Dresden schränkt den Protest gegen Pegida aus Angst vor Schneeballwürfen ein. Bei den Aktivisten löst der Bescheid Kopfschütteln aus.
von Matthias Meisner
Benjamin H. hat schon einige Erfahrungen mit den Dresdener Behörden und der Polizei gemacht. Immer wieder engagiert er sich, um in der sächsischen Landeshauptstadt Proteste gegen Pegida, AfD & Co. auf die Beine zu stellen - zuletzt am Dienstag vergangener Woche, als er eine Eilversammlung angemeldete, um gegen die Kundgebung des thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke im Ballhaus Watzke zu demonstrieren.
Der Bescheid allerdings, den das Ordnungsamt der Stadt Dresden am Freitag wegen einer für diesen Montagabend geplanten Kundgebung erließ, hat H. dann doch überrascht. Die Versammlungsbehörde verbannte seine Kundgebung "Die Frauenkirche mahnt - Nationalismus raus aus den Köpfen" nach längerem Streit über die Restriktionen auf ein kleines Fleckchen am Rande des Neumarkts und damit recht weit weg von Pegida. Begründung: Bei früheren Protestaktionen in der Stadt seien Schneebälle geworfen worden. Zwar nicht aus Versammlungen heraus, die H. angemeldet hatte. Aber: Es könnten sich "dennoch Personen unter die Versammlungsteilnehmer der Versammlung des Anmelders mischen, die diese als Ausgangsort für Schneeeballwürfe nutzen".
Nun sieht sich Benjamin H. durchaus als kompromissbereiter Mensch. Auf einen Lautsprecherwagen hat er verzichtet, ebenso auf eine "elektroakustische Beschallung", wie es im Behördendeutsch heißt. Ein Megafon soll nur zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf der Versammlung zum Einsatz gekommen. Trillerpfeifen dürfen die Demonstranten nicht mitbringen. H. sagt, dennoch müsse er um jeden Meter kämpfen, um zumindest so demonstrieren zu können, dass es die Pegida-Anhänger, die sich montäglich in Dresden zu Tausenden versammeln, auch mitbekommen. Irgendwann, so fürchtet er, geht die "ganze Protestkultur flöten, wenn man immer nur in der Ecke stehen darf". Das Ordnungsamt hätte mehr Spielraum, nutze ihn aber nicht.
Für die Behörde aber gelten Schneebälle in dieser Jahreszeit offenbar als Risiko erster Ordnung. "Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen" könnten von ihnen ausgehen, argumentiert die Behörde. Und entwickelt Schreckensszenarien für den Demo-Montag. Versammlungsteilnehmer des Studentenrates der TU Dresden könnten sich der Versammlung des Anmelders anschließen, wodurch bei dieser mit weitaus mehr als 100 Teilnehmern zu rechnen sei, heißt es im Bescheid. "Eine Versammlung dieser Größe stellt für mögliche Störer eine gute Deckungsmasse dar." Gegenseitige Provokationen "zwischen den politisch gegenteiligen Lagern und daraus resultierende Schneeballwürfe" seien "nicht mit hinreichender Gewissheit auszuschließen". Zudem sei das Umfeld der Frauenkirche stets Anziehungspunkt für viele auch unbeteiligte Dritte wie zum Beispiel Touristen. Es bedürfe deshalb einer "klaren räumlichen Trennung" sowie einer "Distanz zwischen den Versammlungen außerhalb der Wurfweite".
Hommage von Björn Höcke an Pegida
Anders als beispielsweise die Sache mit dem Leipziger Pegida-Ableger Legida hat sich der fremdenfeindliche Protest von Pegida in Dresden, wo seit Herbst 2014 die "Spaziergänge" stattfinden, nicht erledigt. Im Gegenteil: Höckes Auftritt im Ball- und Brauhaus Watzke war neben vielem anderen auch eine Hommage an Pegida. Höcke erinnerte am vergangenen Dienstagabend daran, dass er schon im Oktober 2014 das erste Mal bei Pegida war, sich durch "wilde Horden" von Gegendemonstranten habe kämpfen müssen - in ihnen sah er "kreischende, verhetzte, von induziertem Irresein gekennzeichnete jugendliche Wirrköpfe".
Pegida selbst indes, so Höcke damals weiter, das seien "keine verschrobenen Sonderlinge, das waren keine wirtschaftlich Abgehängten und das waren auch keine grölenden Nazis". Nein, "Dresden ist die Hauptstadt der Mutbürger", rief Höcke unter zum Teil stehendem Applaus in den Ballsaal. Es sei ein "historisches Verdienst" der Dresdener und Patrioten aus Sachsen, "den ersten Schritt getan zu haben". Und: "Ihr Sachsen, ihr Dresdner, seid für uns Thüringer und für uns Erfurter das große, unerreichte Vorbild!" Pegida hatte mit zu Höcke mobilisiert, viele Anhänger im Saal. Die Worte Höckes waren eine Provokation auch an die Adresse von AfD-Bundeschefin Frauke Petry, die eine Zusammenarbeit mit Pegida strikt ablehnt.
Grünen-Chef: Auflagen zum Teil hanebüchen
Für diejenigen, die in Sachsen regelmäßig Proteste gegen Pegida und anderen Anti-Asyl-Initiativen organisieren, ist Dresden ein schwieriges Pflaster. Jürgen Kasek, der Landesvorsitzende der Grünen, kann ein Lied davon singen. "Das Grundproblem an Dresden ist, dass es an einem großen und breiten Bündnis fehlt und Teile der Zivilgesellschaft stark fragmentiert sind. Dazu kommt, dass die politischen Verantwortlichen angefangen beim Oberbürgermeister bis hinüber in den Stadtrat keinen eindeutigen Umgang gefunden haben, anders als in Leipzig." Zudem werde versucht, den Protest gegen Pegida zu delegitimieren, indem man ihn als zu radikal bezeichne.
Zum Schneeball-Bescheid der Stadt Dresden sagt Kasek: "Das Verhalten des Ordnungsamtes spricht für sich und lässt die Vermutung zu, dass es eine Nähe zu Pegida und anderen Gruppen gibt." Die Auflagen für die NoPegida-Proteste seien "zum Teil hanebüchen" und hätten "mit einem versammlungsfreundlichen Verhalten wenig zu tun".
Johannes Filous vom Twitter-Projekt "Straßengezwitscher" hat ähnliche Beobachtungen gemacht. Filous, der mit seinem Team regelmäßig über fremdenfeindliche Aufmärsche in Sachsen berichtet, sagt, bei den Protesten gegen Pegida erlasse die Versammlungsbehörde in Dresden oft sehr strenge Auflagen. "Es gibt wirklich Schwierigkeiten, Proteste auf die Beine zu stellen, die nicht gegängelt oder sogar kriminalisiert werden."