Nach der Dresdner Rede pochte die AfD-Vorsitzende auf den Parteiausschluss des Rechtsauslegers. Dabei steht sie ihm geschichtspolitisch nahe, wie ein abenteuerlicher KZ-Vergleich zeigt.
Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad!“, hat Björn Höcke im Januar in seiner berüchtigten Dresdner Rede gefordert. Schluss mit der „Pflicht zur Selbstauflösung“, mit der „lähmenden Vergangenheitsbewältigung“, mit dem „Mies- und Lächerlichmachen“ der deutschen Geschichte. Ein Aufruf zum großen Vergessen, zum Hinwegsehen über den Holocaust und zu einem neuen, dampfend völkischen Nationalstolz. Die Empörung war groß, sogar in der eigenen Partei. Die Bundessprecherin Frauke Petry forderte Höckes Ausschluss aus der AfD. Anfangs jedenfalls. Am Ende durfte Höcke bleiben, Petrys Ermahnungen erwiesen sich als Rhetorik. Und die Umfrageergebnisse der Partei bekamen eine Delle nach unten.
Aber die 180-Grad-Wende hat bereits stattgefunden. Geschichtspolitisch liegen Frauke Petry und Björn Höcke nicht weit auseinander. Das „Wall Street Journal“ veröffentlichte in dieser Woche eine lange Analyse mit der Überschrift „Die deutschen Rechten glauben, dass es an der Zeit ist, die historische Schuld des Landes abzustreifen“. Darin wird Petry zitiert, Besuche in Konzentrationslagern seien für Schüler wichtig, um zu verstehen „was Menschen Menschen antun können“. Sie fügt hinzu: „Im gleichen Maße sollte man sie darüber informieren, dass die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg es den deutschen Kriegsgefangenen erlaubten, in Lagern auf den Rheinwiesen zu verhungern.“
Petry sprach bereits im Oktober im Hambacher Schloss
Die Äußerungen sollen schon im Oktober 2016 gefallen sein, „in einem Schloss unweit des Rheins“. Petry hat damals im Hambacher Schloss hinter verschlossenen Türen vor der rheinland-pfälzischen AfD-Landtagsfraktion gesprochen. Weite Teile ihrer Rede wirken wie eine Geschichtslektion am historischen Ort.
Petry lobt die rebellischen Studenten von 1832, die auf dem Schloss die Grundlagen gelegt hätten für „Volksdemokratie und Volkssouveränität“ und prophezeit, dass man „in einigen Jahrzehnten etwas differenzierter argumentieren wird über den Zweiten Weltkrieg, ähnlich wie beim Ersten Weltkrieg nicht nur aus Sicht der Sieger“. Die AfD hat einen Videomitschnitt der Rede veröffentlicht, aber keinen von der anschließenden Diskussion. Fielen dort Petrys skandalöse Worte, in denen sie den Tod von Kriegsgefangenen mit dem Holocaust vergleicht?
Es gab tatsächlich rund 20 Rheinwiesenlager, in denen die USA, Großbritannien und Frankreich zwischen April und September 1945 Millionen deutscher Soldaten unterzubringen versuchten. Ernährung und Hygiene waren oft katastrophal, auch wenn die Amerikaner den Ausbruch von Seuchen verhindern konnten, indem sie Trinkwasser chlorten und die Gefangenen mit DDT entlausten. Doch die Lager waren Folge des Angriffs- und Vernichtungskriegs, den Deutschland 1945 begonnen hatte. Die Verhältnisse dort mit der Auslöschungsindustrie von Auschwitz und Treblinka zu vergleichen, ist so geschichtsklitternd wie infam.
Höckes Verständnis für Hitlers Feldzüge
Brauchen wir eine neue Debatte über den Kriegsbeginn 1939? Björn Höcke glaubt laut „Wall Street Journal“, dass der Zweite Weltkrieg als lokaler Konflikt begann, in dem Hitler verständlicherweise versucht habe, die nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete zurückzuerobern. „Das große Problem ist, dass man Hitler als absolut böse präsentiert. Aber natürlich wissen wir, dass es nicht bloß Schwarz und Weiß in der Geschichte gibt.“ Hitler sei nichts anderes übriggeblieben, als die Wehrmacht in Polen einmarschieren zu lassen. Seine Motive seien im Grunde lauter gewesen und er eigentlich ein freundlicher Mensch.
Frauke Petry, gefragt nach den Ursachen des Zweiten Weltkriegs, wusste immerhin, dass Kriege normalerweise nur dann stattfinden, „wenn mehrere Parteien sie wollen“. War das bereits so, als die römischen Legionen nach Gallien und Germanien marschierten? Frauke Petry ist promovierte Chemikerin, Höcke hat Sportwissenschaften und Geschichte studiert und als Lehrer gearbeitet. Man staunt, dass deutsche Hochschulen so viel Ignoranz hervorbringen können.