Der sog. Friedensprozess im Baskenland treibt immer exotischere Blüten. Zuletzt wurden im französischen Baskenland fünf bekannte Persönlichkeiten verhaftet, die damit beschäftigt waren, ETA-Waffen unbrauchbar zu machen, die ihnen von der Untergrund-Organisation zur Vernichtung übergeben worden waren. Was als gute Aktion gedacht war, wurde zur Verhaftungs-Nummer, denn Frankreich und Spanien setzen nach wie vor auf polizeiliches Vorgehen und schließen Verhandlungen jeglicher Art kategorisch aus.
Weil der baskische Friedensprozess aufgrund des Boykotts der Regierungen keinen Fortschritt macht, haben Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zur Selbsthilfe gegriffen und mit der Vernichtung von ETA-Waffen begonnen. Dafür wurden sie verhaftet.
Der sogenannte baskisch-spanische Friedens-Prozess hat 5 Jahre nach dem definitivem Gewaltverzicht von ETA einen weiteren Tiefpunkt erreicht. Nach wie vor ignoriert die spanische Regierung konsequent alle Ratschläge von Konfliktvermittlern. Sie negiert und sabotiert die einseitigen Schritte von Seiten von ETA, die Repression der Regierungen in Paris und Madrid hat surreale Ausmaße angenommen, die sowohl in der eigenen Bevölkerung wie auch international scharf kritisiert werden.
Fünf Jahre nachdem ETA ihre Bereitschaft erklärt hat, in geordneter Weise ihre Waffen abzugeben, weigern sich die Behörden in den Staaten Frankreich und Spanien beharrlich, dieses Angebot praktisch werden zu lassen, sie machen sie deutlich, dass sie daran kein Interesse haben. Insbesondere die spanische Politik hat mit ETA ihr wichtigstes Feindbild verloren, ein Feindbild, mit dem jahrzehntelang alle politischen und wirtschaftlichen Miseren und Widersprüche kaschiert wurden. Was sich nun im französischen Baskenland ereignete wird eines Tages sicher Eingang finden in die Geschichtsbücher der Konfliktforschung: als Beipiel, wie Konflikte NICHT beigelegt werden.
Die französische Polizei (in Zusammenarbeit mit der spanischen Guardia Civil) hat im Dorf Luhuso (fz. Louhossoa, 30 km von Baiona-Bayonne entfernt, französisches Baskenland) ein Landhaus gestürmt, in dem sich Waffen von ETA befanden, die umgehend unbrauchbar gemacht werden sollten. Dabei wurden fünf Personen festgenommen, die Zugang hatten zu diesem Haus. ETA-Mitglieder? Beileibe nicht – alles andere als das! Es handelt sich um bekannte Personen aus dem öffentlichen Leben, einen Weinbauern, einen Menschenrechts-Aktivistinnen, einen Verantwortlichen der Handelskammer, eine Journalistin, einen Fotografen. Bereits vor Wochen hatten sie – ohne es zu konkretisieren – öffentlich erklärt, dass sie aktiv werden wollen im Friedens-Prozess.
In der Folge der Verhaftung meldete die Polizei, es seien Terroristen festgenommen worden, was sich als falsch herausstellte. Weil die festgenommenen Friedens-Aktivistinnen befürchten mussten, dass ihre Bemühungen von der Polizei entdeckt werden, hatten sie an neutralem Ort bereits Informationen hinterlegt, in denen sie ihre Motivation erklärten. Unter anderem ein Foto, auf dem zwei Maschinen zu sehen sind, mit denen die ETA-Waffen unbrauchbar gemacht wurden und werden sollten. Über die Absichten von ETA besteht kein Zweifel, die Absichten der Regierungen stehen dem diametral entgegen.
Friedensaktivisten entwaffnen ETA
Bei den Verhafteten handelt es sich um den ehemaligen Präsidenten der Landwirtschafts-Kammer des französischen Baskenlands Michel Berhocoirigoiny, den Vorsitzenden des ökologischen Kollektivs „Bizi!“ (baskisch: Leben!) Jean-Noël Etcheverry, den Winzer Michel Bergougnian, die Journalistin Beatrice Molle und den Kameramann Stéphane Etchegaray. Sie wurden auf einem Bauernhof in Luhuso (franz: Louhossoa), einem kleinen Ort in der Nähe der spanischen Grenze festgenommen (1).
Die Aktion der fünf prominenten Persönlichkeiten der Region habe das Ziel gehabt, den Friedensprozess aus seiner Krise zu führen. „Wir wollten den Prozess einen frischen Impuls geben, die Blockade durch die französische und die spanische Regierung überwinden, eine erste Vernichtung von Waffen durchführen und diese den Behörden schicken, erklärte Michel Tubiana, Ehrenpräsident der Französischen Liga für Menschenrechte, der selbst an der Aktion beteiligt war, den Ort aber nicht rechtzeitig erreicht hatte. Tubiana griff die spanische und die französische Polizei nach der Festnahme von fünf Personen scharf an. Er machte klar, dass es Mitgliedern der Zivilgesellschaft darum gehe, dem einseitigen „durch Frankreich und Spanien blockierten Friedensprozess einen neuen Schub zu geben", erklärte er (1).
