Am Mittwoch, den 14.12.2016 begann der Prozess gegen die erste von fünf Angeklagten im sog. koZe-Hoftorverfahren vor dem Amtsgericht St. Georg in Hamburg. Den Aktivist_innen wird vorgeworfen, während der Hofinvasion im Sommer 2015 [FN1] den Vertretern des LIG sowie Bauarbeiter*innen den Zutritt verwehrt und damit Nötigung begangen zu haben und während ihrer brutalen Festnahme [FN2] Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben. Eine der Angeklagten soll dabei einem gepanzerten Bullen weh getan haben. Empfangene Strafbefehle liegen zwischen 1200 und 1500 Euro pro Person bzw. bei bis zu 75 Tagen Haft.
Auf die Einladung zur Prozessbegleitung [FN 3] hin erschienen rund 20 solidarische Menschen Mittwoch früh zur Verhandlung, sodass der Verhandlungssaal immer voll belegt war.
Überblick über den ersten Prozesstag:
Der Prozess beginnt bereits zum zweiten Mal, nachdem beim ersten Termin im Sommer festgestellt wurde, dass der in dem Prozess wegweisende Mietvertrag des Stadtteilvereins für die ehemalige Kita plus Außengelände weiteren Diskussionsbedarf zeigt und daraufhin Nachermittlungen angeordnet worden waren. Bei diesem Termin stellte der Verteidiger zu Beginn wiederholt fest, dass Teile der Akte nicht vorhanden seien. Berichte in der Akte zeigten, dass nicht wie zunächst angenommen nur Hr. Nieberding vom PK 11 in St. Georg den Einsatz geleitet habe, sondern dass tatsächlich Hartmut Dudde verantwortlich gewesen sei. Ja, genau der Dudde, dem jetzt für OSZE und G20 die ganze Innenstadt als Spielfeld für Panzer, Helis, Schiffe und 28 Wasserwerfer gegeben wurde, und der sich durch bereits mehrfach rechtswidrige Großeinsätze berüchtigt gemacht hat. Ausgerechnet zu seiner Einsatzleiterfunktion gibt es keinen konkreten Bericht in der Akte. Für die Beurteilung, ob der ganze Einsatz rechtswidrig gewesen ist (und damit Widerstandshandlungen hinfällig wären), sei dieser Teil jedoch wichtig, weshalb ein Polizeizeuge für einen späteren Termin neu geladen wurde. Weitere bereits geladene Zeug_innen wurden ebenfalls auf einen der nächsten Verhandlungstermine verschoben.
Als erster und auch einziger Zeuge wurde am ersten Verhandlungs-Tag Daniel Singh, zum Einsatzzeitpunkt Beamter in der Rechtsabteilung des LIG, befragt, der auch am 27.7.15 bei der Hofinvasion vor Ort war. Bis heute ist er in leitende Positionen beim Finanzamt befördert worden. Bekannt ist er bereits aus dem letzten Prozess gegen die koZe/ den Stadtteilverein KuNaGe e.V. bezüglich der Räumungsklage, bei der er mehrfach betonte wie wichtig es sei, dass die alte Kita bereits im November leer sei, damit sie sofort abgerissen werden könne - aller spätestens aber Mitte Januar. Heute war plötzlich nur noch vom 1.März als Baubeginn die Rede... [FN4].
Inhaltliche Punkte Tag 1:
1. Zum Mietvertrag:
Zunächst ging es um den Mietvertrag [FN5]. Aus Sicht der Koze-Aktivist_innen ist klar: der Hof war mit angemietet, also hatte der LIG kein Recht, nachts mit einem Großaufgebot der Polizei im Rücken das Hoftor aufzubrechen. Der LIG hält dagegen, nur ein kleiner Bereich sei Mietgegenstand gewesen. Obwohl Hr. Singh den Mietvertrag mitgeschrieben hat, konnte er auf Nachfrage jedoch nicht sagen, wo die im Vertrag beschriebenen 50qm Außenfläche denn nun seien. Sein Fazit: "das ist wohl eine kleine Unschärfe - aber kein Vertrag ist perfekt."
2. Angebliche Ankündigung von Baumaßnahmen:
Weiter wurde er gefragt, warum ein Brief des LIG an den Stadtteilverein, in dem der Beginn von Schadstoffsanierungen auf dem Schulgelände "in den nächsten Wochen" angekündigt wurde, erst nach der Hof-Invasion zugestellt wurde, die direkt öffentlich mit beginnenden Asbestarbeiten begründet wurde. Das wäre ihre eigene Fläche und wenn wir sie angekündigt hätten, wären womöglich mehr Leute dagewesen [FN6]. Diese Furcht vor "mehr Leuten" begründet er mit verschlossenen Türen bei einem Begehungstermin des Schulgeländes samt koZe-Kita und einer wahlweise von ihm als "Comedyshow" und "Satire" bezeichneten kotze-Begehungstermin [FN7]. Warum der Brief nach der Hofinvasion überhaupt noch abgeschickt wurde, wisse er auch nicht mehr so genau...Die genauen Besitz- und Vermietungsverhältnisse von Hof und Schulkomplex konnten mit seiner Hilfe noch nicht geklärt werden und werden weiter Prozessthema bleiben.
