Einsiedel: Die Proteste gehen weiter - der Ort bleibt gespalten

Erstveröffentlicht: 
23.09.2016

Vor einem Jahr begann der Widerstand gegen eine Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Pionierlager. Sie soll Ende Oktober schließen. Für die Demonstranten ist das kein Grund zum Aufhören.

 

Euphorisch ist die Stimmung nicht vor dem Rathaus in Einsiedel. Obwohl Ronny Matthes, als er die Auflagen für die Kundgebung vorträgt und erwähnt, dass kein Alkohol erlaubt sei, sagt, dass heute eigentlich ein Gläschen angebracht wäre. Warum? Weil am Dienstag bekannt wurde, dass der Freistaat die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Einsiedel zum Ende des Monats schließen wird. Jene Einrichtung also, wegen der seit dem 23. September 2015 beinahe jeden Mittwoch Bürger des Ortes und der Region auf die Straße gehen.

 

Doch bereits in den vergangenen Monaten hatte sich der Protest gegen die deutsche Asylpolitik in ihrer Gesamtheit gerichtet. Als Matthes, der auch schon den ersten Protest vor einem Jahr mit organisierte, am Mittwoch vor schätzungsweise etwas mehr als 200 Personen noch einmal deutlich sagt, dass das Heim in Einsiedel schließt, gibt es Applaus. Wie es weitergeht, das hänge auch ein bisschen von den Einsiedlern ab, sagt er, und sofort kommen "Weitermachen"-Zwischenrufe. Matthes nimmt sie dankbar auf. "Wir werden weitermachen", sagt er. Den kompletten Oktober "und auch sicherlich darüber hinaus" werde es die Mittwochs-Demos geben. Denn nach wie vor gebe es genügend Baustellen für Proteste. Nach wie vor würden "Asylies", wie er die Geflüchteten nennt, "in der Innenstadt Terror machen" und nach wie vor stünden Menschen an den Grenzen, "die unser Geld wollen".

 

Einsiedel im Süden von Chemnitz. Der 3600-Einwohner- Stadtteil war bis vor einem Jahr überregional eher unbekannt. Seitdem wurde er in vielen, auch bundesweit erscheinenden Medien erwähnt. Und das zumeist in negativem Zusammenhang. Was ist passiert? Anfang September 2015 gab die Landesdirektion bekannt, dass sie Asylbewerber in einem ehemaligen Pionierlager in Einsiedel unterbringen will. Dagegen formierte sich umgehend Widerstand. Die Einrichtung sei nicht dafür geeignet, weil sie für Rettungskräfte und Polizei aufgrund einer steilen, engen Zufahrt nur schwer zu erreichen sei, kritisierten Anwohner und Lokalpolitiker. Am 23. September gingen erstmals Bürger auf die Straße, es war der Anfang einer Protestwelle gegen das geplante Heim. Tag und Nacht betrieben Einheimische und Personen von außerhalb einen sogenannten Info-Stand an der Zufahrt zum Pionierlager, jeden Mittwochabend kamen Hunderte, auf dem Höhepunkt des Protests im Herbst 2015 sogar mehr als 2000 Bürger aus Einsiedel und umliegenden Gemeinden zum Schweigemarsch. Als die Anlage zu Beginn dieses Jahres bezogen wurde, gab es Blockadeversuche. Gegen acht Beschuldigte wurde ermittelt, zwei erhielten Strafbefehle wegen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Fünf Verfahren, darunter das gegen einen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt, wurden eingestellt.

 

Acht Monate später: Im Heim wohnen 84 Flüchtlinge, die zum Großteil aus Westbalkanländern stammen. Die Hälfte von ihnen ist 17 Jahre und jünger. Die Landesdirektion hat bislang ihre Zusage eingehalten, nur Familien in dem Objekt unterzubringen. Im Gegensatz zur vor allem von männlichen Flüchtlingen bewohnten Asylbewerber-Unterkunft am Thüringer Weg kam es in Einsiedel bislang nicht zu größeren Polizeieinsätzen. Bis auf eine Körperverletzung im Heim haben die Beamten keine Vorfälle in dem ehemaligen Pionierlager oder im Ort registriert, an denen Flüchtlinge beteiligt waren. Sie beschreiben die Lage als "sehr ruhig".

 

Ermittelt hat die Polizei indes wegen eines Fackelmarsches, eines Brandanschlags und wegen Graffiti mit mutmaßlich fremdenfeindlichem Hintergrund. Verfahren wegen unter anderem Volksverhetzung und Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot gegen mehrere Beschuldigte, mindestens vier davon nicht aus der Region, laufen noch. Der Verfassungsschutzbericht 2015 hielt zudem fest, dass Rechtsextremisten versucht hatten, die Demos in Einsiedel zu unterwandern.

 

Längst sind nicht alle Einsiedler sind Freunde der Proteste. Mit Namen möchte kaum jemand in der Zeitung zitiert werden. "Da bekomme ich nur Ärger", begründet ein Mann seine Zurückhaltung. Sie möchte "den derzeitigen Frieden wahren", erklärt eine Frau. "In Gesprächen meiden viele Einsiedler das Thema Flüchtlinge, um es nicht unnötig zu befeuern", sagte Marc Stoll vergangene Woche, vor Bekanntwerden der Schließung. Er ist im Ortschaftsrat und in der Flüchtlingshilfe aktiv. Anwohner, die entlang der Route der wöchentlichen Kundgebungen wohnen, seien genervt, berichtete er. "Es wäre wichtig für den Ort, dass die Demos weniger werden oder alternative Plätze und Routen nutzen", so Stoll.

 

Dass Einsiedel gespalten sei, darauf geht auch Frank Schreiber von der Bürgerinitiative "Gemeinsam für Einsiedel" in seiner Rede am Mittwoch ein. "Es heißt Einsiedel, nicht Zweisiedel", sagt er und schlägt einen Runden Tisch vor, um über die Zukunft zu sprechen. Vor allem müsse sich der Ortschaftsrat darüber Gedanken machen, wie die Menschen, die bisher unterschiedlicher Meinung sind, wieder zusammengebracht werden können.