Was war geschehen?
Am 16.Dezember 2016 stürmten Einheiten der französischen Gendarmerie und der spanischen Guardi Civil ein Landhaus in Luhuso (Iparralde – französisches Baskenland), weil sie ermittelt hatten, dass dort Waffen von ETA vernichtet werden sollten. Die Aktivistinnen, die diese Form der Entwaffnung durchführen wollten, waren auf diesen Eventualfall vorbereitet und sandten im letzten Moment Presseerklärungen und Bildmaterial an die Medien.
Die Gruppe von fünf Personen des öffentlichen Lebens hatte vor Wochen mit ETA Kontakt aufgenommen und ihre Bereitschaft erklärt. Gleichzeitig stand die Gruppe in Verbindung mit einer internationalen Kommission, die einen Tag darauf die Waffenvernichtung bestätigen sollte. Über die Zusammensetzung dieser Kommission wurden vorläufig keine Angaben gemacht. Nach zwei Tagen in Haft wurden die fünf Verhafteten unter Auflagen wieder entlassen, sie sehen nun einer Anklage entgegen (2). In einem Radio-Interview bestätigte Mixel Berhokoirigoin, dass bereits einen Tag nach der Verhaftung die Entwaffnung formal verifiziert werden sollte. Freimütig gab er Ausfkunft über Motivtion und Ziel der Aktion und berichtete von verschiedenen Details. Mixel Berhokoirigoin und Joel Etxeberri machten dabei deutlich, dass es nie ihre Absicht gewesen sei, heimlich zu handeln. Deshalb hatten sie bereits im Vorfeld Informationen hinterlegt bei Presseorganen – für den Fall einer Verhaftung. In dem Landhaus hatte die Entwaffnungs-Gruppe eine kleine Werkstatt eingerichtet mit Schleifmaschinen, elektrischen Sägen und einer Kamera, mit der alles gefilmt werden sollte.
Die beiden machten deutlich, dass sie sich freiwillig und bewusst an ETA gewandt hatten, um bei der Entwaffnung zu helfen, „weil es unsinnig ist, wenn Waffen in der Landschaft herumliegen, die womöglich in die falschen Hände geraten“. „Wir haben ansonsten nichts mit ETA zu tun, weder organisch noch sonst irgendwie, was wir gemacht haben, geschah aus eigener Initiative“. In einem Interview mit der Tageszeitung Liberation sagte Etxeberri, ein führender Kopf der Ökologie-Bewegung BIZI! (baskisch: Leben!), sie hätten sich am 19.Oktober mit ETA in Verbindung gesetzt, um eine Entwaffnungsaktion vorzuschlagen. Daraufhin übergab ETA der Gruppe eine Liste mit Pistolen und Sprengstoff, die in verschiedenen Verstecken Frankreichs gelagert sind. Am vergangenen 16.Dezember holte der Ökologe dann 11 Truhen mit Waffen ab, die ETA versiegelt hinterlassen hatte. Er lud sie in einen Bulli und brachte sie ins Landhaus, Eigentum der Journalistin Beatrice Molle (2).
Etxeberri erzählte, dass sie sich von der Polizei beobachtet gefühlt hätten, dass jedoch beschlossen worden sei, die Aktion zum Ende zu bringen. Absicht sei es nicht gewesen, „Beweise zu vernichten“, wie von der Justiz formuliert. Beschlagnahmt wurden bei der Razzia 29 Pistolen, 9 Sturmgewehre, 12 Maschinenpistolen, 2 Granaten, eine Menge Munition, Sprengstoff, Material zur Herstellung von Zündern. Das ganze entspricht 15% des Arsenals, über das ETA noch verfügt und das die Untergrund-Organisation los werden will. Aber nicht um jeden politischen Preis: die Entwaffnung soll geordnet, international überwacht und nach Absprache erfolgen (2).
Zum Zeitpunkt der Razzia waren Berhokoirigoin, Bergougnian und Etxeberri im Landhaus von Luhuso. Etxeberria blieb gerade noch Zeit, um eine vorbereitete Presseerklärung loszuschicken und öffentlich über die Absicht der Gruppe zu informieren. So gelangte ein Foto der Entwaffnungs-Werkstatt an die Presse. Die baskische Regierung, erklärte er auf Nachfrage, habe von der Aktion nichts gewusst. Berhokoirigoin machte deutlich, dass für einen Entwaffnungsprozess „unabhängige Instrumente notwendig seien, internationale Beteiligung und lokale Strukturen. „Alle müssen daran teilnehmen“: die baskische, die navarrische, die spanische und die französische Regierung (2).
