicher Relation.“

Die Verschärfung solle den „spezifischen Unrechtsgehalt“ eines Angriffs auf Polizisten deutlich machen, heißt es in der Begründung des Entwurfs. Schließlich verdienten gerade Polizisten „besonderen Schutz“. Genau den werde die Gesetzesverschärfung aber nicht bringen, glauben Experten. Zum einen sieht das Strafrecht jetzt schon harte Strafen für Körperverletzung vor. Zum anderen zeigen die Täterprofile, dass höhere Strafen gerade bei Straftaten gegen Polizisten kaum abschreckend wirken.

Rita Steffes-enn, Zentrum für Kriminologie und Polizeiforschung: „Die meisten Polizeikräfte werden durch einen bestimmten Tätertypus verletzt. Und da gibt es bestimmte Kriterien, die auffallend sind. Das eine ist männlich, dann haben wir überwiegend Deutsch, überwiegend alleine handelnd. In rund der Hälfte der Fälle ist Alkohol im Spiel, und dann sind sie jung, das heißt unter dreißig. Und was wir wissen, aus Rückfallforschung heraus, ist dass das genau der Tätertypus ist, bei dem Abschreckung am allerwenigsten wirkt.“

Einiges, was die Politik zuletzt auf den Weg gebracht hat, könnte wirklich helfen: Mehr Beamte, um die Belastung zu reduzieren. Bessere Ausrüstung oder Körperkameras, gerade bei riskanten Einsätzen. Lohnen würden auch Initiativen zur Verbesserung der Ausbildung, etwa mehr Deeskalationstraining, um Polizisten auf Konflikte vorzubereiten. Sinnvolle Maßnahmen, von denen es mehr bräuchte. Anders als die geplante Strafrechtsverschärfung gibt es das aber nicht umsonst.

Georg Restle: „Schärfere Gesetze, die nichts kosten und genauso wenig bringen. Juristen nennen so etwas „symbolisches Strafrecht.“