Legida läuft nicht. Zum ersten Mal seit Beginn der völkisch-nationalistischen Aufmärsche im Januar 2015 gönnt die zuletzt immer kleiner gewordene Bewegung der Stadt und allen von Diskriminierung und Hetze betroffenen Menschen eine längere Pause. Dabei gehen die Gründe über ein „Sommerloch“ hinaus. Das Netzwerk „Leipzig nimmt Platz“ und die Kampagne „a monday without you“ wollen ihrerseits die Pause nutzen, um rings um den Richard Wagner Platz über rechte Akteure und Strukturen aufzuklären.
Der Abwärtstrend für Legida hat seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Im kompletten August werden die völkischen Nationalisten nicht spazieren – zumindest nach derzeitigem Stand der Anmeldungen. Es wäre der erste Monat seit Beginn der Aufzüge im Januar 2015, in dem Legida nicht auf die Straße geht. Voraussichtlich erst am 5. September steht die nächste Demonstration auf dem Programm. Auf Facebook sprach Legida beiläufig von einer „Sommerpause“ und beschäftigt sich seither mit der Verbreitung von Artikeln zur Bundespolitik.
Noch zu Beginn des Jahres hatte die Situation für den Pegida-Ableger besser ausgesehen. Laut Forschungsgruppe „Durchgezählt“ waren am 11. Januar etwa 3.000 Menschen vor dem Naturkundemuseum erschienen, um gemeinsam mit Tatjana Festerling und deren berüchtigter „Mistgabel“-Rede den Geburtstag von Legida zu feiern. Doch nach dem Abschied der einstigen Führungsfigur Markus Johnke im März sanken die Teilnehmerzahlen zumal ohne Unterstützung durch Pegida bei den Demos wieder auf etwa 300 bis 500 ab. An den außerplanmäßig anberaumten Aufzügen gegen die Polizeiführung und politische Gewalt beteiligten sich jeweils nur etwas mehr als 100 Personen.
Nun, im Sommer 2016, steht Legida so isoliert wie nie zuvor da. Aus Dresden kommt keine Unterstützung mehr, dort hat man zudem mit sich, einer von Facebook gesperrten Pegida-Seite und einer neuen Parteigründung zu tun. Während sich in Dresden nach teils heftigen internen Auseinandersetzungen mit Tatjana Festerling alles wieder um Führungsfigur Lutz Bachmann dreht, scheint der Draht nach Leipzig gerissen. Auch das „Wir lieben Sachsen/Thügida“-Bündnis um Alexander Kurth (Die Rechte) und der Ex-Legida-Anführer Silvio Rösler haben sich wieder abgewendet. Vor allem mit Rösler hatten neurechte Vordenker wie Götz Kubitschek einst den Weg auf die Legida-Bühne gefunden.
Noch im April 2016 war man seitens Rösler und Kurth zur „Unterstützerdemo“ erschienen und hatte sich mit Legida vereint. Doch nachdem Legida im Vorfeld der bislang letzten Versammlung am 9. Juli 2016 angekündigt hatte, „keinerlei Neonazis, Antifa oder jegliche Extremisten“ zu dulden, fühlte sich offenbar jemand angesprochen. So meldete sich Kurth mit einer Videobotschaft zu Wort: „Das volkstreue, nationale Lager leidet unter der Krankheit Distanzerie, auch als Distanzierungswahn bekannt.“
Die Hauptpersonen von Bord und finanzielle Risiken
Schon im März waren Markus Johnke, Silvio Rösler und der Leipziger Anwalt Arndt Hohnstädter gemeinsam aus dem Vereinsvorstand ausgeschieden. Die offenbar gleichzeitige Änderung der Satzung, dass seither ein einzelner Vorstand vertretungsberechtigt ist, wurde am 9. Mai 2016 vom Vereinsregister eingetragen. Der öffentlich bislang kaum in Erscheinung getretene Patrick Filz hat seither den Vereinsvorstand allein inne.
Dieser hat bereits jetzt keine angenehme Amtszeit, denn seither häufen sich durch Legida selbst eingehandelte Kostenbescheide. Seit dem Freitag, 29. Juli 2016 liegt nun der L-IZ ein gerichtlicher Beschluss vor. In diesem wird es dem Verein kostenpflichtig untersagt, ein seit dem 10. Juli 2016 widerrechtlich genutztes Foto eines L-IZ-Fotografen weiterhin auf der eigenen Internetseite sowie bei Facebook zu veröffentlichen. Darauf zu sehen ist Jürgen Kasek, welcher nach massiven Angriffen auf seine Person im Netz, einem Banner an einer Schnellstraße und Schmierereien an seiner Kanzlei dennoch am 9. Juli 2016 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz zur Gegendemonstration erschien.
Laut Beschluss gegen gängiges Urheber- oder Nutzungsrecht verstoßend, verwendete Legida das Bild als Ausschnitt aus einem Demonstrationsfoto für seine Propaganda gegen Kasek, indem sie Ronny U. und ihn in einer Bildcollage gegenüberstellten und fragten, wer wohl das größere Opfer sei. Bei Kasek natürlich in Anführungszeichen gesetzt und mit der Überschrift „Finde den Fehler“ versehen. Noch ist kein Widerspruch gegen die kostenpflichtige Gerichtsentscheidung bekannt, mit Datum vom 1. August hält Legida die Collage jedoch weiterhin öffentlich im Netz vor.
