Bluten für die Bruderschaft: Ein Aussteiger aus einer schlagenden Verbindung berichtet

Erstveröffentlicht: 
07.03.2017

„Als Erstes decken sie die Gemälde ab, weil das Blut überall hinspritzen kann", legt Hans gleich mal mit einer plastischen Beschreibung los. „Ich habe viele Duelle gesehen und, verdammt nochmal, da floss eine Menge Blut." Weil Hans Angst vor Repressalien hat, will er anonym bleiben und heißt natürlich anders. Außerdem besteht er darauf, dass wir nicht den Namen seiner schlagenden Verbindung in Heidelberg nennen. „Das ist nichts für die Öffentlichkeit", so Hans weiter. „Darum gibt es auch keine Videos von Duellen."

 

Die geheimen Fechtkämpfe, die von einer kleinen Anzahl von studentischen Verbindungen in Deutschland (und einigen anderen europäischen Ländern) organisiert werden, sind das Überbleibsel einer ehemals weit verbreiteten Praxis namens Mensur. Bei der Mensur treten sich zwei männliche Mitglieder unterschiedlicher Studentenverbindungen, die ‚Paukanten', mit scharfen Waffen gegenüber. Erste Duelle gab es schon im 16. Jahrhundert. „In der Vergangenheit durften nur Adlige Waffen tragen. Weil aber so Studenten auf ihren Reisen leicht überfallen werden konnten, erlaubte der König auch ihnen das Tragen von Waffen. Die haben sich natürlich gefreut und schon bald gab es erste Duelle."


In der Vergangenheit gab es viele tödliche Unfälle, in der Regel durch Herz- oder Lungentreffer. Auch der Verlust von Augen, Nasen oder Ohren war nichts Außergewöhnliches. 1566 hat beispielsweise der berühmte Astronom Tycho Brahe durch das Schwert eines anderen Studenten seine Nase verloren. Aufgrund der vielen Verletzungen wurden Schutzanzüge und ein spezieller Augenschutz, die sogenannte ‚Mensurenbrille', eingeführt. „Wenn aber die Waffe unter das Nasenblech rutscht, wird sie trotzdem schwer in Mitleidenschaft gezogen. Das ist nicht so angenehm. Außerdem kannst du auch Teile deiner Kopfhaut verlieren. Ich habe Typen schon ohnmächtig werden sehen", behauptet Hans.


„Wenn das Gesicht verletzt ist", erklärt er weiter, „wird der Kampf unterbrochen, um die Wunden ohne Betäubung zu nähen. Ein Arzt ist auch immer dabei. Es wird mit möglichst wenig Stichen genäht, weil es bei einem Duell um die Ehre geht. Der Mann mit den meisten Stichen verliert. Manchmal sieht man riesige Wunden, die mit nur zwei oder drei Stichen genäht werden. Das lässt die Narbe noch größer werden. Früher war es Usus, die Wunde aufzureißen oder mit Rosshaar zu bedecken, damit sie sich infiziert und noch größer wird. Für Männer aus der vornehmen Gesellschaft war es wichtig, im Gesicht eine Narbe zu tragen."


Dass bei diesen Duellen wirklich besser ein Arzt zugegen ist, beweist ein Blick auf die Internetseiten des Corps Marchia. Dort räumt man das „Risiko einer Schnittwunde am Kopf" ein. Übrigens ist das studentische Fechten, trotz aller Gefahren, nicht verboten – solange der sportliche Aspekt im Vordergrund steht und es nicht im Rahmen von sogenannten Ehrenhändeln stattfindet, wie der Bundesgerichtshof im Göttinger Mensurenprozess 1953 bestätigte. Und obwohl das Fechten zu gefährlichen Körperverletzungen führen kann, ist es nicht strafbar, weil die Paukanten zuvor ja eingewilligt haben.

 

Und selbst wenn die Waffe doch mal im Gesicht landet, sind die dabei entstehenden Narben nichts, worüber sich die Studenten Sorgen machen müssen. Ganz im Gegenteil. Denn die sogenannten „Schmisse" gelten nicht nur als Zeichen von Mut, sondern sollen außerdem aphrodisierend wirken. „Schon früher sagte man: Mit einer Narbe im Gesicht kriegst du mit Sicherheit eine Frau ab", erklärt mir Hans, „Und je schlimmer es aussieht, desto besser ist es für die Frau." Eine Studie aus dem Jahr 2009, erschienen in der Zeitschrift Personality and Individual Differences, stützt diese Behauptung. Darin fanden die Wissenschaftler heraus, dass Frauen Männer mit Narben im Gesicht für kurzfristige Beziehungen bevorzugen.


Mensuren-Duelle würden häufig dann zustande kommen, wenn einer der Studenten seine Visitenkarte zückt und sie seinem Gegenüber reicht, erklärt mir Hans. Zudem würde es auch nicht an Gelegenheiten mangeln, sich Feinde zu machen. „Brüderschaften organisieren regelmäßig Trinkwettbewerbe gegeneinander, bei denen gekotzt wird. Neben den Tischen stehen dafür extra Eimer. Und wenn Leute betrunken sind, kommt es schnell mal zu Beleidigungen."

 

Auch wenn Hans nicht mehr dazu sagen will, scheint es ganz so, als würden vielen Duellen also doch Beleidigungen und damit Ehrverletzungen zugrunde liegen – was ja laut BGH eigentlich verboten wäre.


Nach einjähriger Probezeit erlangte Hans das Recht auf Mensuren. Schnell folgte sein erstes Duell. „Mehrfach haben sich unsere Schläger verhakt. Mein Gegner hat mir dann mit der flachen Seite der Klinge auf den Kopf geschlagen. Sich dabei zu bewegen, ist nicht erlaubt. Ich war aber ein bisschen erschrocken und habe kurz gezuckt. Alle meinten zu mir, dass so etwas ehrlos sei. Selbst wenn man den Treffer kommen sieht, muss man ihn wie ein Mann nehmen. Nach fünf Treffern ist die erste Runde beendet. Abhängig vom Duell gibt es 25 oder 30 Runden. Nachdem ich mich auch in der zweiten Runde bewegt hatte, haben sie mich aus dem Duell genommen. Der eine meinte dann zu mir: ‚Um deine Ehre wieder reinzuwaschen, musst du in noch einem Duell antreten.' Ich habe daraufhin meinen Hut genommen."


„Sie sagen, es geht nicht ums Gewinnen. Es geht darum, für seine Brüderschaft einzustehen. Sie sagen, Ehre sei wichtig, aber wen interessiert das heute noch? Ich habe zwar in den Augen der Brüderschaft meine Ehre verloren, aber damit kann ich leben."


Georg, Mitglied der renommierten Corps Marchia Berlin-Brüderschaft, hat zum Thema Mensuren eine andere Meinung. Für den Jurastudenten geht es bei den Duellen um Selbstüberwindung. „Natürlich ist man nervös", gibt er zu. „Viele haben sogar richtig Angst. Aber sie entscheiden sich trotzdem dafür – und lernen dadurch, mit Extremsituationen besser umgehen zu können. Ihren Mann zu stehen und es durchzuziehen, weil sie wissen, dass sie es können. Das ist das Wichtigste daran."