[Pforzheim] Zwischen Repression und Opfermythos

Gedenktafel mit Auftaktkundgebung im Hintergrund

Alljährlich gedenkt am 23. Februar die Stadt Pforzheim den Opfern, welche 1945 durch ein Bombardement der Royal Air Force auf Pforzheim starben. Dabei werden allerdings die Hintergründe des Bombardements systematisch ausgeblendet und eine Umkehrung der Täter-Opfer Zuschreibung geschaffen. Eine konsequente Aufarbeitung der Rolle Pforzheims im Nationalsozialismus findet nicht statt.
Anläßlich des Gedenkens startete dieses Jahr das Bündnis Kritik und Aktion (BKA) und das Antifaschistische Aktionsbündnis Baden-Württemberg (AABW) die Kampagne Gegen jeden Geschichtsrevisionismus, um unter anderem den Umgang der Stadt mit der eigenen Geschichte zu kritisieren. Den Abschluss der Kampagne bildeten ein Aktionstag und eine Demonstration am 23. Februar an der sich etwa 600 Menschen beteiligten.

 

Hintergründe
Bündnis Kritik und Aktion | Interview mit BKA bei Radio Querfunk | Interview mit Überblick bei Radio Dreyeckland | Rechtsextremismus in Pforzheim und Umgebung, 1974 - 2002
Protest-Chronik
2002 | 2003 | 2004 | 2005 | 2006 | 2007
Aufrufe zur Kampagne
BKA | AABW

 

 

Fackelmahnwachen und Opfermythen

Seit 1994 veranstaltet der rechtsextreme Verein Freundeskreis ein Herz für Deutschland (FHD) unter Beteiligung der hiesigen Republikaner und des Heidnischen Sturm Pforzheims jedes Jahr am 23. Februar eine Fackelmahnwache zum Gedenken an die deutschen Opfer der Bombardierung. Neben der Tatsache, dass dabei explizit nur deutsche Opfer genannt werden erfährt die Täter-Opfer Zuschreibung eine komplette Umdeutung.
Am selben Tag vor 63 Jahren wurde bei diesem Angriff der alliierten Streitkräfte 17.600 Menschen getötet.
Dieses Jahr versammelten sich etwa 140 Nazis aus dem Umfeld des FHD auf dem Wartberg. Gegen 19.40 Uhr zündeten sie ihre Fackeln an, um sie 20 Minuten später wieder, unter Polizeiaufsicht, zu löschen. Die Veranstaltung verlief ohne Zwischenfälle.
Auch die Stadt begeht diesen Tag jährlich mit einer Gedenkveranstaltung auf dem Hauptfriedhof. Was dabei jedoch systematisch ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass die in der Stadt ansässige Rüstungsindustrie das eigentliche Ziel des Angriffs war. So gab es im Jahre 1944 in Pforzheim 101 Betriebe mit insgesamt 18.622 Arbeitern , davon arbeiteten mindestens 10.000 in der Rüstungsindustrie. Da am Ende des Krieges nicht mehr genügend Arbeiter zur Verfügung standen wurden Zwangsarbeiter aus den Vogesen, italienische Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiter aus Russland und der Ukraine herbeigeholt. Ebenso wurden KZ-Häftlinge zur Arbeit gezwungen. Dadurch entstand in Pforzheim eine große Rüstungsindustrie, von der knapp 50% aller Bordfunkgeräte des deutschen Militärs produziert wurden.
Die geschichtsrevisionistischen Ambitionen lassen sich exemplarisch an dem Diskurs zu den Gedenktafeln auf dem Wallberg aufzeigen. Auf diesen ist eine Stadtchronik zu lesen aus welcher die Zeit zwischen 1933 und 45 nachträglich herausgestrichen wurde. Ein anderes, noch viel eklatanteres, Beispiel ist die Gleichsetzung der Bombardierung Pforzheims mit der der Stadt Guernica durch die Nationalsozialisten.
Anstatt einer konsequenten Aufarbeitung ihrer Geschichte in der NS-Zeit arbeitet sich die Stadt alljährlich an der Konstruktion ihres eigenen Opfermythos ab.
Auf dem Hauptfriedhof gedachten dieses Jahr etwa 400 Bürger auf dem Hauptfriedhof den Opfern des Luftangriffs. Oberbürgermeisterin Augenstein setzte in einem Videointerview mit der Pforzheimer Zeitung Linke und Rechte kurzerhand gleich und ging nicht mit einem Wort auf die Beteiligung der damaligen Pforzheimer Bevölkerung am Nationalsozialismus und der nationalsozialistischen Kriegmaschinerie ein.

