In der neurechten Bewegung sammeln sich nicht mehr nur dumpfe Mitläufer. Das macht sie um so gefährlicher. Gespräch mit Volkmar Wölk Von Markus Bernhardt
Volkmar Wölk ist Publizist, Pädagoge in der Erwachsenenbildung und regelmäßiger Mitarbeiter der Fachzeitschrift Der Rechte Rand. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Ideologieentwicklung der europäischen Rechten. Letzte Veröffentlichung: »Zur Renaissance der europäischen Konservativen Revolution«, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2016; online abrufbar unter: kurzlink.de/woelk-konservative
In den vergangenen Monaten hat die sogenannte Identitäre Bewegung verstärkt auch in der Bundesrepublik von sich reden gemacht. Wer steckt dahinter, und was ist deren politischer Ansatz?
Es handelt sich hauptsächlich um jüngere Menschen, überwiegend um Männer. Das ist nicht ungewöhnlich für Strukturen der extremen Rechten. Ungewöhnlicher ist der Umstand, dass die Mehrheit von ihnen studiert oder das Studium bereits beendet hat. Das hat dazu geführt, dass sie sich beim Zusammenbasteln ihrer Ideologie nicht nur beim entsprechenden deutschen Gedankengut bedienen, sondern sehr intensiv auch der »Klassiker« unter den einschlägigen Autoren besonders in Frankreich und Italien. Überhaupt greifen sie auf, was an aktuellen Publikationen zur Modernisierung der eigenen Ideologie brauchbar ist.
Was genau?
Das können Werke der deutschen »konservativen Revolution« sein, strategische Schriften aus dem Frankreich der sechziger Jahre oder ein italienischer autoritärer Esoteriker wie Julius Evola. Wenn die wichtigsten Feindbilder erfüllt sind – Antiliberalismus und Antiamerikanismus –, greift man allerdings auch gerne zu früher linken Autoren wie dem italienischen Philosophen Costanzo Preve oder seinem französischen Kollegen Jean-Claude Michéa.
Statt von »Identitären« – wie sie sich selbst bezeichnen – sollte man wohl besser von einer Spielart des völkischen Nationalismus sprechen. Entstanden ist diese Bewegung in Frankreich, wo sie noch immer am stärksten ist, aus einer nationalrevolutionären Organisation, dem »Bloc identitaire«. Wenn diese Leute von »Identität« sprechen, meinen sie nicht die eines Individuums, sondern stets die eines Kollektivs. Die »Identitären« leiten ihr Konstrukt einer kollektiven Identität aus imaginierten Gemeinschaften wie Volk, Nation, dem »christlichen Abendland« oder der gemeinsamen europäischen Kultur ab. Nehmen wir aber nur das letzte Beispiel: Wird ein Punk tatsächlich behaupten, er habe die gleiche Identität wie jemand, der volkstümliche Musik liebt?
Also verorten Sie diese Bewegung im klassischen Bereich des Rechtsextremismus?
Sie ist aus einer ideologischen Strömung der klassischen extremen Rechten entstanden, deren Wurzeln sich mindestens bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurückverfolgen lassen. Auch ihre heutigen Protagonisten haben oftmals einen entsprechenden organisatorischen Vorlauf, ob es sich nun um Mitglieder völkischer Burschenschaften handelt oder um junge Menschen, die bereits durch die Familie in rechten Jugendbünden sozialisiert worden sind. Nichts, aber auch gar nichts spricht dafür, sie nicht zur extremen Rechten zu zählen. Warum die Behörden in der Bundesrepublik so lange mit einer entsprechenden Einschätzung gezögert haben, ist eigentlich nur dadurch zu erklären, dass diese nur dann jemanden als »Rechtsextremisten« erkennen, wenn dieser von sich selbst sagt, er sei Neonazi.
Allerdings betonen die »Identitären« regelmäßig, nichts mit originären Neonazis zu tun zu haben. Wie glaubwürdig ist das?
