Der G20-Gipfel in Hamburg könnte zum größten Gipfelprotest in der Bundesrepublik werden. Dabei geht es um mehr als ein schillerndes Event – es geht um die Suche nach dem linken Aufbruch.
Im Juli kommt der Gipfel der G20 nach Hamburg. Klar ist: Mit der Auswahl der Innenstadt Hamburgs als Austragungsort ist mit mehr Teilnehmern zu rechnen als noch bei den G8-Blockaden in Heiligendamm vor zehn Jahren. Die Sicherheitsbehörden rechnen mit 100.000 Demonstrant*innen, »Die Welt« spricht von »den größten Protesten in der Geschichte der Hansestadt«, und bereits jetzt sind 1000 Polizisten zur Überwachung der Innenstadt im Einsatz. Der Senat hat mit der Errichtung neuer Gefangenensammelstellen begonnen, daneben kommen Container für Haftrichter und Staatsanwälte. Die üblichen Kriminalisierungsversuche erwecken den Anschein, als erwarte uns »ganz normaler« Gipfelprotest – wie vor zehn Jahren in Heiligendamm oder vor 15 Jahren in Genua.
Doch der Schein trügt. Die globalisierungskritische Bewegung ist abgeklungen. Mit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise 2007/2008 trat der gesellschaftliche Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung und den globalen Kapitalismus in eine neue Phase ein. Es zeigten sich deutliche Risse in der bestehenden Ordnung und ein Bruch mit der Politik der vorangegangenen Jahrzehnte wurde greifbar. Die Occupy-Proteste, Platzbesetzungen (auch im arabischen Raum und in der Türkei) und neue politische Projekte aus der Bewegung brachten die Hoffnung mit sich, die bestehenden Verhältnisse tatsächlich umwälzen zu können. Während sich der Bewegungszyklus 2012/13 wieder abschwächte, schien die linke Offensive mit Wahlerfolgen von aus der Bewegung entstanden Parteiprojekten in Europa anzudauern. Das Verlorengehen dieser Hoffnungsperspektive ist zentral, um unsere heutige Ausgangslage zu verstehen.
Wieder sichtbar werden
Die Niederlage der linken Offensive bildete, zusammen mit dem »Summer of Migration« in der zweiten Jahreshälfte 2015 das Möglichkeitsfenster für eine Offensive von rechts. Auf dem G20-Gipfel in Hamburg werden wir beobachten können, wie Angela Merkel sich als Verteidigerin eines »liberalen«, reformierten Kapitalismus stilisieren wird. Es scheint, als verlaufe die gesellschaftliche Konfliktlinie nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen den Verteidigern der (neo-)liberalen Weltordnung (Merkel, Trudeau) und den Apologeten eines sozial-nationalen Festungskapitalismus (Trump, May, Le Pen, Petry).
Doch der Abbau demokratischer Rechte und die Politik der sozialen Spaltung haben lange vor dem Siegeszug der Neuen Rechten begonnen. Mehr noch – der alternativlos gewordene, neoliberale Kapitalismus hat überhaupt erst den Nährboden für den Aufstieg reaktionärer Gesellschaftsprojekte bereitet. Ob autoritärer Neoliberalismus in der EU oder Trumps rechtsextremes Regierungsprojekt in den USA – der globale Kapitalismus als solcher entwickelt sich autoritär.
Wie durchkreuzen wir die falsche Gegenüberstellung von neoliberaler »Vernunft« und der Neuen Rechten? Wie entwickeln wir unser eigenes politisches Projekt und gewinnen unsere Hoffnung zurück? Die Antwort liegt auf den Straßen und Plätzen, auf denen wir zusammenkommen, um gemeinsam zu rebellieren. Wir müssen uns sichtbar machen, eine solidarische Internationale, die einer neoliberalen und einer rechten Politik gleichermaßen gegenübersteht.
Wir nehmen uns die Stadt
Der G20-Gipfel in Hamburg könnte dafür einen Anlass bieten. Zwischen Gegengipfel unter der Woche und Großdemonstration am Wochenende liegt ein Tag des massenhaften Ungehorsams am 7.7.2017. Wir wollen mit Tausenden die Stadt erobern und an die Rote Zone vordringen, wo die Mächtigen um die kapitalistische Ordnung der Zukunft ringen. Wir werden wichtige neuralgische Punkte besetzten und Zufahrtswege blockieren, die Straßen verstopfen und die Infrastruktur und Mobilität der Staatsgäste und Gipfelteilnehmer empfindlich stören. Gemeinsam mit Anwohner*innen zeigen wir an den Blockadepunkten unsere gesellschaftlichen Gegenentwürfe auf: gegen die falschen Alternativen von rechts und die triste, neoliberale Alternativlosigkeit.
Nachdem die »alte« Globalisierungskritik von den Krisenprotesten nach 2007 abgelöst wurde, stehen wir nun vor etwas Neuem. Während der Zerfall der neoliberalen Ordnung voranschreitet, wachsen Kämpfe gegen den kapitalistischen Normalzustand und gegen die Bedrohung der Neuen Rechten stärker zusammen. Es wird immer deutlicher, dass die alte, neoliberale Politik die Rechten nicht stoppen kann und die G20 Teil des Problems sind. Umso stärker wird die Notwendigkeit, sich gemeinsam auf den Weg zu machen.
Doch um überhaupt eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln, müssen wir gemeinsame Erfahrungen auf der Straße machen. Hamburg soll ein historisches Protestereignis werden, das für viele Jahre nachwirkt und dessen Bilder um die Welt gehen. Und dennoch: Wir stehen am Anfang. Die Ende-Gelände-Proteste im August 2017 und die vielen Kämpfe gegen rechts angesichts der Bundestagswahl werden nächste Anlässe sein, unseren Widerstand und unser gesellschaftliches Gegenprojekt sichtbar zu machen. Unsere Hoffnung auf das ganz Andere wächst, weil wir mehr werden und gemeinsam rebellieren.