Unterbringung von Flüchtlingen "Die Vorurteile nehmen automatisch ab"

Erstveröffentlicht: 
22.02.2017

Der Widerstand gegen ein Flüchtlingsheim im noblen Hamburg-Harvestehude war entschlossen. Eine Studie zeigt nun: Plötzlich sind die meisten Anwohner froh über die Nachbarn. Wie kommt das?

 

Von eiskalten "Alstermillionären" und naiven "Gutmenschen" war die Rede, zwei Jahre lang ging das so: In Hamburg polarisierte der Streit über eine Asylbewerberunterkunft im wohlhabenden Stadtteil Harvestehude - bis im September 2015 der vor Gericht ausgetragene Konflikt in einem Kompromiss endete. 190 Flüchtlinge bewohnen nun die 23 Wohnungen an der Sophienterrasse.

 

Es gab seither Lärmbeschwerden von Anwohnern und auch mehrere Polizeieinsätze wegen Streitigkeiten in der Unterkunft. Aber die großen Befürchtungen der Gegner des Heims haben sich bisher nicht bestätigt.

 

Ein Team um den Soziologen Jürgen Friedrichs erforscht in einem zweieinhalbjährigen Projekt die Situation der Flüchtlinge in dem Viertel. Vor einem Jahr hat die Arbeit begonnen, ein erster Bericht zeigt nun, wie die Harvestehuder zu ihren neuen Nachbarn stehen. Um eine tatsächliche Integration geht es dabei zunächst nicht, sondern um die dafür notwendige Vorstufe: Akzeptanz.

 

SPIEGEL ONLINE: Herr Friedrichs, Sie haben die Akzeptanz gegenüber Asylbewerbern im Hamburger Nobelviertel Harvestehude untersucht und dafür 279 Anwohner interviewt - was ist die zentrale Erkenntnis?

 

Jürgen Friedrichs: Die Ansichten der Anwohner sind enorm positiv, die Zustimmung zu dem dortigen Flüchtlingsheim liegt bei mehr als 80 Prozent. Ein Viertel der Befragten findet es sogar gut, dass die Menschen hierherkommen, damit ihre Nachbarn mal mit der Realität konfrontiert werden.

 

SPIEGEL ONLINE: Woher kommt diese Aufgeschlossenheit?

 

Friedrichs: Ein Großteil der Harvestehuder sieht schlichtweg die Verpflichtung, etwas für die Schutzsuchenden zu tun. Außerdem ist das Haus, um das es geht, vergleichsweise unauffällig und die 190 Flüchtlinge fallen nicht besonders auf. Ginge es um eine Großunterkunft mit Containern und Hunderten Bewohnern, sähe das vermutlich anders aus.

 

SPIEGEL ONLINE: Der Widerstand war sehr groß, als ursprünglich von 220 Bewohnern die Rede war: Anwohner zogen vor Gericht, erwirkten einen Baustopp. Jetzt sind es nur 30 Flüchtlinge weniger und schon sind alle zufrieden?

 

Friedrichs: Innerhalb der Anwohnerschaft waren die Meinungen immer sehr geteilt, schon parallel zu den Gerichtsverfahren gründete sich eine Flüchtlingsinitiative im Viertel. Außerdem sind die Gegner solcher Flüchtlingsheime auch in diesem Fall lauter gewesen als die Befürworter oder diejenigen, denen es egal war. Da sind auch nicht Dutzende Harvestehuder vor Gericht gezogen, sondern drei.

 

SPIEGEL ONLINE: Gewonnen haben sie trotzdem.

 

Friedrichs: Ja, juristisch. Im Viertel arrangieren sich die Allermeisten aber mit ihren neuen Nachbarn.

 

SPIEGEL ONLINE: Dabei haben Ihrer Studie zufolge nur 25 Prozent der Befragten überhaupt Kontakt zu Flüchtlingen.

