Wenn plötzlich das Haus besetzt ist

Erstveröffentlicht: 
05.09.2016

Rund 100 junge Menschen haben versucht, aus einem vermeintlich leer stehenden Haus in der Neustadt ein „soziales Zentrum“ zu machen. Das ging wohl schief.

 

Der 58-Jährige war gerade bei einer Geburtstagsfeier in Berlin, als er am Sonnabend kurz nach 20 Uhr einen Anruf aus Dresden erhielt. Dem Immobilienverwalter aus Hamburg gehört das Haus an der Lößnitzstraße 19. „Sinngemäß hat der Anrufer gesagt: Wir haben Ihr Haus besetzt, um Sie zu Verhandlungen zu zwingen“, erklärt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Das ist natürlich kein schönes Gefühl.“

 

Etwa 20 Personen sind in das Gebäude eingedrungen, haben vorher das Haustürschloss geknackt. Nach und nach versammeln sich immer mehr in dem Haus, wohl auch, weil parallel das Rudolfstraßenfest läuft und viele abends unterwegs sind. Irgendwann sind um die 100 Personen da. Auf Transparenten ist von „Antifa“ zu lesen und „sozial center for all“. „Wir wollen ein soziales Zentrum schaffen, wie in Leipzig, Münster und Göttingen“, erklärt eine Sprecherin, die sich Marian Rudolf nennt. Es solle Raum geschaffen werden, wo sich Flüchtlinge, Anwohner und Interessierte treffen können. „Ein Ort der Solidarität und Begegnung“, so die Sprecherin. Dafür die Tür aufgebrochen zu haben, tut sie beinahe als Nebensache ab.

 

Mit der Besetzung wolle man auch zeigen, dass es eigentlich keine Wohnungsknappheit in Dresden gebe. Sondern Wohnraum gelte als Ware, mit der Profit generiert werden muss. „Deshalb hat sich unsere Initiative den vorhandenen Leerstand in ihrer Nachbarschaft angeeignet“, so die Sprecherin. Nur stand das Haus laut Eigentümer gar nicht leer. Der Hamburger hat es 1991 gekauft. Bis 2007 waren Wohnungen belegt. „Einige Räume sind heute noch als Lager vermietet“, erklärt er. Das Haus ist offenkundig sanierungsbedürftig und ein Einzeldenkmal. „Die Sanierung ist teuer“, so der Eigentümer. „Ich möchte es wieder dauerhaft bewohnbar machen, aber denkmalgerecht. Das geht aber erst, wenn ich das Geld habe.“

 

In den vergangenen Jahren habe er immer wieder mit kleineren Arbeiten angefangen, viel auch in Eigenleistung erbracht. Mit Einbrüchen und Zerstörungen sei versucht worden, ihn zum Verkauf zu zwingen, sagt der Mann. Das wolle er aber nicht, sondern das Haus behalten und sanieren – irgendwann. Jetzt der Einbruch durch die Besetzer. Unmissverständlich habe er ihnen am Sonnabend klargemacht, dass er nur mit ihnen rede, wenn sie umgehend das Haus verlassen. Und tatsächlich sind die Besetzer zur „Vorsitzern“ geworden, haben Tische und Bänke vor dem Haus aufgebaut. Einige verbrachten sogar die Nacht dort – es waren um die 20.

Sonntag gegen 11 Uhr ist der Eigentümer dann aus Berlin nach Dresden gekommen, verhandelte mit den Besetzern. „Das war natürlich ein schwieriger Start für konstruktive Verhandlungen. Aber ich will keine Eskalation und höre mir grundsätzlich erst einmal alles an.“ Er lässt aber auch nicht unerwähnt, dass man sich ja auch ohne Besetzung hätte zusammensetzen können. Einem sozialen Zentrum stehe er nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. „Aber ich brauche konkrete Ansprechpartner, will wissen, was genau dort geplant ist und wie es finanziert werden soll“, sagt der Hamburger. Er sei auch bereit, das Haus dafür zu sanieren. Aber am Ende müsse es sich eben auch für ihn rechnen. „Ich kann als Privatmann keine Kultureinrichtung finanzieren. Wenn die Politik das auch möchte, sich beteiligt und die Menschen, die hier eingedrungen sind, die finanziellen Mittel haben, bin ich zu jedem Gespräch bereit.“ Er könne aber nicht für die „Versäumnisse“ der Politik aufkommen.

 

Die Sprecher der Besetzer gingen mit diesem Verhandlungsstand zu ihren Leuten. Am Nachmittag erklärten sie die Verhandlungen für gescheitert. Die Besetzung wurde beendet. „Wir sehen das als Startpunkt für weiteres gemeinschaftliches Nachbarschaftshandeln“, so Besetzerin Rudolf. Schließlich seien hier innerhalb kürzester Zeit viele Nachbarn zusammengekommen, man habe sich unterstützt, und viele begrüßen es, wenn die (fast) leeren Gebäude wiederbelebt würden.

Auch der Eigentümer würde sich freuen, wenn sein Haus schnell saniert oder zumindest zum Teil wieder bewohnt werden könnte. „Der Zustand ist mist: In Dresden ist der Wohnraum knapp und mein Haus steht leer.“ Bereits mehrere Anwohner hätten ihn angesprochen, dass sie an einer Wohnung interessiert wären, wenn das Haus saniert ist. Er habe aber noch immer keinen Zeitplan, wann er das machen kann. „Wenn immer wieder eingebrochen wird und Schaden entsteht, verliert man auch die Lust.“ Auf eine Anzeige gegen die Besetzer verzichte er, dafür haben diese zugesagt, den Schaden zu zahlen. Dieser liege bei rund 200 Euro, sagt der Eigentümer.