Natürlich kommt es immer wieder zu Übertritten zu den Identitären, besonders von den Jungen Nationaldemokraten. Nun, wenn jemand nicht ganz dämlich ist, verlieren letztere natürlich schnell ihre Attraktivität. Außer den immer gleichen Aufmärschen zu den stets gleichen Anlässen findet dort kaum noch etwas statt. Keine Flashmobs wie bei den Identitären, keine Straßentheateraktionen, keine Bühnenbesetzungen. Erst recht keine systematische Auseinandersetzung mit Schriften jenseits der klassischen Naziliteratur. Wer mit etwas Hirn im Kopf möchte zum Thema Geschichte schon immer wieder die Geschichten der alten Frontkämpfer hören?
Tatsächlich handelt es sich bei den Identitären aber nicht um Neonazis. Es sind Faschisten, Faschisten im Sinne der Definition des israelischen Faschismusforschers Zeev Sternhell. Dort, wo bei den Neonazis Volk und Nation die zentralen Begriffe sind, beziehen sich die Identitären auf Europa als »ein Imperium ohne Imperialismus«, auf ein »Kräftedreieck aus Nation, Region und Europa«. Selbst der Begriff »rechts« ist ihnen verpönt. Sie sehen sich als »jenseits von links und rechts«, so wie es der Ansatz der frühen faschistischen Gruppen war.
Und doch ist es den »Identitären« gelungen, sich als junge und moderne Jugendbewegung zu inszenieren. Macht das die Gefährlichkeit nicht sogar größer?
Natürlich. Aber da hilft kein Klagen. So ist die Situation nun mal momentan – in ganz Europa. Was zu Beginn in Deutschland noch eine rein virtuelle Bewegung war, verfügt inzwischen über echte Strukturen. Das ist natürlich immer noch keine Massenbewegung. Das wollen sie aber auch nicht sein. Sie verstehen sich selbst als Elite, als Avantgarde. Und dabei kann man natürlich nicht Hinz und Kunz gebrauchen. Es gibt ein Umfeld an älteren Ideologen der »neuen« Rechten, beispielsweise das »Institut für Staatspolitik«, es gibt einschlägige Zeitschriften zur Schulung. Es gibt mit dem Verein »Einprozent« nunmehr auch eine Struktur, die Unterstützung bei anfallenden Gerichtskosten leistet. Und jüngst hat ein Akteur dieses Spektrums in Dresden einen Verlag gegründet: »Jungeuropa«. Die ersten beiden dort verlegten Werke: der Roman »Die Unzulänglichen« des französischen faschistischen Schriftstellers von Weltrang Pierre Drieu la Rochelle und die strategische Schrift »Für eine positive Kritik« von Dominique Venner, ohne den die europäische »neue« Rechte gar nicht vorstellbar ist.
Wir dürfen dabei aber auch nicht vergessen, dass die Aktionsformen tatsächlich für junge Menschen attraktiv sind. Zwar wettern die »Identitären« gegen das Gedankengut der 68er, die damals erfolgreichen Aktionsformen haben sie allerdings übernommen. Sie haben Räume besetzt, die die Linken ohne Not und leichtfertig freigegeben haben. Zumindest die führenden Köpfe dürften Schriften wie die des Situationisten Guy Debord über »Die Gesellschaft des Spektakels« sehr genau gelesen haben. Jüngere Autoren wie Benedikt Kaiser werten die innovative linke sozialwissenschaftliche Literatur aus und versuchen, die soziale Frage zu besetzen. Der Neoliberalismus ist auch für sie ein Irrweg mit verheerenden Folgen. Und dabei handelt es sich keineswegs lediglich um »soziale Demagogie«, wie so gerne von links behauptet wird.
Sondern um was?
