In Großbritannien ist die Polizei beim Thema Racial Profiling schon weiter als in Deutschland. Grund dafür ist der ehemalige Polizist Nick Glynn. Er hat es geschafft, die Polizei zum Umdenken zu bewegen.
Die Polizei in Köln ist nach der Silvesternacht von einigen Seiten kritisiert worden. Der Begriff Racial Profiling ist in dem Zusammenhang öfters gefallen. Racial Profiling, so bezeichnet man eine Polizeikontrolle ohne konkreten Verdacht, allein aufgrund der Hautfarbe oder Herkunft einer Person. Wir haben mit jemand gesprochen, der beide Seiten kennt: Nick Glynn, ehemaliger Polizist und Bürger, der wegen seines Aussehens häufiger kontrolliert wurde als nötig. Er war es, der die Polizeireform in Großbritannien angeführt hat. Im Interview verrät uns Nick Glynn seine Meinung zum Thema Racial Profiling und wie er die Polizei in Großbritannien zum Umdenken bewegt hat.
PULS: Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit Polizeikontrollen?
Nick Glynn: Ich bin inzwischen 50 Jahre alt und gerate seit 30 Jahren regelmäßig in Polizeikontrollen. Neulich zum Beispiel, bin ich mit einem Flugzeug in Brüssel gelandet, in dem um die 40 Passagiere waren. Ich war der einzige schwarze Mann an Board. Und der Einzige, der bei der Passkontrolle extra kontrolliert wurde – und zwar vor allen anderen. Als ich die Polizisten gefragt habe, warum sie ausgerechnet mich kontrollieren, haben sie mir eine Geschichte erzählt, von der ich ziemlich sicher bin, dass es eine Ausrede war: Sie meinten, dass es ein Problem mit meiner Passnummer gäbe. Irgendwo seien Polizisten wegen irgendeines Dokuments an der Nummer interessiert. Ich reise ziemlich viel für meinen Job. Ich bin in der Woche davor und danach geflogen - und kein einziges Mal gab es weitere Probleme wegen der Nummer.
Sagen Sie in solchen Situationen, "Hey ich bin übrigens auch Polizist"?
Nein. Meistens nicht. Weil man es einfach nicht macht, rumlaufen und allen erzählen, dass man Polizist ist. Aber einige Male war es unumgänglich und ein paar Mal haben sie auch gefragt, was mein Job ist, dann musste ich es ja sagen.
Sie sind ehemaliger Polizist, haben sich die letzten Jahre intensiv mit Racial Profiling auseinandergesetzt und die Personenkontrollen in Großbritannien inzwischen reformiert. Wie kam es dazu?
Wir haben erkannt, dass es zu viele Personenkontrollen gibt und wir die Falschen kontrollieren. Polizisten verstehen in der Regel nicht, was es heißt, in eine Polizeikontrolle zu kommen, weil sie eben normalerweise nie selbst in Kontrollen geraten. Auch nicht ihre Familien oder Freunde. Das Wichtigste ist also, dass Polizisten verstehen, welche Folgen es hat, zu kontrollieren. Dann tun sie es weniger und machen es effizienter.
Was war das Schwierigste, Ihren Polizei-Kollegen beizubringen?
Das Wichtigste ist erstmal, dass Polizisten verstehen, welche negativen Folgen es haben kann, in eine Personenkontrolle zu geraten. Man hört oft diesen Satz "Wenn man nichts zu verstecken hat, dann kann es einem ja egal sein, wenn man in eine Personenkontrolle kommt". Leute, die sowas sagen, sind eben jene, die nie in Polizeikontrollen kommen. Die sprechen also nicht für sich, sondern über andere. Also das Wichtigste ist, dass Polizisten verstehen, welche Folgen es hat, zu kontrollieren. Dann tun sie es weniger und machen es effizienter.
Ist effiziente Polizeiarbeit möglich ohne Racial Profiling?
Absolut, ja! Racial Profiling ist als würde man ein riesiges Netz auswerfen, um einen einzigen Fisch zu fangen. Das ist an sich schon keine intelligente Herangehensweise. Wenn es in Köln zum Beispiel eine Straftat gab und es eine Beschreibung von dem Mann gibt, der sie begangen hat, dann kann man nach ihm suchen. Aber Aktionen der Polizei gegen eine ganze Gruppe zu richten, nur wegen ihrer Herkunft ist unproduktiv und illegal.
Wie macht man es besser?
In Großbritannien dürfen Personenkontrollen nur dann durchgeführt werden, wenn die Polizei davon ausgeht, dass die kontrollierte Person einen Gegenstand dabei hat, den sie nicht haben darf. Eine Waffe, Drogen oder etwas Gestohlenes oder wenn sich die Person auffällig verhält. Das beruht dann nicht auf Racial Profiling, sondern auf etwas, das die Polizei beobachtet hat oder vom Geheimdienst weiß.
Mal angenommen eine Gruppe von Nordafrikanern hängt auf der Straße in London ab, können die dann noch kontrolliert werden?
Das ist ja kein Verbrechen. Jeder darf abhängen, wo er will – also warum sollten die überhaupt kontrolliert werden? Der Kern dieser Frage zielt ja darauf ab, ob es ok ist, Leute aufgrund ihrer Herkunft zu kontrollieren und nein, das ist es nicht. Es ist gesetzeswidrig, unproduktiv und ineffizient.
Sie haben von der Debatte nach der Silvesternacht in Deutschland gehört?
Dass der Terminus "Nafri" vom offiziellen Twitter-Account der Polizei genutzt wurde, ist ein Problem. Solche Begriffe werden missbraucht und sind deshalb nicht bloß ein effizienter Weg, um über Nordafrikaner auf Twitter zu sprechen. Da muss man vorsichtig sein. Es gibt ganz ähnliche Begriffe hier in Großbritannien. Auch sie sind missbraucht worden von der Polizei und den Leuten – aber ich werde die hier nicht auspacken.
Auf der einen Seite wollen wir uns sicher fühlen und sind der Polizei natürlich dankbar für ihre Arbeit, auf der anderen Seite sollen aber nicht ganze Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht gestellt werden – wie sollten wir mit diesem Dilemma umgehen?
Einfach nur immer mehr Polizei, wird das Problem des internationalen Terrorismus nicht lösen – da brauchen wir uns nichts vormachen. Was unsere Sicherheit erhöht, ist wenn wir eine Polizei haben, der jeder vertraut. Wenn jeder daran glaubt, dass die Polizei fair ist, dann ist die beste Polizei die Gesellschaft: Leute, die ihren Familienmitgliedern sagen, dass sie besser sein lassen, was sie vorhaben. Oder Leute, die der Polizei Bescheid geben, wenn sie etwas in ihrem Umfeld beobachten. Das ist der einzige effektive Weg gegen Extremismus. Wenn aber die Polizei immer mehr ihre Befugnisse ausweitet, dann verliert sie Vertrauen und verprellt bestimmte Gruppen. Und eine kleine Minderheit von diesen Gruppen wird schlimme Dinge tun, weil sie sich verstoßen fühlt. Es ist also eher kontraproduktiv Polizeiaktionen auszubauen und immer mehr zu kontrollieren. Ich sage nicht, dass es einfach ist, hier eine Balance zu schaffen. Aber es kann gelingen.