 

 

Auftaktkundgebung

 

 

Antifaschistischer Widerstand

2002 fanden erstmals Aktionen gegen die Nazimahnwache statt, die dadurch verhindert werden konnte. Auch in den darauffolgenden Jahren kam es zu Demonstrationen gegen diese Veranstaltung, ein solches Ergebnis konnte jedoch aufgrund von repressiven Maßnahmen wie Demonstrationsverboten oder unverhältnismäßigen Polizeiaufgeboten gegen beteiligte Antifaschist_innen nicht mehr erzielt werden.
Dieses Jahr rief das Pforzheimer Bündnis Kritik und Aktion und das Antifaschistische Aktionsbündnis Baden-Württemberg die Kampagne Gegen jeden Geschichtsrevisionismus ins Leben, welche am 12. Januar mit einer Auftaktkundgebung begonnen hatte. Das Bündnis versucht mittels verschiedener Aktionsformen, wie Kundgebungen und Vorträgen, Filmvorführungen und einem Aktionstag am Gedenktag selbst den Umgang der Stadt mit der eigenen Geschichte zu kritisieren, langfristig linke Strukturen zu stärken und dem rechten Mainstream in Pforzheim etwas entgegensetzen.

 

 

Gegen jeden Geschichtsrevisionismus!

 

Anhaltende Repression

Allerdings gestalten sich antifaschistische Interventionen in Pforzheim zunehmend schwieriger. Die Stadt fährt seit Jahren eine rigide Einschüchterungspolitik gegen lokale antifaschistische Gruppierungen und deren geplante Aktionen. So versucht das Ordnungsamt über mehrere Jahre hinweg linke Veranstaltungen mit Demonstrationsgebühren zu behindern (siehe auch: 1, 2), und verteidigt diese Vorgehensweise auch durch mehrere gerichtliche Instanzen.
2005 wurde eine antifaschistische Gedenkkundgebung verboten.
Auch in diesem Jahr hielt die Stadt an ihrem gewohnt repressiven Vorgehen fest. Im Vorfeld wurde ein für den 23. Februar geplantes Konzert durch die gezielte Einschüchterung des Besitzers der Veranstaltungsräume von Seiten der Polizei verhindert. Die Demonstrationsroute des Bündnisses für den 23. Februar wurde durch städtische Auflagen empfindlich beschnitten, um zu verhindern dass die Demonstration durch Teile der Nordstadt läuft, so das BKA. Eine Kundgebung auf dem Wartberg für die verstorbenen Zwangsarbeiter_innen wurde durch einen Eilantrag der Stadt verlegt , obwohl die Anmeldung noch vor der des FHD erfolgte. Den Nazis des FHD, welche seit 1994 eine Fackelmahnwache dort abhalten, räumte die Stadt ein Gewohnheitsrecht ein. Die Klage des Anmelders hingegen wurde vor dem Karlsruher Verwaltungsgericht abgewiesen (siehe: 1, 2, 3).

