NSU-Ausschuss Bouffiers heikle Geheimhaltung

Erstveröffentlicht: 
30.09.2016

Nach dem NSU-Mord in Kassel hat die hessische Landesregierung offenbar versucht, den Verdacht gegen Verfassungsschützer Andreas Temme zu verheimlichen.

 

Wiesbaden –  Die hessische Landesregierung hat versucht, den Tatverdacht gegen einen Verfassungsschützer beim Kasseler Mord an Halit Yozgat geheim zu halten. Das geht aus Dokumenten hervor, die von den Obleuten Nancy Faeser (SPD) und Hermann Schaus (Linke) am Freitag im NSU-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zitiert wurden.

 

Der 21-Jährige war am 6. April 2006 in seinem Internetcafé erschossen worden. Die Tat wird heute der rechtsextremen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zugerechnet.


Am 21. April 2006 erfuhr die Polizei, dass der hauptamtliche Verfassungsschutzbeamte Andreas Temme zur Tatzeit am Tatort gewesen war. Er stand daher unter Tatverdacht, bis im Januar 2007 die Ermittlungen gegen ihn eingestellt wurden. Der damalige Innenminister Volker Bouffier (CDU) informierte aber drei Monate lang weder die Öffentlichkeit noch das Parlament darüber.

 

Am 6. Juli 2006 sorgte jedoch der Anruf eines Journalisten für Aufregung und eine Änderung der Strategie, wie aus E-Mails hervorgeht, die im Ausschuss teilweise verlesen wurden. Der Beamte Karlheinz Schaffer, der im Landespolizeipräsidium die Informationen zum Mord an Yozgat bündelte, schrieb darin von einem Kontakt mit Bouffiers damaligem und heutigem Sprecher Michael Bußer. „Dieser teilt die Auffassung, dass der Versuch weiterer Geheimhaltung untauglich ist“, hieß es darin.

 

Schaffer schrieb Vorlagen für den Minister und seine Staatssekretärin Oda Scheibelhuber (CDU), die für deren Auftritte in den Landtagsgremien vorgesehen waren. Er berichtete am Freitag als Zeuge im NSU-Ausschuss, er habe vom damaligen Landespolizeipräsidenten Norbert Nedela eine „Weisung“ erhalten, darin nichts über die Verwicklung des Verfassungsschützers in der Vorlage zu notieren. „Ich persönlich fand es nicht glücklich“, sagte der inzwischen pensionierte Polizeibeamte. „Es ist Quatsch zu versuchen, so was geheim zu halten.“

 

Rückkehr zum Dienst geplant

 

Der damalige Innenminister und heutige Ministerpräsident Bouffier und seine Staatssekretärin Scheibelhuber wurden anscheinend unmittelbar am 21. April über den Verdacht gegen den Verfassungsschützer informiert. In einem Sprechzettel für Scheibelhuber, der im Ausschuss zitiert wurde, hieß es: „Der Minister und ich wurden unverzüglich informiert.“

 

Beide ließen den Innenausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremium aber bis zum 17. Juli im Unklaren. Am 14. Juli hatte die „Bild“-Zeitung über den Verdacht gegen Temme berichtet.

 

Vor den Abgeordneten tat Bouffier dennoch so, als seien auch ihm die Vorgänge neu. Er nannte es „betrüblich“, dass die Parlamentarier über einen solchen Vorgang erst aus der Zeitung erführen. Das gelte „insbesondere dann, wenn es auch der Minister erst aus der Zeitung erfährt“, fügte er damals hinzu.

 

Erst durch die Journalistenanfrage wurde anscheinend auch verhindert, dass Temme in den Dienst beim Verfassungsschutz zurückkehren konnte. Der Linken-Abgeordnete Schaus zitierte aus einem abgehörten Telefongespräch, in dem ein Vorgesetzter Temme mitteilte, man wolle ihm am 12. Juli wieder seine Geheimschutzermächtigung erteilen. Das Telefonat wurde am 6. Juli um 11.09 Uhr geführt – kurz bevor die Behörden am selben Tag von der Journalistenanfrage erfuhren. Danach verzichtete man darauf, Temme in den Dienst zurückkehren zu lassen.

 

Schaffer berichtete, dass sich die Polizei vom Verfassungsschutz in ihren Ermittlungen behindert gefühlt habe – etwa weil der Nachrichtendienst mit Bouffiers Unterstützung untersagte, dass die Polizei V-Leute von Temme direkt vernehmen konnte. Der Polizeibeamte, der früher selbst V-Personen geführt hatte, widersprach dem Argument, dies sei notwendig gewesen, damit keine Klarnamen der Informanten bekannt würden. Es gebe langjährig erprobte Verfahren, um die Identität von V-Leuten geheim zu halten. „Die Vernehmung hier wäre eine ohne aktenkundige Personalien gewesen“, betonte Schaffer.