37 Berliner Politiker wurden im Internet abgezockt

Erstveröffentlicht: 
30.09.2016

Die Politiker hatten plötzlich Briefe von Inkasso-Unternehmen in der Post. Ihre Daten waren für Internet-Bestellungen missbraucht worden.

 

Halten zwei Abgeordnete Small Talk. Stöhnt der eine: „Ich hab da so eine Forderung von einem Inkasso-Dienst bekommen …“ Der andere: „Wie, du auch?“ Mischt sich ein dritter Politiker ein: „Ihr auch?“

Mindestens jeder vierte Berliner Volksvertreter ist betroffen: 19 von der SPD, zwölf von der CDU, fünf Grüne, ein Linker haben sich schon gemeldet. Sie hatten alle Mahnschreiben mit dicken Rechnungen in ihren Briefkästen. B.Z. sprach mit drei Betroffenen:

► Harald Wolf (60, Linke) soll angeblich beim Otto-Versand im Februar ein iPad-Air für 379,99 Euro bestellt haben. Ein Inkasso-Unternehmen wollte dafür jetzt inklusive Zinsen, Mahnkosten und Inkassovergütung 498 Euro eintreiben. „Ich war verwundert und habe dort gleich angerufen“, sagt der Ex-Senator. Die Ware soll an eine Adresse in der Stuttgarter Straße (Neukölln) geliefert worden sein – da wohnt Wolf nicht.

► Anja Schillhaneck (43, Grüne) sollte 236,32 Euro überweisen, die aufgelaufen waren, weil sie ein Paar Schuhe für 125,99 Euro beim Baur-Versand bestellt und nicht bezahlt haben soll. Die Schuhgröße 43 trägt sie gar nicht. Die Abgeordnete: „Erst fragt man sich: Oh Gott, ist mir da was durchgerutscht? Aber ich bin immer sehr pünktlich.“ Sie ging zur Polizei und ärgert sich über zehn Stunden Arbeit mit Lauferei und Schreiben aufsetzen.

► Karlheinz Nolte (67, SPD) hatte gleich mehrere Verfahren an den Hacken: drei Paar schwarze Sneackers, Adidas-Schuhe, eine Winterjacke, eine Quarzuhr – alles vom Paketboten abgegeben in einem unsanierten Mietshaus mit drei Aufgängen an der Neuköllner Sonnenallee. Im Eingang kleben DHL-Benachrichtigungskarten mit Namen, die nicht auf den Klingelschildern stehen. Nolte wohnt sieben Kilometer davon entfernt. „Ich bin echt sauer über den ganzen Ärger“, so der Abgeordnete.

Torsten Schneider (47), Justiziar der SPD-Fraktion, gab den Betroffenen erste Hilfe, entwickelte einen Musterbrief: „Es gibt Leute, die sind mit bis zu zehn Fällen betroffen. Manche wurden sogar zu Hause angerufen. Bislang scheint keine einzige Forderung begründet zu sein.“

Viele der Mahnschreiben kamen von einer bestimmten Firma. „Der Deutsche Inkassodienst selbst ist aber bislang nicht unangenehm aufgefallen“, sagt Dorothea Kesberger von der Berliner Verbraucherzentrale. „Es scheint sich eher um einen Fall von Datenklau zu handeln, damit Dritte Waren bestellen können.“

Parlamentspräsident Ralf Wieland (59, SPD) sagt: „Die gehäufte Anzahl von Abgeordneten ist schon auffällig.“ Bei Abgeordneten findet man Namen und Geburtsdatum leicht im Internet. Seit einem Jahr müssen sie vor einer Wahl aber nicht mehr im Amtsblatt ihre Privatanschrift angeben.

Aber wo sind die Waren abgeblieben? „Entweder erwartet jemand den Paketdienst“, sagt Polizeisprecher Martin Dams (39). „Oder es wird ein unbenutzter Briefkasten mit dem Empfängernamen überklebt. Da landet dann die Abholkarte des Paketboten, mit der die Waren bei einem Nachbarn abgeholt werden können.“ In größeren Mietshäusern kennt man sich ja nicht unbedingt.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt wegen des Verdachts von Warenkreditbetrugs.
Das rät die Verbraucherzentrale Berlin

Eine unberechtigte Mahnung von einem Inkasso-Unternehmen – was tun?

„Wichtig ist, der Forderung zu widersprechen und das Inkassobüro darauf hinzuweisen, dass es keine Daten an die Schufa überweisen darf“, sagt Dorothea Kesberger von der Berliner Verbraucherzentrale. Ein negativer Eintrag kann sich beispielsweise beim Wunsch nach einem Kredit negativ auswirken.

Nach dem Bundesdatenschutzgesetz müssen zwischen der ersten und zweiten Mahnung mindestens zwei Wochen liegen. Wer die Forderung dann immer noch nicht bestritten hat, muss mit einer Weitermeldung rechnen.

Musterbriefe für ein Veto gegen eine unberechtigte Rechnung gibt es auf der Website der Verbraucherzentrale Berlin. Stichwort: Abwehr einer unberechtigten Forderung für eine Internet-Service-Leistung gegenüber einer volljährigen Person. Zur Hand haben sollte man beim Schreiben die Rechnungs-Nummer/Kunden-Nummer, sowie Datum und Höhe der geforderten Summe des Schreibens.

Man kann auch die persönliche Rechtsberatung in Anspruch nehmen. Terminvereinbarung unter der Rufnummer ☎ (030) 214 85 150 (dienstags bis freitags von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 16 Uhr).


Internet-Kriminalität ist ein großes Problem für Versandhändler

Den betroffenen Unternehmen sind die Hände gebunden. „Letztlich tragen wir den Schaden“, lässt man etwa bei Otto verlauten. Beim Hamburger Unternehmen arbeitet eine eigene Abteilung Betrugsfälle ab.

Dass Online-Händler mittlerweile Arbeitsgruppen einrichten, die sich eigens mit Betrügereien beschäftigen, ist der Tatsache geschuldet, dass das Tatmittel „Internet“ wie es in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) geführt wird, seit Jahren zu einem größeren Problem wird.

Die aktuelle Berliner Kriminalstatistik zeigt, dass der Anteil von als Internetkriminalität geführten Straftaten im vergangenen Jahr um 14,2 Prozent zugenommen hat. Den größten Teil der Internetkriminalität machen dabei Straftaten wie die geschilderten, also der Betrug über das Web, aus. Hier wurden im vergangenen Jahr 21 424 Fälle erfasst, 3128 (17,1 Prozent) mehr als im Vorjahr.