Für Roma-Flüchtlinge ist Freiburg kein Platz zum Bleiben

Wo geht es nach Hause? Roma-Flüchtling in Freiburg  Foto: BENSIEK
Erstveröffentlicht: 
12.05.2010

Es wird eng im Flüchtlingswohnheim: In Freiburg kommen seit Jahresbeginn immer mehr verzweifelte Roma aus dem Kosovo an. Die Stadt fühlt sich vom Land im Stich gelassen.

 

Den Grund, warum sie hier ist, würde Ceija Majoré (*Name geändert) am liebsten vergessen. In ihren Händen knetet die zierliche Romafrau einen kleinen Schlüsselanhänger aus Plüsch. Ein Mann habe sie mit seinem Auto überfahren wollen, erzählt sie, und schaut runter auf ihren dunklen abgewetzten Rock. Er habe sie erwischt, ihr das linke Bein gebrochen. Der Knochen musste mit einer Metallplatte geschient werden. Die Schmerzen beim Gehen erinnern sie noch immer an das fürchterliche Erlebnis. In Polje im Kosovo, wo sie herkomme, habe man sie und ihre Kinder auch geschlagen. "Wir mussten weg, wir sind einfach losgefahren, egal wohin", sagt Ceija Majoré.


Kein Platz mehr im Flüchtlingswohnheim


Ein Mann mit einem kleinen roten Kombi habe sie mitgenommen – sie, ihren Mann und die vier Kinder. Details wisse sie nicht, es sei Nacht gewesen, sie habe mit den Kindern auf der Rückbank geschlafen. Vor drei Wochen stand die Familie dann im Freiburger Flüchtlingswohnheim St. Christoph. Warum gerade dort? "Ich weiß es nicht", sagt Ceija Majoré. Jetzt steht sie in einem Wohncontainer, trägt eine zu große Trainingsjacke und Filzpantoffeln. In den Häusern des Flüchtlingswohnheims war kein Platz mehr. Deshalb hat man ihre Familie notgedrungen da untergebracht, wo vorher das Werkzeug des Hausmeisters lagerte.

 

Infolge des Bürgerkriegs in der ehemals serbischen Provinz Kosovo Ende der 90er-Jahre flohen rund 3000 Roma nach Baden-Württemberg, 690 Roma kamen nach Freiburg. Im April haben Deutschland und Kosovo ein Rücknahmeabkommen unterzeichnet, seitdem ist für viele Flüchtlinge der Abschied näher gerückt. In Freiburg ist die Entwicklung gegenläufig. Hier sind seit Januar rund 140 Roma-Flüchtlinge hinzugekommen, die Unterkünfte sind inzwischen überfüllt. Nirgendwo sonst im Land gab es zuletzt einen vergleichbaren Zustrom. In der Stadtverwaltung gibt es lediglich Vermutungen darüber, warum die neuen Flüchtlinge ausgerechnet Freiburg ansteuern. Sie alle sagen, sie kämen aus dem Kosovo, ausweisen können sie sich nicht.


Folgen einer Gemeinderat-Resolution von 2006?


Fakt ist: Seit Jahresbeginn dürfen serbische Staatsbürger für 90 Tage ohne Visum in EU-Länder reisen. Fakt ist auch, dass der Gemeinderat 2006 mit einer Resolution seinen Willen unterstrichen hat, sich für ein Bleiberecht der langjährig in Freiburg lebenden Roma einzusetzen – Familien, deren Kinder hier geboren sind und die zum Teil selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Dieses politische Bekenntnis, sie könnte sich herumgesprochen haben.

Diese Beliebtheit führt Freiburg an seine Grenzen. "Wenn es so weitergeht, müssen wir Notunterkünfte in Turnhallen einrichten", sagt Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach (SPD). Es gebe keine Kapazitäten mehr, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. Oberbürgermeister Dieter Salomon von den Grünen hat die Landesregierung in einem Brief um Hilfe gebeten. Die Flüchtlinge mögen gerecht auf die Städte und Landkreise verteilt, die Last müsse geteilt werden. Schließlich würden die neuen 140 Flüchtlinge Freiburg allein in diesem Jahr voraussichtlich eine Million Euro kosten.

