Die "Kleinrentner"-Wohnungen in der Johann-Sebastian-Bach-Straße in Herdern sollen ab kommendem Jahr abgerissen werden.
HERDERN. Seit fast 60 Jahren gibt es in der Johann-Sebastian-Bach-Straße auf beiden Seiten der Straße 95 Wohnungen für "Kleinrentner" – Senioren mit niedrigem Einkommen, die von der Arbeiterwohlfahrt betreut werden. Doch der Zahn der Zeit nagt an den Häusern aus dem Jahr 1951, die der Freiburger Stadtbau (FSB) gehören. Das Wohnmodell scheint sich angesichts des sehr niedrigen Komforts der überwiegend zwischen 22 und 38 Quadratmeter großen Wohnungen überholt zu haben. Nun sollen die alten Häuser in schöner Herdermer Lage Neubauten weichen.
Der Grund: Ältere Mieter, die ins Konzept passen, sind nicht mehr zu finden – zurzeit steht rund die Hälfte der Wohnungen leer. Die alten Häuser abzureißen sei "die günstigste Lösung", sagt Stadtbau-Geschäftsführer Ralf Klausmann: "Sanierungen in der Größenordnung lohnen sich nicht mehr. Das steht in keinem Verhältnis." Anfang oder Mitte kommenden Jahres, kündigt der FSB-Chef an, soll mit dem Abriss der nördlichen Häuserzeile begonnen werden. Der Bürgerverein Herdern zeigt Verständnis für die Pläne. "Die Wohnungen sind niemandem mehr zuzumuten", sagt die Vorsitzende Ingrid Winkler.
Rentner Nikolaus Mühlroth wohnt mit seiner Frau Barbara seit 1991 in einer der kleinen Wohnungen in der Johann-Sebastian-Bach-Straße, die alle auf Grund und Boden der Stiftungsverwaltung stehen. "Wir sind sehr zufrieden. Uns gefällt es hier", sagt der 77-Jährige, der nach der Wende aus der rumänischen Stadt Jimbolia (Hatzfeld) nach Freiburg kam. Trotz der dünnen Wände, trotz des geringen Komforts und trotz der engen Räume. "Für uns ist das eine zweite Heimat geworden. Wir haben nie Heimweh gehabt." Die Mühlroths haben es sich schön gemacht in ihrer 34-Quadratmeter-Wohnung. Die Spielstraße schätzen sie der Ruhe wegen. Jedoch schränkt der ehemalige Hutmacher und Kachelofenbauer ein: "Naja, so schön wie früher ist es jetzt nicht mehr. Die machen hier nichts. Alles müsste besser gepflegt werden." Zu viele Wohnungen stünden leer, jüngere Mieter, die sich nicht an Ruhezeiten hielten, seien eingezogen. Nikolaus Mühlroth wundert sich: "Die verlieren hier doch so viel Geld, wenn die Wohnungen leer stehen." Von den Abrissplänen weiß das Ehepaar nur vom Hörensagen. Bis 2012 könnten sie auf jeden Fall hier wohnen bleiben, habe man ihnen gesagt, erzählt Nikolaus Mühlroth. Was danach kommt, wissen die Mühlroths nicht. "Abwarten und Tee trinken", sagt Nikolaus Mühlroth.
Seit 1996 wurden die älteren Bewohner der Johann-Sebastian-Bach-Straße
von der Freiburger Arbeiterwohlfahrt (AWO) betreut, sie trat als
Generalvermieterin auf. Vermietung und Betreuung in einer Hand, das sei
sinnvoll gewesen, findet AWO-Geschäftsführer Jack Huttmann. "So wir wir
Fragen und Probleme, was die Vermietung betrifft, bei der Betreuung
berücksichtigen." Allerdings sei die Nachfrage nach so kleinen
Wohnungen mit niedrigem Standard stark zurückgegangen, die AWO fand
zuletzt keine Rentner mehr, die als Mieter in Frage kamen. Für Huttmann
sind die fehlende Barrierefreiheit, die marode Bausubstanz und die
fehlenden Balkone die Hauptgründe dafür, dass es keine Interessenten
mehr gab. Und auch Stadtbau-Chef Klausmann räumt ein: "Die Ausstattung
ist nicht der Hit."
Es habe zuletzt "massive Leerstände" gegeben, sagt AWO-Geschäftsführer
Huttmann. Das ursprüngliche Kleinrentnermodell war deshalb nicht mehr
aufrechtzuerhalten. "Wir hatten Vermietungsverluste." Denn die AWO
musste die volle Pacht an die Stadtbau auch bei Leerstand weiter
bezahlen. Zwar vermietete sie zwischenzeitlich an Menschen, die nicht
zur eigentlichen Zielgruppe gehörten. Allerdings sei dies keine
dauerhafte Lösung gewesen. "Es ist als Wohlfahrtsverband nicht unser
Job, Wohnraum zu vermieten." Die Folge: Die AWO kündigte den Vertrag
mit der Stadtbau und stieg als Generalvermieter aus. Seit Sommer
vergangenen Jahres tritt die städtische Wohnungsbaugesellschaft wieder
selbst als Vermieter auf, während die AWO noch 19 Seniorinnen und
Senioren in der Bach-Straße betreut. Zehn Wohnungen hat vorübergehend
der Basketballverein USC Freiburg für seine Zweitligaspieler gemietet.
Die Spieler hätten so die Möglichkeit, günstig nah beieinander zu
wohnen, sagt der USC-Vorsitzende Günter Rothmann. "Für uns ist das eine
große Hilfe."
Kleinrentner-Wohnungen wird es in der Bach-Straße künftig nicht mehr
geben. Stadtbau-Chef Klausmann denkt bei den neuen Wohnungen, die
abschnittweise entstehen sollen, an "einen gesunden Mix" aus Miet- und
Eigentumswohnungen im Passivhausstandard; im Gespräch ist auch ein
Mehrgenerationenhaus. Der Bürgerverein, der vergangene Woche in die
Pläne eingeweiht wurde, zeigt sich "angenehm sprachlos". Der Baustil
sei in Ordnung, die neuen Häuser seien nur ein kleines bisschen höher
und breiter als die bisherige Bebauung, sagt die
Bürgervereinsvorsitzende Ingrid Winkler. "Das ist gut durchdacht und
stimmig und deckt sich sehr mit dem Stadtteilentwicklungskonzept",
freut sich Winkler.