Freispruch für Schattenparker
Der Prozeß am Amtsgericht Freiburg gegen zwei ehemalige Vorstandsmitglieder des Schattenparker e. V. wegen Durchführung einer nichtangemeldeten Versammlung endete am 29. März 2010 mit einem Freispruch: Die Angeklagten waren nicht „Veranstalter“ der fraglichen Demonstration (Az. 25 Cs 450 Js 22225/09 - AK 3395/09).
Am 6. Juni 2009 hatten Wäglerinnen und Wägler zusammen mit sympathisierendem Publikum ironisch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg gefeiert, wonach die Schattenparker die Kosten von insgesamt 24.000 € für die Beschlagnahme und dreimonatige Verwahrung ihrer Bauwagen im Winter 2005/2006 zu tragen hätten. Zur „Jubelparade“ gehörten unter anderem ein Sektstand auf dem Augustinerplatz und ein Planschbecken vor dem Münster. Die Versammlung war, entsprechend der Tradition innerhalb der Freiburger linken Szene, entgegen § 14 VersG nicht angemeldet worden. Aufgerufen zur Demonstration, die nach friedlichem Verlauf mit einem unsanften Gerangel endete, hatten online und auf Plakaten „Die Schattenparker“.
Das hatte Folgen für die Vorstandsmitglieder des gleichnamigen eingetragenen Vereins. Sie erhielten Strafbefehle (§§ 407 ff. StPO) über jeweils 15 Tagessätze à 15 €, weil sie als Veranstalter eine nichtangemeldete Versammlung durchgeführt hätten. Dafür sieht § 26 Nr. 2 Versammlungsgesetz (VersG) Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vor. Nach ihrem Einspruch gemäß § 410 StPO kam es zur Hauptverhandlung am Amtsgericht Freiburg. Strittig waren in der von Richterin Lempfert geleiteten Verhandlung weder die Demonstration noch deren Nichtanmeldung. Verteidigerin Angela Furmaniak legte aber Wert darauf, dass der Verein Schattenparker e. V. nicht identisch sei mit den Schattenparkern als den kollektiv organisierten BewohnerInnen des Bauwagenplatzes am Eselswinkel.
Strukturen zum Festklammern
In diese Richtung gingen am ersten Verhandlungstag, dem 10. März 2010, ihre Fragen an den Zeugen K. von der Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei. Der erklärte, im Internet und auf Plakaten hätten „die Schattenparker“ zu der Demonstration aufgerufen, über das Vereinsregister habe er die Vorstände des gleichnamigen Vereins ermittelt. Auf den Unterschied zwischen dem Verein und den basisdemokratisch organisierten Schattenparkern angesprochen gab K. an, er wisse trotz fehlenden Detailkenntnissen, dass die Vereinsgründung erfolgt war, um den Mietvertrag für das städtische Grundstück abzuschließen. Von der Homepage www.schattenparker.net sei ihm bekannt, dass die Schattenparker wichtige Entscheidungen im Plenum beschließen. Deshalb gehe er davon aus, dass die Angeklagten von der Demonstration gewusst hätten, welche ja mit erheblichem Organisationsaufwand und Kosten verbunden gewesen sei. Über Funktion und Struktur des Plenums der Schattenparker könne er, obwohl seit geraumer Zeit für den Freiburger Staatsschutz tätig, nichts Genaueres berichten.
Nebenbei kam es am ersten Verhandlungstag zu einer etwas bizarren Verletzung der Öffentlichkeit des Verfahrens (§ 169 GVG): Als die vorhandenen Stühle – überwiegend von einer Schulklasse – belegt waren, versperrte ein Justizwachtmeister zusammen mit Polizisten die Tür zum Zuschauerbereich. Mehrere Aufforderungen, doch für zusätzliche Sitzgelegenheiten im geräumigen Saal zu sorgen oder Stehplätze zu „erlauben“, bügelte er unwirsch ab: „Diskussion beendet!“. Einige der Ausgeschlossenen beschwerten sich lautstark, andere organisierten schließlich selbst zusätzliche Stühle. Während dem Vertreter der Badischen Zeitung noch ein Stehplatz zugestanden wurde, blieb ein Teil des Publikums, darunter eine Gemeinderätin und ein Reporter, bis zum Ende ausgeschlossen.
Am zweiten Verhandlungstag, dem 29. März 2010, gab die Angeklagte H. in einer verlesenen Verteidigererklärung an, dass der Verein auf Drängen der Stadt gegründet und zur rechtlichen Abwicklung des Mietvertrages verwendet worden sei. Man betrachte ihn als „notwendiges Übel“ und habe ihn „nicht mit Leben gefüllt“. Entscheidungen würden stets im Plenum nach dem Konsensprinzip gefällt – auch bei der Demonstration sei das der Fall gewesen. Die ehemalige Stadträtin Renate Bert, die an den Mietverhandlungen mit der Verwaltung beteiligt gewesen war, bestätigte, dass „die Schattenparker“ wesentliche Dinge kollektiv entschieden: Nach ihrer Erinnerung „auf ausgedienten Sofas und Sesseln“ per Handzeichen. Die Existenz des Vereins überraschte sie – vermutlich wolle sich „die Stadt an irgendwelchen Strukturen festklammern“. Es schien also das Vereinsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit einer basisdemokratisch organisierten Lebensform zu kollidieren.