 

 

 

 

Gegen jeden Geschichtsrevisionismus - der Aktionstag

Polizeischikanen bei der Anreise
Im Vorfeld der Demonstration wurden anreisende Antifaschist_innen diversen Vorkontrollen unterzogen.
Am Bahnhof wurden sechs Personen vorrübergehend in Gewahrsam genommen, da, nach Angaben der Polizei, manche Quarzsandhandschuhe mit sich führten. Alle mit dem Zug anreisenden Personen wurden in einem Kessel festgehalten, dort einzeln durchsucht und abgefilmt. Zur Unterstützung hatte sich die Polizei eine Hundestaffel herbeigeholt. Das Gebell der Hunde, der enge Kessel und das Gefühl einzeln abgeführt und durchsucht zu werden, erzeugte ein bedrohliches Klima. Diese Maßnahmen trugen zur Einschüchterung bei, beschwerte sich ein Teilnehmer.
Ein aus Mannheim/ Heidelberg anreisender Bus wurde 16 km vor Pforzheim auf das Gelände einer Polizeidirektion, Autobahnabfahrt Pforzheim-West, gelotst und dort eingeschlossen. Nach Aussagen einiger Busreisenden wurde der Bus bereits seit Mannheim von Zivilpolizei verfolgt. Die Antifaschist_innen wurden trotz Protest einzeln aus dem Bus abgeführt, gefilmt und gründlichen Ganzkörperkontrollen unterzogen. Das Auftreten der Polizei war, Erzählungen Betoffener zufolge teilweise sehr aggressiv und gezielt provozierend, Einzelpersonen wurde sogar mit Gewaltanwendung gedroht.
Nach den Kontrollen wurden die Busreisenden solange festgehalten bis die Polizei den Bus durchsucht hatte. Wie auch bei den Kontrollen am Bahnhof kamen Polizeihunde zum Einsatz. Erst nach etwa einer Stunde durfte der Bus weiterfahren, wodurch sich der Beginn der Demonstration stark hinauszögerte.

 

 

 

 

Dezentrale Aktionen und Demonstrationen
Auf der Demonstration nahmen nach Angaben der Veranstalter_innen mehr als 600 Menschen teil. Die Polizei spricht von 500 zu Demonstrationsbeginn, später von 600 Teilnehmer_innen. Die Pforzheimer Zeitung von 500. Die Demonstration verlief ohne Zwischenfälle; Fest- oder Ingewahrsamnahmen gab es währenddessen keine. An der Spontandemo im Anschluss an die Demonstration nahmen, Polizeiangaben zufolge, 300 Menschen teil. An den Absperrungen zur Fackelmahnwache des FHD kam es zu kleineren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden. Dabei wurden mehrere Demonstrierende verletzt.
Im Rahmen des Aktionstages fanden von 10 bis 15 Uhr vielfältige, dezentrale Aktionen wie beispielsweise Flashmobs, Straßenfeste und Aktionen vor ehemaligen Rüstungsunternehmen statt. Für die Verpflegung der Aktivist_innen wurde mit einer Volxküche auf dem Marktplatz gesorgt. Auf diesem begann die Demonstration mit einer Auftaktkundgebung und setzte sich kraftvoll vom Marktplatz unter dem Motto Gegen jeden Geschichtsrevisionismus! in Bewegung. An der Demonstration beteiligten sich anfangs etwa 500 Menschen. Im Laufe der Demo schlossen sich dem Zug noch etwa 100 weitere Teilnehmer_innen an. Die Stimmung innerhalb des Demonstrationszuges war gut und er bewegte sich lautstark durch die Pforzheimer Innenstadt. Die Demonstrierenden skandierten Parolen wie: Oma, Opa, Hans-Peter .. Keine Opfer sondern Täter oder Nie wieder Geschichtsrevisionismus .. Nieder mit Deutschland und für den Anarchismus/ Kommunismus. Die Resonanz der Passant_innen fiel unterschiedlich aus, wenngleich viele neugierig waren. An mehreren geschichtsträchtigen Orten wurden Zwischenkundgebungen abgehalten, welche vor allem den Umgang der Stadt mit ihrer Geschichte kritisierte. Wobei die inhaltlichen Schnittstellen zwischen dem Gedenken der Nazis und der Stadt Pforzheim aufgezeigt wurden. Die Polizei war mit einem geringen Aufgebot präsent, welches sich auf ein gleichzeitig stattfindes Fußballspiel in Stuttgart zurückführen lässt. Am Hauptbahnhof sperrte diese aufgrund der Auflagen der Stadt mit Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) den Weg in die Nordstadt ab. Daraufhin flogen mehrere Feuerwerkskörper und es wurde das Zusammenspiel zwischen der Stadt Pforzheim und den Nazis durch kurze Redebeiträge und Parolen thematisiert. Das Bündnis Kritik und Aktion dazu: Ein auf den Kampf gegen Nazis beschränkter Antifaschismus kann keine langfristige Perspektive bieten; er muss sich immer auch auf die aktuelle gesamtgesellschaftliche Entwicklung beziehen. Deshalb gilt es kontinuierlich die rechten Tendenzen gerade der "bürgerlichen Mitte" aufzuzeigen und zu bekämpfen.
Nach kurzer Pause bewegte sich der Zug zurück in die Innenstadt, wo er sich auf dem Marktplatz auflöste.