Der christdemokratische Innenminister Heribert Rech lässt kühl auf das Aufenthaltsgesetz und die Asyl-Zuständigkeitsverordnung verweisen. "Es gibt eine klare Regelung, nach der unerlaubt eingereiste Ausländer in der Stadt oder in dem Landkreis bleiben, wo sie aufgetaucht sind", erklärt seine Sprecherin Alice Loyson-Siemering. Weil die Roma bei ihrer Ankunft keine Ausweise vorlegen konnten, besitzen sie den Status "illegale Ausländer" – und müssen in Freiburg bleiben. Dieses Verfahren habe sich bewährt, erläutert Loyson-Siemering. "Den anderen Städten wäre es nicht zu vermitteln, dass sie plötzlich Flüchtlinge aus Freiburg aufnehmen müssen." Dass Freiburg an seinem Problem selbst schuld sei, sagt in Stuttgart niemand offen. Doch immerhin bemerkt die Sprecherin: "Eine gewisse Wirkung kann man der Resolution des Gemeinderats zu den Roma sicher nicht absprechen."

 

Bei Sozialarbeiterin Petra Geppert im Wohnheim St. Christoph klingelt das Telefon. Eine Studentin ist dran, die eine Patenschaft für ein Flüchtlingskind übernehmen will. "Das kommt recht häufig vor", sagt Petra Geppert. Es gibt eine ehrenamtliche Hausaufgabenhilfe für die Kinder und einen Deutschkurs für Frauen. 1991 wurde das Flüchtlingswohnheim St. Christoph eröffnet, seither arbeitet Petra Geppert hier. Sie kennt alle Bewohner und hat zuletzt häufiger gehört, dass die Ankunft der neuen Flüchtlinge nicht eben für Begeisterung gesorgt hat. "Es wird voller und enger auf dem Gelände", sagt Petra Geppert – für das Zusammenleben wird es nicht einfacher.

Bekim Lugar ist empört. "Das sind nicht unsere Leute", sagt der Familienvater, der in einer der Reihenhauswohnungen auf seinem Sofa sitzt. "Die Roma, die seit Jahresbeginn hier angekommen sind, stammen alle aus Serbien und nicht, wie sie behaupten, aus dem Kosovo", ist erüberzeugt. Seine Dreizimmerwohnung ist anspruchsvoll eingerichtet, sauber tapeziert, und auch der große Flachbildschirm funkelt noch neu. Er hat dafür gearbeitet, vier Jahre als Reinigungskraft, dann hatte er einen Bandscheibenvorfall.

Lugar erzählt, dass auch er vor elf Jahren mit seiner Frau und den zwei Söhnen illegal mit dem Fischerboot über die Adria nach Italien und weiter nach Deutschland gekommen sei. Aber er sei eben vor dem Bürgerkrieg geflohen, er wurde mit Waffen bedroht und aus dem Haus gejagt. Dass nun Jahre nach dem Bürgerkrieg neue Roma in St. Christoph auftauchen, passe ihm gar nicht. "Für uns Alte ist das schlecht", sagt er unumwunden. Er meint damit auch, dass der Vorplatz unterdessen oft von Kindern bevölkert ist.


Werden alte und neue Roma über einen Kamm geschoren?


Doch der fünffache Vater fürchtet nicht nur um seinen Freiraum auf dem Gelände des Flüchtlingswohnheims. Er hat auch Angst vor einer Abschiebung. Dabei ist seine Familie eine von wenigen in St. Christoph, die nicht nur eine Duldung, sondern eine beschränkte Aufenthaltsgenehmigung besitzen. Lugar fürchtet, dass alte und neue Roma über einen Kamm geschoren werden könnten, sollte die Stadt bei der Flüchtlingsaufnahme an ihre Grenzen kommen. Und er hat Angst um seinen Ruf. Bei einem Besuch im Sozialamt habe er erfahren, dass die Neuen in den umliegenden Supermärkten geklaut hätten und nun der Polizei bekannt seien. "Ich habe noch nie Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt", beteuert Lugar.

