„Gefahrenherd“: 30 Thüringer Neonazis sind in den Untergrund abgetaucht

Erstveröffentlicht: 
10.01.2017

Etwa 30 Rechtsextremisten in Thüringen sind in den Untergrund abgetaucht und werden derzeit von der Polizei mit Haftbefehl gesucht. Vor einem „ernst zu nehmenden Gefahrenherd“, warnt Katharina König, Extremismus-Expertin der Linken.

 

Erfurt. Die Zahl der offenen Haftbefehle nimmt zugleich zu: Allein 18 datieren aus dem vergangenen Jahr. Dies teilte das Landeskriminalamt der Thüringer Allgemeinen auf Anfrage mit. Die Politik in Thüringen reagiert besorgt, besonders mit Blick auf den 26. Januar 1998. An jenem Montag tauchten drei Thüringer Neonazis in den Untergrund ab: Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, bekannt als Nationalsozialistischer Untergrund.

 

"Es ist nicht auszuschließen, dass wieder Neonazis abtauchen und im Untergrund Straftaten bis hin zu Anschlägen begehen", teilte die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling mit, Rechtsextremismus-Fachfrau ihrer Fraktion.

 

Vor einem "ernst zu nehmenden Gefahrenherd", zumal "in Verbindung mit den illegalen Waffengeschäften von Neonazis in Thüringen", warnt Katharina König, Extremismus-Expertin der Linken. Durch die Aufarbeitung des NSU-Themas sei bekannt, "dass im Untergrund ein noch viel größeres Potenzial der Radikalisierung bis hin zur Bildung rechtsterroristischer Strukturen besteht", so König. 

 

Mehr Stellen für die Polizei


Wie dicht und weitverzweigt das Unterstützernetz sein muss, das abgetauchte Neonazis zu schützen vermag, lässt sich zumindest erahnen. Denn die Zahlen, die für ganz Deutschland vorliegen, sprechen eine klare Sprache. Demnach wurden - am Stichtag 10. Oktober 2016 - 454 Neonazis bundesweit per Haftbefehl gesucht. Als gewalttätig gelten 108 von ihnen.

 

Dass von den gesuchten Thüringer Neonazis momentan nur einer als Gewalttäter gilt, ist für Wolfgang Fiedler, den Innenexperten der CDU im Landtag, kein Grund zur Entwarnung. "Keiner kann in diese Leute hineinschauen und deren wirkliche Gefährlichkeit einschätzen", sagte Fiedler. "Auch ein Einzelner kann sehr gefährlich sein, vor allem wenn er gut vernetzt ist."

 

Mehr Personal, um offene Haftbefehle zu vollstrecken, fordern nicht nur Fiedler und Kai Christ, der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft GdP. Auch nach Auffassung der innenpolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Dorothea Marx, muss geprüft werden, "ob wir nicht auch wie die anderen Bundesländer einen Stellenaufwuchs im Vollzugsbereich brauchen".

 

Stephan Brandner (AfD) hält Grenzkontrollen für sinnvoll. "Dabei würden auch mehr Haftbefehle umgesetzt." 

 

Mindestens 46 Attacken auf Asylunterkünfte in Thüringen


Deutlicher noch als die Thüringer Zahlen lässt die bundesweite Statistik erkennen, dass offene Haftbefehle bei Rechtsextremisten ein wachsendes Problem darstellen.

 

Am 10. Oktober 2016 - das war der Stichtag für die Mitteilungen aus allen Ländern - gab es in Deutschland 598 offene Haftbefehle bei Rechtsextremen. 403 offene Haftbefehle waren allein im Jahr 2016 hinzugekommen, im Jahr 2015 waren es nur 86.

 

"Die seit Jahren ansteigende Zahl von untergetauchten Neonazis in Deutschland ist besorgniserregend", sagte die Thüringer Linke-Abgeordnete Katharina König.

Ein besonderes Problem sei die zunehmende Gewalt im Zusammenhang mit Migration. "Mehr als 921 Attacken auf Asylunterkünfte in Deutschland" habe es im vergangenen Jahr gegeben, so König, "davon allein 46 bis zum Herbst in Thüringen".