 

 

BFE-Einheiten blockieren den Zugang zur Nordstadt

Direkt im Anschluss formierte sich eine Spontandemonstration mit etwa 300 Menschen, die lautstark in Richtung der Nazikundgebung auf dem Wartberg zog. Sie wurde durch ein großes Polizeiaufgebot von Einsatzwägen und einem Hubschrauber begleitet. Bis zum Berg verlief das Ganze ohne weitere Vorkommnisse.
Der Zugang zur Mahnwache des FHD wurde von der Polizei mit Hilfe von Gittern abgesperrt. Dort angekommen versuchte die Polizei die Demonstrierenden einzukesseln. Nach einem Schlagstockeinsatz gab es mindestens eine Ingewahrsamnahme und mehrere Verletzte.
Eine etwa 60 Menschen umfassende Menge wurde von einer BFE-Einheit in eine kleine Gasse gedrängt und eingekesselt. Den Demonstrierenden drohte eine Personalienaufnahme durch die Polizei worauf eine Einzelperson in Verhandlungen mit jenen trat. Um sich ohne Personalienkontrollen von dem Wartberg zu entfernen meldete die Person eine Spontandemo an. Dabei legte sich der Anmelder selbst Auflagen auf, nach denen die Teilnehmer_innen schweigend, und ohne Parolen oder Slogans sich zurück zum Bahnhof zu bewegen hatten. Die Versuche einiger Demonstrierenden Parolen zu rufen wurden von dem Anmelder und weiteren Teilnehmer_innen unterbunden.
Während und nach der Spontandemonstration zogen verschiedene Kleingruppen durch die Innenstadt. Dabei wurden einige geschichtsrevisionistische Gedenktafeln entsorgt, Mülltonnen angesteckt und kleinere Barrikaden errichtet. Zu offenen Ausschreitungen kam es jedoch nicht.

 

 

Absperrungen vor der Nazimahnwache

 

 

 


 

Presseschau zum 23. Februar 2008

Eskalation bleibt aus
Von Olaf Lorch
Pforzheimer Zeitung, 24.02.2008

Pforzheim: Friedliche Demos zum Gedenktag
SWR, 25.02.2007

Die Badischen Neusten Nachrichten schreiben folgendes:
Quelle: Infoladen Ludwigsburg

Pforzheim: Die Stadt richtet getrennte Laufställe für Demonstrationen ein- als überparteiliche Friedenswahrerin
stattweb.de vom 23. Februar 2008

Polizei hält Demonstranten in Schach
Von Torsten Ochs
Mühlacker Tagblatt vom 25. Februar 2008

Aktionen zum Gedenktag des Luftangriffs auf Pforzheim verliefen friedlich
Pressemitteilung der Polizeidirektion Pforzheim vom 23.02.2008




 

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