 

Friedrichs: Wer direkt mit Fremden zu tun hat, baut Vorurteile ab. In Harvestehude trifft das nur auf jeden Vierten zu, aber viele andere haben gewissermaßen indirekten Kontakt zu Asylbewerbern: Es scheint auszureichen, Freunde zu haben, die Flüchtlinge besser kennen.

 

SPIEGEL ONLINE: Was bedeutet diese Erkenntnis für unsere Gesellschaft?

 

Friedrichs: Ich bin davon überzeugt: Da immer mehr Menschen in Deutschland mit den vielen Zugezogenen im Alltag zu tun haben, werden die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen automatisch abnehmen. Die Mehrzahl der Studien dazu in den vergangenen Jahren in Europa zeigt, dass mit einem wachsenden Anteil von Minderheiten in der Bevölkerung die Toleranz wächst. In Harvestehude zeigt sich das etwa daran, dass wegen der neuen Nachbarn kaum jemand höhere Kriminalität befürchtet.

 

SPIEGEL ONLINE: Ihre Studie hat aber auch ergeben, dass mehr als 43 Prozent der Harvestehuder Angst vor einem wachsenden Einfluss des Islam haben - fast alle Flüchtlinge sind muslimischen Glaubens.

 

Friedrichs: Das ist eines der wirklich bemerkenswerten Ergebnisse: Die überwiegende Mehrzahl der Harvestehuder differenziert zwischen den muslimischen Asylbewerbern und dem muslimischen Glauben.

 

SPIEGEL ONLINE: Wie lässt sich das erklären?

 

Friedrichs: Das liegt offenbar am überdurchschnittlich hohen Bildungsgrad in Harvestehude - eine Religion und ihre Anhänger differenziert zu betrachten, setzt ja eine gewisse intellektuelle Leistung voraus. Fast zwei Drittel der Teilnehmer unserer Umfrage haben studiert, Abitur haben sogar fast 82 Prozent. Entsprechend wohlhabend sind die meisten Menschen in Harvestehude übrigens auch - und das ist wohl auch ein Grund, warum nur wenige den Islam als wirtschaftliche Bedrohung sehen.

 

SPIEGEL ONLINE: Sollten Flüchtlinge also vor allem in Nobelvierteln untergebracht werden?

 

Friedrichs: So würde ich das nicht sagen. Die Unterkünfte sollten aber möglichst nicht in reinen Unterschicht-Vierteln eingerichtet werden, weil die Asylbewerber dort stärkeren Vorurteilen ausgesetzt sind. Gut aufgehoben sind Schutzsuchende, wenn die Behörden sie in kleinen Einheiten vor allem in Vierteln der Mittel- und Oberschicht unterbringen.

 

SPIEGEL ONLINE: Ein solches Viertel in Hamburg ist Blankenese, dort gibt es trotzdem heftigen Widerstand gegen eine Unterkunft - obwohl auch dort nur rund 190 Menschen einziehen sollen.

 

Friedrichs: In Blankenese soll die Stadt die Anwohner zu spät informiert haben, da fühlten sich einige Bürger offenbar überrumpelt. Solche Entscheidungen dürfen niemals fallen, ohne mit den Bürgern vorher zu reden. Viele Städte, nicht nur Hamburg, hatten vor einem solchen Dialog offenbar Angst - weil die Anwohner dann überall hätten sagen können: "Bringt die Flüchtlinge doch irgendwo hin, aber nicht zu uns!"

 

SPIEGEL ONLINE: Das fordern auch die Bewohner in strukturschwachen Wohngegenden. Brächte man dort nach Ihrer Logik kaum Flüchtlinge unter, wäre das doch ein Einknicken vor dem Fremdenhass, oder?

 

Friedrichs: Das ist ein kluges, wichtiges Argument; eine solche Debatte gab es ja schon über ländliche Gegenden in Ostdeutschland, wo es viel Wohnraum aber auch viel Rassismus gibt. Ich plädiere vor allem dafür, diesen Aspekt bei der Planung unbedingt zu berücksichtigen und in sozialschwachen Gegenden behutsam vorzugehen.