Statt die von einem Zeugen gelieferte Spur zu verfolgen, soll die Polizei diesen an den Geheimdienst vermittelt haben.
Freital/Dresden. Im Fall der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung "Gruppe Freital" gibt es neue Hinweise auf Verfehlungen sächsischer Behörden. Laut dem Magazin "Spiegel" hatte die Dresdner Polizei länger als bisher eingeräumt Kenntnis von Gefährlichkeit und Organisationsstruktur der Gruppe. Bereits am 20. Oktober, zwei Tage nach einem Anschlag auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden, habe sich ein Zeuge aus dem Umfeld der Gruppe an die Polizei gewandt und umfassende Informationen geliefert, berichtet der "Spiegel" in der aktuellen Ausgabe unter Berufung auf Ermittlungsakten. Statt der Spur zu folgen, habe die Polizei dem Zeugen empfohlen, sich an den Verfassungsschutz zu wenden. Man bot sogar an, einen "Übergabetermin" zu organisieren, schildert das Magazin mit Verweis auf einen Aktenvermerk.
Bisher war eingeräumt worden, dass der genannte Zeuge sich eine Woche später als jetzt bekannt geworden bei der Polizei gemeldet habe und damit nur Tage vor dem schwersten Sprengstoffanschlag der Gruppe auf eine Freitaler Asylbewerberunterkunft. Der Anschlag in der Nacht vom 1. November, bei dem ein 26-jähriger Syrer durch berstende Scheiben verletzt wurde, ist das schwerste Delikt, das man der Gruppe zur Last legt. Die Bundesanwaltschaft, die im April 2016 das Verfahren an sich zog, wertet den Anschlag als vierfachen versuchten Mord. Nur weil einer der Bewohner des Hauses vorm Fenster eine Lunte hatte brennen sehen, war es den Bewohnern gelungen, sich vor der Detonation der Sprengkörper an den Fenstern rechtzeitig in innen liegende Räume zurückzuziehen. Anders als die Bundesanwaltschaft wollten Dresdner Ermittler die Organisationsstruktur der Gruppe zuvor nicht erkannt haben. Sie hatten gesondert einzelne Straftaten verfolgt.
Schon das Bekanntwerden der Tatsache, dass es einen Zeugen aus dem Umfeld der "Gruppe Freital" gab, provozierte im April Diskussionen, zumal es zunächst hieß, es handele es sich um einen Polizisten. Laut dem Formular des Zeugen hatte der sich per "Dienstmarke" legitimiert. Als seine ladungsfähige Anschrift war die Polizeidirektion eingetragen. Das Innenministerium dementierte, dass die Polizei verdeckte Ermittler oder V-Leute in der Gruppe gehabt habe. Beim Vermerk "Legitimation per Dienstmarke" liege ein Missverständnis vor.
Angesichts der neuen Enthüllung drängt sich Valentin Lippmann von der Grünen-Landtagsfraktion der Verdacht auf, dass Verfassungsschutz oder Polizei "oder gar beide bereits vor dem Anschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in Freital von den Plänen gewusst haben". Er fordert Aufklärung. Die Linken wollen eine Sondersitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses beantragen, erklärte der Ausschussvorsitzende Klaus Bartl (Linke).