Pegida macht jetzt auf sozial

Erstveröffentlicht: 
23.12.2016
In Dresden kümmert sich ein Verein um Obdachlose – aber nur deutsche. Auch andere Sozialvereine kooperieren mit den Flüchtlingsfeinden, nur einer hält dagegen.

 

Der Saal im Dresdner Ballhaus Watzke ist warm erleuchtet, die Tafeln zwischen den Marmorsäulen sind mit Kerzen, Äpfeln und Schokoweihnachtsmännern dekoriert. Die knapp 400 Gäste plaudern, speisen Gänsebraten mit Rotkohl, lachen über die Pointen des Kabarettisten Uwe Steimle, dann legt DJ Happy Vibes Musik auf.  

 

Die meisten sind zum ersten Mal hier. Es sind Mütter, Kinder, auch bärtige Männer, die man sonst auf Bahnhöfen oder in Wärmestuben sieht. Für viele von ihnen wird es das einzige Mahl in dem Dresdner Restaurant bleiben. Im Alltag fehlt das nötige Geld.

 

Ermöglicht hat das Weihnachtsessen der Verein Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V., gegründet am 21. Juli 2016, vom Finanzamt als mildtätig anerkannt. Vereinschef Ingolf Knajder ist der Hauptorganisator, 53 Jahre alt, Angestellter im Dresdner Autohaus Heike Hanisch GmbH, das auch einer der ersten Unterstützer des Vereins ist. Knajder hat die Idee mit dem Gänsebraten für Hilfebedürftige aus Berlin übernommen, wo er acht Jahre einen Reifen- und Autohandel leitete. In Berlin lädt der Unterhaltungskünstler Frank Zander seit 1995 Obdachlose zum Weihnachtsessen in ein Vier-Sterne-Hotel ein.

 

Der Unterschied: Für Zander macht es keinen Unterschied, woher seine Gäste kommen, für Knajder schon.

 

Knajders Verein beschränkt sein Engagement qua Satzung auf "Dresdner Obdachlose und Bedürftige". Er betont zwar auf Nachfrage, auch "Dresdner mit Migrationshintergrund" erhielten bei ihm Hilfe. Auch Flüchtlinge? "Das besprechen wir, wenn es soweit ist", weicht er aus.

 

Man muss nicht lange suchen, um die Motivation dieses Vereins zu entschlüsseln. Er rekrutiert sich aus der islamfeindlichen Pegida-Bewegung, die hier in Dresden ihre Wurzeln hat. Knajder lief nicht nur bei den Montagsaufzügen mit, er stand neben Pegida-Mitgründer Lutz Bachmann auf der Bühne, trat als Ordner in Erscheinung, er ist fest mit dem rechten Milieu verwachsen. In seiner Wortwahl gegen "Gutmenschen" und Rassismusgegner ist er menschenfeindlich, auf der Straße wird er handfest. Andersdenkende beschimpft er als "elende Kommunisten Votze", die Linken-Vorsitzende Katja Kipping beleidigte er als "rote verlogene Stasi-Hexe", der erkrankten Oberbürgermeisterin Helma Orosz schrieb er: "Möge Sie der Krebs endlich holen".

 

Als junge Linke im Mai in Dresden aus einer Seitenstraße heraus gegen einen Pegida-Aufzug protestieren, stürmte Knajder hervor und versuchte, ihnen ihr Transparent zu entreißen. Er ist Administrator einer Facebook-Gruppe, die Dresden vor "Islam-Toleranz-Romantikern, Gutmenschen-Spinnern und Deutschland-Hassern!" schützen will.

 

Unter den Mitgliedern der Facebook-Gruppe der Obdachlosenhilfe ist neben Pegida-Mitorganisator Siegfried Daebritz auch der zweite Vereinsvorsitzende Uwe Riedel, ein Bauunternehmer, der auf Facebook für die NPD wirbt und die Identitäre Bewegung. Riedel sprach sich auch dafür aus, "dieses Drecksgesindel von "Politikern" auf[zu]hängen". Als die lokale FDP erfuhr, dass auch ihr Kreisvorstandsmitglied Jens Genschmar mit Knajder im Vereinsvorstand sitzt, stellte man ihn zur Rede. Statt zu antworten, trat Genschmar zurück. 