3. Geheime Absprachen zwischen LIG/Finanzbehörde, Polizei und Staatsschutz:
Daniel Singh gab nebenbei offen zu, nie das Gespräch mit der koZe oder dem KuNaGe gesucht zu haben. Jedoch scheinen schon ab dem Frühjahr und auch noch nach der ersten Hofinvasion mehrere Gespräche mit Polizei und Staatsschutz stattgefunden zu haben. Worum es bei den Gesprächen, mindestens einmal sogar im Innenministerium, ging, wollte er nicht sagen, da würde er sich notfalls auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen. Wen er damit wohl decken möchte?
4. Die Rolle des Zeugen am Tag der Hofinvasion:
Schließlich ging es um den Tag der Hof-Invasion selbst. Singh war ab Beginn um halb 5 vor Ort mit dem Auftrag, ggf. Fragen zum Mietverhältnis zu klären. Dafür habe er extra den Mietvertrag im Rucksack gehabt. Wie genau er durchs von koZe-Nutzer_innen stets verschlossene Tor gekommen ist weiß er nicht mehr. "Entweder war das Schloss schon offen oder beim Dagegendrücken ist etwas kaputtgegangen".
Als ihn dann doch tatsächlich anwesende Menschen in einer wohl sehr ruhigen Situation auf das bestehende Mietverhältnis hinwiesen und verlangten, auf den Anwalt zu warten, sei aber alles "so schnell" gegangen, sodass er den Mietvertrag gar nicht hätte auspacken können. Angefasst worden sei er nicht, "aber plötzlich war ich wieder draußen vor dem Tor. Wie ich da hingekommen bin frage ich mich heute noch manchmal". Was er dann gemacht habe wisse er noch aber zeitliche Einschätzungen entgehen ihm völlig: Jedenfalls habe er dann zwischen 5:30 Uhr und 6:00 Uhr die Polizei gerufen. Schon 15 Minuten später sei der dem koZe schon bekannte PK11-Leiter Nieberdinger am Hoftor angekommen - zu Fuß. Und nur angebliche 30-60 Minuten später waren dann Hunderterschaft, Wasserwerfer und Räumpanzer vor Ort.
Da die Richterin nachmittags eine andere Verhandlung hatte wurden die übrigen Zeug_innen weggeschickt und der erste Verhandlungstag um 12:30 beendet.
Presseberichte:
http://taz.de/!5362375/ und http://www.pressreader.com/germany/neues-deutschland/20161214/282063391604612
Kommende Termine am Amtsgericht St. Georg, Lübeckertordamm 4:
- Sprungtermin am Fr, 2.1.2017 um 9:15 Uhr. Auf nur 15 Minuten angesetzt, damit Fristen eingehalten werden und eher uninteressant.
- Kino am Mo, 16.1.2017 um 9:30 Uhr bis ca. mittags. Fotos und Videoaufnahmen werden angeschaut. Da die StA keine Zeit hat, kommen keine Zeug_innen. Popcorn ist leider nicht erwünscht, es sei denn die Richterin bekommt auch was.
- Anhörung von Zeug_innen am Di, 27.1.17, 9:15 Uhr, wahrscheinlich wieder Raum 104, sonst ausgeschildert. Es werden der Vorstand des das koZe- Erdgeschoss und Außenfläche mietenden Stadtteilvereins KuNaGe e.V. und zwei weitere Zeug*innen angehört.
Auch am Mo, 16.1. und Di, 27.1. freuen sich die Angeklagte, die weiteren Betroffenen der Verfahren und der Unterstützungskreis über Unterstützung und Beobachtung. Bestimmt gibts auch wieder Kaffee und Tee!
Still lovin' koZe!
Immer noch "schlecht erzogen", und natürlich immer "nur auf Krawall aus" [s. auch FN6],
euer Unterstützungskreis der Hoftor-Verfahren
Für Rückfragen: E-Mail: hoftor-verfahren@riseup.net
[FN1] "[HH-koZe] Erklärung des kollektiven Zentrums (koZe) zur Hof-Invasion am Montag, den 27.07.2015" auf https://linksunten.indymedia.org/de/node/149668.
[FN2] 27.07.15 | Polizeieinsatz am kollektiven Zentrum in Hamburg https://www.youtube.com/watch?v=8g5IVdoqFZs&feature=youtu.be, mit Bericht im Lokalfernsehen https://www.youtube.com/watch?v=1nu2XM1cedE, und daraufhin eine aktuelle Stunde in der Hamburger Bürgerschaft https://www.youtube.com/watch?v=Vv5RYwC7o1Y.
[FN3] Update-Artikel zu den beginnenden Prozessen https://linksunten.indymedia.org/de/node/198922
[FN4] Anders als in der Räumungstitel-Verhandlung, siehe https://linksunten.indymedia.org/de/node/193210
[FN5] http://koze.in/wp-content/uploads/2015/06/PM-230316.pdf
[FN6] Das haben wir schon mal gehört vom Finanzbehörde-Sprecher Daniel Stricker http://www.taz.de/!5216511/