Allgemeine Proteste
Etwas überraschend war die Reaktion der Öffentlichkeit auf die Verhaftungen. In Baiona (franz. Bayonne) forderten am Tage nach der Razzia mehr als 4.000 Menschen die Freilassung der Aktivistinnen, an diesem Protest waren alle Parteien (bis auf die Front National) beteiligt. Das zeigt, dass man auch hier im französischen Baskenland nicht mehr gewillt ist, die absurde Regierungs-Propaganda einfach zu schlucken. Französische Sozialisten, Konservative und baskische Linke sowie Gewerkschaften und zivile Organisation haben in einer gemeinsamen Erklärung dargelegt, dass andere die Arbeit der Festgenommenen übernehmen werden und daran auch die Repression nichts ändern wird. Sie bestätigten die „Verpflichtung der Festgenommenen für den Frieden " und forderten von Frankreich und Spanien, „sich in Prozess der Entwaffnung und einer umfassenden Konfliktlösung einzubringen". Dafür sei die Entwaffnung eine „unabdingbare Bedingung", damit das Baskenland eine „demokratische Zukunft ohne Gewalt" erhalte (1). Auch der Bürgermeister von Baiona, der der Mitte-Rechts-Partei Union des Démocrates et Indépendants (UDI) angehört, beteiligte sich an der Demonstration. In einer Twitter-Meldung nannte er die Polizeiaktion „zynisch“ und die Verhafteten „unbestreitbare Friedensstifter“ (3).
Tage später fanden sich 600 gewählte Repräsentantinnen aus Iparralde zusammen, Bürgermeisterinnen und Abgeordnete verschiedener Parteien. Sie forderten Paris und Madrid zur politischen Einmischung in der Entwaffnungs-Frage auf und übergaben ein Protestschreiben. Auch im südlichen Baskenland kam es zu verschiedenen Kundgebungen, die die Polizeiaktion von Luhuso geißelten, beteiligt waren hier die baskische Linke von EH Bildu, die baskischen Christdemokraten von der PNV und Podemos. Gegenstimmen kamen von der PP und den Sozialdemokraten, die eine andere Linie verfolgen als ihre baskisch-französischen Kolleginnen.
Notwendigkeit von Entwaffnung
Die Vernichtung der Waffenlager von ETA wäre ein wichtiger Schritt, um den festgefahrenen baskischen Friedensprozess voranzubringen. Die baskische Untergrund-Organisation hat bereits vor fünf Jahren ihren 50-jährigen bewaffneten Kampf für ein unabhängiges Baskenland beendet. Ihre Versuche, die Waffenlager mit internationaler Hilfe zu vernichten, scheitern jedoch seit Jahren an der spanischen Regierung, die bisher alle Initiativen ausbremste. Als im Februar 2014 internationale Beobachter das Video eines ersten symbolischen Aktes der Entwaffnung veröffentlichten, wurden sie von der spanischen Polizei an der Ausreise gehindert und verhört. Der südafrikanische Anwalt und Konfliktmoderator Brian Currin bezeichnet dies in einem Interview zum Friedensprozess vom März 2015 als Warnung aus Madrid. Es „sollte damit eindeutig klargemacht werden, wer auch immer sich in die Entwaffnung von ETA einmischt, kann damit rechnen, einen kriminellen Akt zu begehen“. So steht der Prozess vor der absurden Situation, dass ETA bisher ihre Waffen nicht abgeben kann, weil die spanischen und französischen Behörden dies verhindern (3).
Wohin mit den Waffen?
Von der Notwendigkeit der Entsorgung von Waffen, die nicht mehr zum Einsatz kommen sollen, sind im Prinzip alle am Konflikt Beteiligten überzeugt. Über die Frage des WIE bestehen allerdings kontroverse Ansichten. Tatsache ist, dass ETA sich nicht auflösen kann wie die spanische Regierung dies fordert, andere Schritte müssen vorausgehen. Zum Beispiel muss das Schicksal der nach wie vor mehr als 350 politischen Gefangenen geklärt werden. Erfahrene Konfliktvermittler fordern eine Strafverkürzung und vorzeitige Entlassung für all jene Gefangene, die nicht wegen„Bluttaten“ verurteilt wurden, sondern wegen ihrer politischen Tätigkeit. Gefordert wir eine „Übergangs-Justiz“, wie dies in anderen Konflikten erfolgreich praktiziert wurde, zum Beispiel in Nordirland. Obwohl ETA mehrfach einseitige Schritte unternommen hat und keinerlei Zweifel über die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten besteht, will die spanische Regierung von all dem nichts wissen und setzt auf Polizei und Überwachung. Sie ist nicht einmal bereit ihre eigenen Gesetze zu befolgen, denn die Verlegung der Gefangenen in entfernte Haftanstalten ist sowohl nach spanischem Recht wie auch nach internationalen Maßstäben illegal. Selbst schwerkranke Gefangene, die vom Tod bedroht sind, werden nicht entlassen.
ANMERKUNGEN:
(0) Der Artikel wurde publiziert im Portal www.baskultur.info
(1) Artikel „Wir wollten Waffen zerstören und sie an die Behörden schicken" von Ralf Streck auf Heise.de (Link)
(2) Artikel in der baskischen Tageszeitung Deia 24.12.2016 „El arsenal de ETA en Luhuso iba a ser verificado por una comisión international”
(3) Artikel bei Baskenland-Friedensprozess.de: „Zynische Polizeiaktion im französischen Baskenland“ (Link)
http://baskenland-friedensprozess.de/zynische-polizeiaktion-im-franzoesischen-baskenland