Freispruch und „Befriedung“
Zusätzlich legte Furmaniak das Protokoll einer Mitgliederversammlung des Schattenparker e. V. vom 17. Mai 2009 vor, wonach die Vorstände ihren Rücktritt erklärt hatten und ihre Posten vakant geblieben waren. Angesichts eines damals laufenden, mittlerweile nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Strafverfahrens gegen die Vorstände des Fördervereins „Subkultur e. V.“, des Trägervereins des autonomen Zentrums KTS, hätten sie strafrechtliche Verfolgung gefürchtet. Zum fraglichen Zeitpunkt seien sie also nicht mehr im Amt gewesen. Damit war zugleich die allgemeine Bedeutung des Verfahrens angesprochen: Für Schattenparker wie KTS stellte es eine Bedrohung der linken Infrastruktur dar: Die „Freiburger Befriedungslinie“ im Umgang mit linker Subkultur basiere auf Dialogbereitschaft und funktionsfähigen Fördervereinen, um die Nutzungsverträge für Grundstücke und Räumlichkeiten abschließen zu können. Bei drohenden Strafverfahren wäre aber niemand mehr bereit, die Vorstandsfunktion zu übernehmen.
Nach Abschluss der Beweisaufnahme lenkte die Staatsanwaltschaft ein und beantragte wie Verteidigerin Furmaniak Freispruch: Die Veranstaltereigenschaft der Angeklagten fehle. So entschied dann auch Richterin Lempfert: Eine Vereinigung könne sich nicht strafbar machen und es gebe keinen automatischen Schluss von der Mitgliedschaft im Vorstand auf die strafrechtlich relevante Verantwortung für Versammlungen im Sinne von § 26 Nr. 2 VersG. Dass die Angeklagten konkret als Veranstalter tätig geworden seien, also die Demonstration geplant oder zu ihr eingeladen hätten, sei nicht bewiesen. Daneben fehlte es laut Lempfert auch an einer im Gesetz nicht genannten objektiven Bedingung der Strafbarkeit, nämlich dass es auf der nicht angemeldeten Versammlung zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kam, die bei erfolgter Anmeldung nicht eingetreten oder verhindert worden wäre. Sollte sich diese am Schutzzweck des Anmeldeerfordernisses und an Art. 8 GG orientierte Auslegung (siehe MüKo-StGB, § 26 VersG Rn. 16, 18, 21 m. w. N.) durchsetzen, dürften Strafverfahren gegen Veranstalter nichtangemeldeter Demonstrationen in Zukunft deutlich an Bedeutung verlieren.
Unpolitische Justiz?
War das Ganze also der untaugliche Versuch einer Kriminalisierung aus politischen Gründen? Sicher nicht aus der Sicht der Staatsanwaltschaft, die wie zur Betonung der Normalität des Verfahrens am ersten Verhandlungstag von einem Referendar (im Beisein seines Ausbilders) und am zweiten durch einen Oberamtsanwalt vertreten wurde, und am Ende ja selbst auf Freispruch plädierte. Eben dieses klare Ergebnis führt aber zur Frage, wie in diesem Fall überhaupt ein Strafbefehl ergehen konnte. Denn dass der polizeiliche Staatsschutz möglichst umfassend „die linksextremistische Szene aufklärt“, wie Zeuge K. angab, ist ein allgemeines bürgerrechtliches Problem. Dazu kommt aber hier die rechtsstaatliche Fragwürdigkeit, dass die Staatsanwaltschaft den polizeilichen Verfolgungseifer nicht gebändigt und ohne Beweise einen Strafbefehl beantragt hat. Arbeitet man dort immer so ungenau, weil die politische Polizei ja ihre "Pappenheimer" kennen dürfte und das Gericht ohnehin alles noch einmal prüfen wird? Jedenfalls griff danach auch die letzte Sicherung nicht, denn das Gericht hatte gegen den Strafbefehl keinerlei Bedenken (sonst hätte nach § 408 Abs. 3 StPO eine mündliche Hauptverhandlung anberaumt werden müssen). So handelt, wer der Staatsanwaltschaft als etablierter Partnerin im Zweifel vertraut – warum sollte die vermeintlich objektivste Behörde der Welt einen unberechtigten Strafbefehl beantragen? Insgesamt entsteht für Außenstehende der Eindruck, dass es paradoxerweise das von der Gewaltenteilung mit gutem Grund verlangte arbeits- und verantwortungsteilige Verfahren ist, das im Ergebnis die Kriminalisierung politisch Missliebiger erleichtert, ohne dass die Beteiligten ein schlechtes Gewissen hätten.
John Philipp Thurn