 

Spenden nur für Deutsche


Der Dresdner Verein ist das erste Sozialprojekt, das sich aus dem Personal und dem Geist von Pegida rekrutiert. Die Protestbewegung wird zur Kümmerer-Initiative. Schon die NPD erkannte vor Jahren, dass das Helfer-Image Wähler anzieht, heute profiliert sich die AfD in den Landtagen als Problemlöser der kleinen Leute.  

 

Die Beschränkung der Hilfe auf deutsche Bedürftige hat in Dresden eine gewaltige Hilfsbereitschaft freigesetzt: Am Telefon erzählt Knajder von sieben Mercedes Sprinter-Transportern voll mit Kleiderspenden, die vor dem Weihnachtsessen zusammenkamen. Im Hintergrund klappert Geschirr, die Kellner decken die Tafeln im Ballhaus ein, das Weihnachtsessen soll mit Kaffee und Stollen beginnen. Er sei "geplättet von der Hilfsbereitschaft". Jetzt zeige sich, "dass Dresden mehr ist als Pegida". Etwa 70 Mitglieder habe der Verein bereits aufgenommen, Dutzende weitere Anträge stapelten sich, sagt Knajder. Dass er bei Pegida selbst tief mit drinsteckt, verschweigt er.

 

Viele seiner Anhänger treibt der Argwohn, der Staat verschleudere Millionensummen für Flüchtlinge, während deutsche Arme Hunger leiden. Sie glauben die Mär, Flüchtlinge würden gegenüber deutschen Bedürftigen bevorzugt und seien eigentlich wohlhabend. Dabei liegt der Regelsatz für Flüchtlinge mit eigener Wohnung bei 362 Euro, Alleinstehende Hartz-IV-Empfänger bekommen 42 Euro mehr. "Die Menschen kommen ohne Pässe nach Europa, haben aber alle mindestens ein Handy dabei", beklagt Knajder. Das könne er nicht gutheißen. 

 

Sein Verein sei nicht fremdenfeindlich


Der Neid wegen der Handys ist so alt wie die Flüchtlingskrise. Dabei sind sie oft der einzige Besitz der Geflüchteten, die einzige Verbindung in die Heimat, der letzte Rest Privatsphäre in den engen, lauten Massenunterkünften.

 

Um den Neid zu schüren, wird auch nicht unterschieden zwischen dem Geld, was die Asylbewerber selbst erhalten und den Beträgen, die der Staat an Betreuer und Betreiber der Unterkünfte zahlt – Geld, das letztlich ja lokalen Unternehmen zugutekommt und den Wirtschaftskreislauf stärkt. "Tägliche Betreuungskosten von 140 € bis 265 € , was für ein Wahnsinn", schreibt Knajder auf Facebook über minderjährige Asylsuchende.

 

Sein Verein sei gar nicht fremdenfeindlich, verteidigt sich Knajder. "Wir begrenzen unsere Hilfe nur." Dass er so eine ganze Menschengruppe wegen ihrer Herkunft ausgrenzt, streitet er ab. 

 

Das Dilemma der anderen Vereine


Bisher war sich Dresden einig: Wer Hilfe braucht, muss Hilfe bekommen. Seit aber Pegida in die Obdachlosenarbeit eingestiegen ist, befinden sich die anderen Hilfsinitiativen der Stadt in einem Dilemma: Knajder hat einen Teil der Eintrittskarten für sein Weihnachtsessen auch an die Tafel-Vereine in Dresden und Umland verteilt, auch an die Heilsarmee. Müsste man einem solch rassistischen Verein nicht die Kooperation verweigern, fragte sich deren Chef Gert Scharf. Oder ist das Wohl der Wohnungslosen wichtiger? "Ich ließ mich auf das Experiment ein", sagt Scharf, trotz Bedenken. Er verteilte 60 Karten von Knajder an seine Klienten und gab der Obdachlosenhilfe zeitgleich per Mail zu verstehen, dass die Zusammenarbeit sofort beendet werde, "wenn wir nur einen Hauch von Ausschluss bestimmter Personengruppen mitbekommen". Scharf hat erkannt, dass die Obdachlosenhilfe "mit deutschnationalen Gedanken sympathisiert".

