Ich bin dann mal weg

Erstveröffentlicht: 
04.10.2016

Fast alle Parteien verlieren im Landkreis an Mitgliedern. Das hat aber nicht nur mit mangelndem Vertrauen zu tun.

 

Dippoldiswalde. Wie hieß es in der SED-Hymne: „Die Partei, die Partei, die hat immer recht und, Genossen, es bleibe dabei. Denn wer kämpft für das Recht, der hat immer recht gegen Lüge und Ausbeuterei.“ Von einem solchen Vertrauen in die Parteien kann derzeit nicht wirklich die Rede sein. Das ergab eine aktuelle Befragung der Bevölkerung zu Parteikompetenzen. Knapp 30 Prozent können sich beispielsweise mit der Asylpolitik keiner Partei identifizieren. Noch mehr Befragte trauen keiner deutschen Partei zu, die wichtigen Probleme des Landes zu lösen.

 

Doch die etablierten Parteien verlieren nicht nur an Wählern, sondern auch zunehmend Mitglieder. Die stärksten Parteien im Landkreis sind nach wie vor CDU und Linke. Zwischen Freital, Pirna, Sebnitz und Dippoldiswalde hat die CDU derzeit 936 Mitglieder. Blickt man fünf Jahre zurück, bedeutet das einen Mitgliederschwund von etwa fünf Prozent. Dazwischen liegt ein Hoch: Die Kreis-CDU wuchs 2013 auf 1046 Mitglieder an, weil durch eine Kampfkandidatur um ein Landtagsmandat massiv Mitgliederbewerbung betrieben wurde. Bereits 2015 rutschten die Zahlen aber wieder unter die Tausend. In ganz Sachsen ist die CDU um elf Prozent geschrumpft. 

 

An Zugkraft verloren


Werner Patzelt, Professor für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden und selbst Mitglied der Christdemokraten, schätzt die Entwicklungen ein: „Die Attraktivität der CDU wird derzeit von zweierlei gemindert: Sie hat im Sachsenland an programmatischer Zugkraft verloren – und Konservative sowie Rechte fangen an, sich von der CDU abzuwenden und die AfD als ihre Partei anzusehen. Hätten wir präzise Daten über die Parteimitglieder der AfD, würde man das gewiss auch unter ihnen klar nachweisen – und nicht nur bei den Wählerwanderungen.“

 

Sehr viel mehr Mitglieder hat die Linke in der Region verloren. Waren es vor fünf Jahren noch 603, zählt die Partei im Landkreis heute nur noch 440 Mitglieder. Die Schrumpfung passiere aus Altersgründen, sagt der stellvertretende Kreisvorsitzende der Linken, Marco Mätze. Man gehe davon aus, „dass der Prozess der Schrumpfung demografisch begründet etwa noch fünf bis zehn Jahre anhalten wird.“ Patzelt sieht die Verluste auch im „Wandel der PDS zu einer normalen bundesdeutschen Linkspartei“ begründet. „Und jene, welche die PDS einst wegen ihrer Kritik am bundesdeutschen System gewinnen konnte, werden inzwischen von der AfD angezogen.“

 

Die AfD hat nach SZ-Informationen im Landkreis weniger als 100 Mitglieder, der Vorstand hat jedoch beschlossen, der Sächsischen Zeitung keine genauen Informationen zu geben. Sachsenweit hat die Partei jedoch stetig Mitglieder gewonnen. Im Moment wird die Alternative für Deutschland in Sachsen durch 1308 Mitglieder vertreten. Zum Vergleich: Die Grünen haben etwa 100 mehr. Seit 2013 konnte die AfD Sachsen mehr als 750 Mitglieder gewinnen. Es ist davon auszugehen, dass die Partei auch im Landkreis wächst.

 

Die SPD ist im Landkreis derzeit durch 153 Parteimitglieder vertreten. Im Vergleich zu den anderen Parteien bleiben die Mitgliederzahlen seit mehreren Jahren stabil. Da mehr als 60 Prozent der Mitglieder 50 Jahre oder älter ist, wird sich der Kreisverband in den nächsten Jahren vermehrt um Nachwuchs kümmern müssen. „Was uns fehlt, sind Frauen Mitte 30 bis Ende 40“, betont der Kreisvorsitzende Ralf Wätzig. Der SPD-Kreisverband sei „sehr männlich“. Zudem wolle man in Zukunft verstärkt eine junge Zielgruppe ansprechen.

 

Dass junge Parteimitglieder oftmals etwa durch die Aufnahme eines Studiums dem Landkreis den Rücken kehren, ist sowohl für die SPD als auch für die Grünen ein Problem. Der Kreisverband der Grünen arbeitet zurzeit mit 45 Mitgliedern, habe aber ein „umfangreiches Netzwerk an Unterstützern“, sagt Ines Kummer. Die Grünen-Sprecherin beklagt jedoch, dass durch die geringe Zahl an Parteimitgliedern im Landkreis das politische Mitspracherecht im Landesverband leidet. Gute Erfahrungen haben die Grünen mit der Probemitgliedschaft. So haben sich schon manche an die Partei herangetastet und seien geblieben. Tendenziell sind die Grünen aber eher „eine Partei der großen Städte wie Leipzig“, weiß Patzelt, da die Grünen „das Lebensgefühl der Menschen im ländlichen Raum nicht ansprechen“.

 

Auch die FDP hat an Mitgliedern verloren. Im Moment gibt es im Landkreis 91 Mitglieder. Die rechtsextreme NPD war in der Sächsischen Schweiz stets gut vernetzt und strukturiert. Landesweit aber hat die Partei stark an Mitgliedern abgebaut. Der Verfassungsschutz schätzt, dass die „rückläufige Tendenz auch den Kreisverband Sächsische Schweiz-Ostergebirge erfasst haben dürfte.“

 

Während die Vereinigung der Freien Wähler im Kreisverband nur zehn Mitglieder hat und sachsenweit 70, gibt es in ganz Sachsen 10 000 Vereinsmitglieder in 966 Wählervereinigungen. Der Vorsitzende der Landesvereinigung Freie Wähler Sachsen, Steffen Große, schätzt die Entwicklung der vergangenen Jahre positiv ein. „Die Freien Wähler profitieren vom schlechten Image der klassischen Parteien.“

 

Das parteiverherrlichende Lied, das Louis Fürnberg Mitte des 20. Jahrhunderts gedichtet hat, wird heute übrigens von der Satire-Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz Die Partei, als Parteihymne genutzt. Wenn sich die Mitgliederzahlen in den nächsten Jahren so weiterentwickeln wie bisher, könnte es schnell passieren, dass die Parteienparodie im Landkreis mehr Mitglieder hat als die Grünen. Schon jetzt sind es 33.