Wie soll ich einem Volk glaubhaft machen, dass es eine gemeinsame Identität habe, wenn ein Drittel dieses Volkes – was immer das sein mag – ausgegrenzt wird, nämlich ökonomisch? Die erkennen durchaus, dass Politik schlicht unmöglich wird, wenn es ein Primat der Ökonomie gibt, die großen Konzerne – in ihren Worten: die Globalisten – den politischen Kurs diktieren und das Volk ganz und gar nicht herrscht, sondern lediglich ohnmächtiger Zuschauer ist. Selbstverständlich handelt es sich um eine sehr verkürzte Kapitalismuskritik bei den Identitären, aber es wäre ein Fehler zu glauben, dass es ihnen damit nicht ernst ist.
Noch verfügen die »Identitären« nicht über bundesweit aktionsfähige Strukturen. Fürchten Sie, dass sich das in naher Zukunft ändern könnte?
Die Entwicklung spricht dafür. Auch in Frankreich dümpelte die Bewegung zunächst einige Jahre relativ erfolglos vor sich hin. Bis zu einer spektakulären Aktion, die sie auf einen Schlag landesweit in alle Medien brachte. Nämlich der kurzzeitigen Besetzung der im Bau befindlichen Moschee von Poitiers. Heute hat die »Génération identitaire« nach eigenen Angaben mehr als 2.000 Mitglieder. Eine ganze Reihe von ihnen ist in jüngerer Zeit auch dem Front National beigetreten. Man geht arbeitsteilig vor: Die Identitären machen die Aktionen, mit denen die Partei selbst besser nicht in Verbindung gebracht wird. Diese wiederum nutzen die Partei einerseits, um deren Ressourcen nutzen zu können, andererseits, um besonders aus ihrem Jugendverband die als brauchbar ausgemachten Kader für sich zu gewinnen. Sozusagen eine Win-win-Situation.
Es ist zwar nicht sicher, dass sich eine solche Entwicklung in der Bundesrepublik wiederholen wird, aber es ist auch keineswegs ausgeschlossen. Wir sehen, dass die extreme Rechte im Aufwind ist. Da steigt naturgemäß die Attraktivität einschlägiger Gruppen außerhalb der Parteien.
Welche Rolle spielt diesbezüglich die AfD?
Es fehlt keineswegs an Distanzierungen aus der AfD gegenüber den Identitären. Sie sind allerdings ganz und gar nicht glaubhaft. Einige Funktionäre der Partei geben auch offen zu, dass es eine Kooperation und auch Doppelmitgliedschaften gibt. Die ideologischen Schnittmengen zum Höcke-Gauland-Flügel der AfD sind nicht zu übersehen; und besonders in der »Jungen Alternative« scheint mir der ideologische Einfluss der Identitären keineswegs minoritär zu sein. Fest steht, dass die Bewegung nicht auf der ominösen Unvereinbarkeitsliste zu finden ist, die die AfD erstellt hat.
Nicht selten wurde in den vergangenen Wochen auch von Linken eine Beobachtung der »Identitären« durch den Verfassungsschutz gefordert. Aber bestünde dann nicht die Gefahr, dass die Bewegung dadurch personell und finanziell gestärkt würde, wie es durch die Geheimdienstaktivitäten beispielsweise auch beim »Thüringer Heimatschutz« der Fall war, aus dem später das Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« hervorging?
Ich für meinen Teil sehe den Inlandsgeheimdienst als Teil des Problems, nicht als Teil seiner Lösung. Ich fordere seine Abschaffung. Wenn unabhängige Antifas in dieser Woche ein umfangreiches Dossier über die »Identitäre Bewegung« in Norddeutschland veröffentlicht haben, dann haben sie damit mehr in Sachen Aufklärung geleistet als das Bundesamt und alle Landesämter für Verfassungsschutz zusammen. Ich verlange allerdings von der Bundesregierung und den Landesregierungen, dass sie tragfähige Gesamtkonzepte erarbeiten, damit die extreme Rechte zurückgedrängt werden kann. Dazu gehört die genaue Analyse solcher Strukturen. Doch dafür sind allemal unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen befähigter als irgendein Geheimdienst. Denen mangelt es regelmäßig an der Intelligenz für eine solche Analyse und – zumindest bei uns in Sachsen – sogar an den notwendigen Sprachkenntnissen.