 

Auch Christian Schmidt von der Tafel Radebeul lehnt Ausgrenzung ab und distanziert sich von Knajders Verein. "Doch dann gab es dieses Angebot – Stollen und Gänsebraten", sagt er. "Da habe ich gedacht, ich tue was Gutes". Schmidt verteilte 70 von Knajders Eintrittskarten an seine Tafel-Besucher, sie wurden ihm "aus den Händen gerissen". Auch an die Tafel in Freital und die Diakonie will Knajder Karten losgeworden sein.

 

Nur Andreas Schönherr von der Dresdner Tafel blieb konsequent und lehnte Knajders Karten ab, "weil alle öffentlich benannten Personen des Vereins rassistisch agieren". Seitdem sieht sich Schönherr einer Schmutzkampagne ausgesetzt. Unbekannte Personen erkundigten sich bei Tafel-Besuchern und -Mitarbeitern nach Details seiner Arbeit, sagt er. Beobachter rollten in Autos an der Lebensmittel-Ausgabestelle an, um Gäste zu fotografieren. Knajder sagte in einem Interview, die Dresdner Tafel sei nicht gegründet worden, um "Scheinasylanten, kriminelle Migranten und islamistische Terroristen zu beköstigen".

 

Die Polizei fahre nun häufiger an seinem Wohnhaus vorbei, sagt Schönherr. In einem Telefonat habe er Knajder klargemacht, dass seine Tafel nicht zwischen deutschen und ausländischen Hilfsbedürftigen unterscheide. Knajder habe entgegnet, der Staat tue einfach zu viel für Flüchtlinge. Der Streit eskalierte derart, dass Schönherr das Gespräch beendete.

 

Stunden später schrieb Knajder auf Facebook, Menschen wie Schönherr "wünsche ich den baldigen Tod und nichts anderes". Zwei CDU-Stadträte kommentierten das mit den Worten, man solle die Tafel finanziell überprüfen. Tage später setzte Knajder nach, es sei traurig, dass manche Menschen an Krebs sterben, "während Menschen wie Herr Schönherr ein langes Leben haben und es besser umgedreht wäre". Schönherr beauftragte einen Anwalt, verlangte von Knajder Unterlassung und Schadensersatz, doch der weigerte sich.

 

Die Sache liegt jetzt im Landgericht Dresden. Am Freitag soll das Urteil fallen. Schönherr hofft, dass der Richter objektiv entscheidet. Denn der Jurist Jens Maier ist aktives Mitglied der AfD, er kandidiert derzeit für den Bundestag. Knajders Rechtsbeistand dürfte Maier bereits kennen, den erst vor wenigen Wochen aus der CDU ausgetretene Maximilian Krah. Eine seiner prominentesten Mandantinnen ist Frauke Petry.

 

Korrektur: Ursprünglich hatten wir Jens Genschmar als Kreisvorsitzenden der FDP bezeichnet. Er war jedoch nur Vorstandsmitglied. Wir haben den Fehler korrigiert.


Hinweis: Das genannte Autohaus Heike Hanisch GmbH ist nicht identisch mit dem Dresdner Autohaus Steffen Hanisch


Ergänzung: Ingolf Knajder legt Wert auf die Feststellung, dass Siegfried Daebritz nicht Mitglied im Verein ist. Er ist Mitglied der öffentlichen Facebook-Gruppe Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen e.V.