Der Konflikt unter den beiden Roma-Gruppen überrascht den Freiburg Gemeinderat Coinneach McCabe von der Grünen Alternativen Liste wenig. "Roma ist ein Begriff, der diesen Menschen von außen aufgestülpt wird, deswegen ist es ein Trugschluss, ein Zusammengehörigkeitsgefühl aller Roma zu erwarten", sagt McCabe, der Stellvertreter im Ausländerbeirat der Stadt war. Er hat eine eigene Erklärung für die Schwierigkeiten, die die Stadt Freiburg nun mit den neuen Flüchtlingen hat: "Hätte man die lange in Freiburg lebenden Roma früher in normale Wohnungen umgesiedelt, gäbe es jetzt nicht das Platzproblem." Flüchtlingswohnheime seien Übergangsorte.

Dass die Landesregierung die Stadt Freiburg in dieser Situation allein lässt, ist für McCabe eine Retourkutsche dafür, dass der Gemeinderat 2006 mit seiner Resolution einen höheren moralischen Standard in der Flüchtlingspolitik gesetzt hat. Dass Freiburg die Flüchtlingswelle durch die Resolution selbst zu verantworten hat, hält McCabe für nicht plausibel. Schließlich habe auch der Gemeinderat in Konstanz 2006 ein ähnliches Papier beschlossen – dort landen derzeit aber nicht vermehrt Flüchtlinge.


Bukuria Elezi hat in der Küche ihres Wohncontainers gerade einen Topf mit Pasul, einem Bohneneintopf, auf den Herd gestellt. Seit dem 12. April ist die Familie in Freiburg, zu diesem Zeitpunkt waren die letzten freien Plätze in den Häusern des Wohnheims bereits belegt. Die kleine Frau mit den großen goldenen Kreolenohrringen erzählt, sie sei aus Buhanovac nach Freiburg gekommen, auch sie mit einem Kombi. "Die Zeiten haben sich sehr verschlechtert und unsere Kinder wurden zuletzt von Kosovo-Albanern malträtiert", klagt sie.

 

Es ist Mittagszeit. Im Raum nebenan, auf dem Sofa, schläft Matteo, Bukuria Elezis neun Monate alter Sohn. Ihr Mann ist einkaufen mit der neuen Chipkarte, die alle neuen Flüchtlinge vor ein paar Tagen bekommen haben. Davor gab es für die Familie Essen auf Rädern und Taschengeld. Nun können sie mit einem begrenzten Budget auf der Karte bargeldlos selbst einkaufen und wieder kochen, was sie wollen und was ihnen schmeckt. Aber sie verfügen über kein Bargeld mehr, mit dem sie eventuelle Schlepper bezahlen können. Tatsächlich sind in den zwei Wochen nach Einführung der Chipkarten keine neuen Flüchtlinge gekommen.

Einen Zusammenhang hält Hans Steiner vom Büro für Migration und Integration der Stadt dennoch für Spekulation. "Ich fände es komisch, wenn eine Gemeinderatsresolution und ein paar Euro eine Völkerwanderung auslösen würden", sagt Steiner. Es handle sich nicht um ein Freiburger Problem, sondern um ein europäisches. Die Situation der Roma im Kosovo und in Teilen Serbiens sei weiterhin von Diskriminierung, Ausgrenzung und Armut geprägt. Und das Kosovo sei trotz Rücknahmeabkommen "eigentlich nicht in der Lage, diese Menschen jetzt zurückzunehmen". Und Kinder, die hier geboren wurden und nur Deutsch sprechen, "haben im Kosovo", sagt Steiner, "jetzt ohnehin keine Perspektive".