Mit Mietverträgen, in denen Rechte und Pflichten klar formuliert sind, will Leipzig die Wagenplätze aus der Illegalität holen. Die Landesdirektion warnt vor den Folgen. Schafft die Stadt damit Rechtssicherheit oder ebnet sie dem Rechtsbruch Tür und Tor?
Leipzig. Sie nennen ihre Kommunen „Wildwuchs“ oder „Jetze Wagenplätze“. Die Namen sind Programm. Es dürften wohl schon mehrere hundert Leipziger sein, die sich gegen steingemauerte vier Wände und für ein Leben im Wagen und im Grünen entschieden haben. Doch diese Wohnform kollidiert zu oft nicht nur mit bestehenden Konventionen, sondern auch dem Recht. Der Stadtrat versucht sich jetzt an einer Lösung dieses Konfliktes, die aber nicht unumstritten ist – und mittlerweile auch die Rechtsaufsicht auf den Plan gerufen hat.
„Uns ist es wichtig, Rechtssicherheit auf beiden Seiten zu schaffen“, sagt CDU-Stadtrat Achim Haas. Ausgerechnet die CDU, die in der Vergangenheit gern mal gegen „Wagenburgen“ motzte, setzt sich nun dafür ein, dass die Kommune Mietverträge mit den bislang nur geduldeten Gemeinschaften abschließt und diese somit legalisiert. „Wir haben nichts gegen alternative Lebensformen“, betont Haas. Es müsse nur alles in geordnete Bahnen kommen. Am Mittwoch soll der Stadtrat über den Vorschlag beschließen.
„Bislang wissen wir doch gar nicht, wer dort im Einzelnen wohnt, ob es schulpflichtige Kinder gibt. Wir wollen auf diese Weise auch vermeiden, dass illegal Strom bezogen oder Müll verbrannt wird“, erläutert der CDU-Politiker. Die Bewohner von Wagenplätzen, die sich auf städtischen Grundstücken befinden, sollen demnach einen Verein gründen und einen Vertrag mit der Stadt abschließen. „Wir nehmen damit die Bewohner der Wagenplätze in die Pflicht“, sagt Haas. Darin enthalten seien Auflagen etwa zur Strom- und Wasserversorgung, zur Abwasser- und Abfallentsorgung, zum Brandschutz und zur Meldepflicht. Es würden konkrete Ansprechpartner benannt. Und für den Fall, dass Vereinbarungen verletzt oder die Nachbarschaft etwa durch Lärm terrorisiert werde, reklamiere die Stadt ein Sonderkündigungsrecht für sich. „Das wird Signalwirkung haben“, ist Haas überzeugt.
Allerdings in die falsche Richtung, befürchtet Nicole Wohlfahrt. Die SPD-Stadträtin hat mächtig Bauchschmerzen mit dem Plan. Für sie ist die Besetzung öffentlicher Flächen – und so haben im Grunde alle Wagenplatz-Kommunen mal angefangen – schlicht inakzeptabel. Nur einmal, im Jahr 2015, ließ die Stadt eine in Paunsdorf über Nacht entstandene Wagensiedlung räumen. Das Dilemma: Wagenplätze liegen in einer juristischen Grauzone. Selbst die Baubehörde räumt ein, dass sie für die Kommune sehr schwierig zu handhaben sind, da das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht diese Wohnform nicht kennt.
„Es ist weniger als eine rechtliche Grauzone“, sagt hingegen Wohlfahrt. „Ich habe erhebliche Zweifel an einer Verpachtung von städtischen Grundstücken zu Wohnzwecken, wenn das aus baurechtlichen Gründen gar nicht zulässig ist. Und das ist bei den Wagenplätzen der Fall.“ Während beispielsweise jeder Häuslebauer – ob er will oder nicht – sein Grundstück ans öffentliche Abwassernetz anschließen muss, bestehe der Anschlusszwang für Wagen-Siedlungen nicht. Wohlfahrt sieht darin keine stringente Stadtpolitik. „Wir drohen einerseits den Senioren der Amalie in Paunsdorf die Räumung an, weil ihre Wohnanlage baurechtlich dort nicht zulässig ist“, sagt sie, „andererseits unternimmt die Stadt bei den Wagenplätzen, die ebenfalls unzulässig sind, nichts.“
Im vergangenen Jahr schloss die Stadt bereits einen Mietvertrag mit einer Wagenplatz-Kommune ab. Die Vereinbarung mit dem Verein „Wildwuchs“ über ein 2902 Quadratmeter großes Geländes an der Saarländer/Alte Salzstraße in Kleinzschocher soll nun Pilotcharakter haben. 61 Cent pro Quadratmeter zahlt die Wagenplatz-Kommune pro Jahr dafür an die Stadt.
Aufgrund mehrerer Beschwerden hat sich inzwischen die Landesdirektion den Fall genauer angeschaut und daraufhin bei der Stadt „die Einhaltung des öffentlichen Baurechts angemahnt“, wie ein Sprecher der Rechtsaufsicht erklärt. Die Behörde hat erhebliche Zweifel. „Insbesondere der Verstoß gegen den Baugenehmigungsvorbehalt und die wohl fehlende bauplanungsrechtliche Zulässigkeit“ erscheint ihr von Bedeutung. Denn die Stadt stößt mit diesem Präzedenzfall ein Tor für weitere Wagenplätze weit auf. Andere Grundstückseigentümer könnten danach „ebenfalls ohne Abklärung der baurechtlichen Belange“ private Grundstücke einfach an Wagenplatz-Gruppen vermieten. Selbst an Orten, wo es möglicherweise der Stadt gar nicht passt. Mit den Mietverträgen allein, so ist die Landesdirektion überzeugt, löst die Stadt das Problem nicht. Sie müsse vielmehr die erforderlichen baurechtlichen Verfahren durchführen. Die Stadtverwaltung habe der Landesdirektion inzwischen mitgeteilt, so der Sprecher, „dass sie die Rahmenbedingungen für eine rechtlich vertretbare Lösung derzeit gutachterlich prüfen lässt“.
Von Klaus Staeubert