Polizeieinsatz in Köln: Nordafrikaner nach rechts

Erstveröffentlicht: 
02.01.2017
Soll, darf die Polizei nach ethnischen Merkmalen kontrollieren? Es geht ums Grundgesetz, aber diskutiert wird über Political Correctness. Das ist erbärmlich.
Ein Kommentar von Christian Bangel

 

Bislang gibt es nur ein einziges Argument, warum in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof nordafrikanische Männer ohne Begleitung offenbar besonders behandelt wurden. Es lautet: Weil's funktioniert hat. 

 

Das sagen Politiker, Journalisten, aber auch viele andere, die unter dem Hashtag #nafri über Linke und Linksliberale schimpfen, die angeblich die politische Korrektheit vor den Schutz des Bürgers stellen und so mit ihrer weltfremden Borniertheit der AfD weitere Wähler zuführen würden. 


Ein, nun ja, dünnes Argument wird unterlegt von einem Notstandgebrüll, das keine Experten und Debattenbeiträge hören will, sondern strammstehende Zustimmung im Angesicht des Feindes. Wer die Kölner Polizei nicht unterstützt, der hat den Schuss nicht gehört, der will seine Ideologie über die Unversehrtheit unserer Frauen stellen. Der ist gegen die Kölner Polizei. 

 

Ohne jede Frage: Was auf der Domplatte in Köln 2015 passiert ist, durfte sich nicht wiederholen. Und ohne eine tiefere Untersuchung wäre es unseriös, beurteilen zu wollen, was in jener Nacht unbedingt notwendig war, um das sicherzustellen. Trotzdem ist die Frage nach den Mitteln, die dafür eingesetzt wurden, weder ideologisch noch links. Im Gegenteil: In einer Welt, in der immer mehr Leute regieren, die Demokratie mit Mehrheitsdiktatur verwechseln, betrifft sie uns alle. 


Jeder von uns ist manchmal Teil einer Minderheit. Ob Stadionbesucher, Schwule, Sachsen, Haus- oder Hundebesitzer oder Erben: Sie alle sind darauf angewiesen, dass die Mehrheit keine Pauschalurteile über ihre Gruppe fällt und nicht versucht, repressiv gegen sie vorzugehen. 

 

Aber genau das hat die Kölner Polizei in der Silvesternacht gemacht. Auch in der Kriminalitätsbekämpfung geht es um Verhältnismäßigkeit. Sonst könnte man ja auch Fanblöcke in den Stadien abschaffen, um sichere Spiele zu garantieren. Oder in ganz Sachsen Checkpoints mit verdachtsunabhängigen Kontrollen einführen, um rassistische Übergriffe zu verhindern. 

 

Das geschieht aber nicht, und zwar, weil der Preis dafür zu hoch ist. Der Fußball wäre ohne Fans kein Fußball mehr, und wer weiß, auf welche Ideen die Sachsen kämen, wenn sie beim Bemmenkaufen ständig ihren Ausweis vorzeigen müssen. 

 

Grundgesetz, Artikel 3


Wichtiger aber ist: Kollektive Zuschreibungen widersprechen dem Geist eines Rechtsstaats. Sie heben die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Gruppe über seine eigene Persönlichkeit. Sie verneinen die Annahme, dass jeder Mensch ein selbstständiges Wesen ist, das über seine Prägung oder seine Gruppenzugehörigkeit hinauswächst. 

 

Kollektive negative Zuschreibungen führen zudem oft dazu, dass Mitglieder der Gruppe, der etwas unterstellt wird, sich als von der Mehrheit ausgegrenzt wahrnehmen und manchmal erst recht in Abschottung und zumindest verbale Gewaltbereitschaft abgleiten.   

 

Das ist für Sie jetzt übertriebener Minderheitenschutz? Dann lesen Sie doch mal, wie einfühlsam viele der Politiker und Journalisten, die jetzt auf angebliche linke Dogmatiker schimpfen, sonst AfD- und Pegida-Anhänger verteidigen.

 

Es ist heikel, dass die Kölner Polizei, trotz anderslautender Behauptungen, Herkunft zu einem Kriterium gemacht zu haben scheint. Denn man kann sich zwar entscheiden, ob man sich als AfD- oder BVB-Anhänger zu erkennen gibt, aber nicht, ob man als Nordafrikaner oder als Mitteleuropäer herumlaufen will. Man ist diesem Merkmal sein Leben lang ausgesetzt, zu jeder Stunde, ganz egal, ob man Professor oder Autodieb ist. Ist ein Stigma in der Welt, hat man zunächst keine Möglichkeit, ihm zu entfliehen. Man ist dazu verurteilt, es erst einmal widerlegen zu müssen.

 

Wenn die Polizei tatsächlich pauschal Angehörige einer Herkunftsgruppe eingekesselt haben sollte, dann ist das mindestens stigmenfördernd. Warum sollte die Polizei nordafrikanische Männer untersuchen, wenn die nicht auch alle verdächtig sind? Ein nicht endender Kreislauf kann entstehen, der den Keim für neue Gewaltausbrüche in sich trägt. Waren sich nicht alle einig, dass die Gewalt in Charlotte und Ferguson auch auf eine rassistische Polizeipraxis zurückzuführen ist?  

 

Wenn es in Deutschland Praxis werden soll, in bestimmten Fällen die Herkunft eines Menschen zu einem Kriterium zum polizeilichen Umgang mit ihm zu machen, dann geht es um die Hardware. Dann geht es um das Grundgesetz, Artikel 3. Dann braucht es Debatten, die sich gewaschen haben.  

 

Aber stattdessen werden Menschen, die zur Kölner Silvesternacht noch Fragen haben, als Realitätsverweigerer und Ideologen der politischen Korrektheit angebrüllt. Und zwar auch von Leuten, die sonst vom Ende der Demokratie jammern, weil angeblich die AfD ausgegrenzt wird. So ist es hier in Deutschland, am Beginn von 2017, dem Superwahljahr.


Anm. des Autors: In einer früheren Version dieses Textes war von einer "Sonderbehandlung" nordafrikanischer Männer die Rede. Dieser Begriff trägt eine besondere Bedeutung durch seine Benutzung im Nationalsozialismus und lädt zu irreführenden Assoziationen ein. Daher haben wir ihn geändert.