Auch in der seitens Kasek selbst gegen den Verein geführten gerichtlichen Auseinandersetzung ist Legida bereits in der Defensive. Nach den Anfang Juli verbreiteten Anschuldigungen gegen Kasek, am Überfall auf den Legida-Ordner Ronny U. mitschuldig zu sein, hatte dieser ein erstes Urteil erwirkt, in welchem es dem Verein untersagt ist, diese Behauptungen weiterzuverbreiten. Nun ist es eigentlich an Legida, die aufgestellten Behauptungen zu beweisen.
Alles in Allem also auch ein steigendes finanzielles Risiko für den Verein durch erstinstanzliche Kostenbescheide in Höhe von gesamt rund 3.000 Euro. Tendenz steigend, kehrt der Verein weiterhin dem deutschen Gesetz den Rücken, indem er nicht auf die angemahnten Rechtsverstöße eingeht. Im Falle möglicher Widersprüche vor Gericht hingegen stiege das Risiko für den Verein bei relativ klarer Sachlage mindestens im Urheberrechtsstreit noch mehr Geld zu riskieren. Im Falle Kaseks ist das Prozessrisiko deutlich höher. Nimmt der Verein hingegen die Entscheidungen hin, dürften weitere Fragen bei der schmelzenden Anhängerschaft auftauchen, ob die neue Führung eigentlich weiß, was sie tut.
Zumindest ist es bereits jetzt fraglich, wie Patrioten für ihr Deutschland kämpfen können, wenn sie sich selbst nicht an die Gepflogenheiten im deutschen Recht zu halten gedenken.
Die bisherige Basis zerfällt
Hinzu kommen mittlerweile die rund 200 Strafanzeigen gegen Legida-Sympathisanten, welche die Behauptungen bis hin zu Drohungen gegen den Leipziger Anwalt Jürgen Kasek weiterverbreiteten oder selbst mit eigenen Formulierungen auf die Legida-„Veröffentlichung“ hin gegen ihn im Netz verbal zu Felde zogen. Prominent darunter ein alter Bekannter. Die mit dem Konterfei vom Leipziger Stadtrat Enrico Böhm geschmückte Seite der Initiative „Wir für Leipzig“ (die Ex-Facebookpage der NPD Leipzig) hatte es sich nicht nehmen lassen, bei dem Shitstorm gegen den Grünen-Politiker mitzumischen.
Nun dürfte es vor allem für diejenigen, die so Legida in den Vorwürfen gegen Jürgen Kasek folgten und dem Verein glaubten, interessant sein, ob der Verein nun Beweise gerichtsfest vorbringen kann. Am besten solche, die belegen, dass der Grünen-Vorstand etwas mit dem Überfall auf den Ordner Ronny U. zu tun hat. So hatte zum Beispiel auch der AfD – Kreisverband Siegen-Wittgenstein die Vorwürfe gegen Kasek auf die eigene Facebookseite übernommen und im sozialen Netzwerk weiterverbreitet.
In Leipzig selbst scheint Legida kaum noch eine Basis zu haben. Dies zeigt sich auch daran, dass mit Festerling und Edwin Wagensveld die angedachten Zugpferde zuletzt mehrmals von außerhalb anreisen mussten. Auch wurden praktisch keine Redner aus Leipzig selbst auf der Bühne gesichtet, die weiteren Redner kamen aus dem Leipziger Umland. Intern stellte das rechtsradikale Bündnis „Wir lieben Sachsen/Thügida“ zudem indirekt Auflösungserscheinungen fest.
In seiner Videobotschaft zum „Distanzierungswahn“ im völkischen Spektrum äußerte sich Kurth so auch zu seinen Gegnern: „Die Deutschlandabschaffer halten zusammen.“ Zumindest in Bezug auf die Situation in Leipzig scheint diese Feststellung aktuell jedoch nicht zutreffend.
Meinungsverschiedenheiten im linken bis linksradikalen Spektrum
Diese haben unter anderem mit der Antifa-Kampagne „a monday without you“ zu tun, die bereits zum vierten Mal rechte Strukturen im Stadtgebiet offenlegen möchte. Diesmal zieht sie zu diesem Zweck vor ein Geschäft der Kleidungsmarke „Yakuza“ in der Leipziger Innenstadt. Im Oktober 2015 berichtete das „Antifaschistische Infoblatt“ über das Bautzner Label. Es beschrieb in dem Artikel „erkennbare Bezüge in neonazistische Kreise“. Yakuza wies diese Vorwürfe kurz darauf zurück. Man distanziere sich „strikt vom rechten Milieu“ und würde „jegliches patriotisches, nationalistisches oder sonstiges dümmliches Gedankengut“ nicht tolerieren, hieß es in einer Stellungnahme.
In einem Ankündigungstext für die Kundgebung kam „a monday without you“ auch auf das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ (LNP) zu sprechen und bezeichnete dieses abwertend als „rot-grüne Vorfeldorganisation“. Man selbst wolle mit der Kampagne eine „linksradikale, gesellschaftskritische Alternative“ anbieten.
Bei LNP nahm man die Kritik eher entspannt zur Kenntnis. Sowohl in einer Pressemitteilung als auch auf Twitter bewarb das Netzwerk die „Konkurrenzdemo“. Beide starten um 18 Uhr. Während sich „a monday without you“ am Brühl 4 versammelt, mobilisiert LNP auf den nur wenige Meter davon entfernten Richard-Wagner-Platz, um den für gewöhnlich dort zu vernehmenden Legida-Parolen „entspannte Atmosphäre und ein Miteinander in Vielfalt und Solidarität“ entgegenzusetzen.
Die geplanten Redebeiträge könnten inhaltlich womöglich jenen ähneln, die in den vergangenen Monaten schon bei „a monday without you“ zu hören waren: Sie sollen über Akteure der Neuen Rechten und der regionalen Naziszene aufklären.
Die Versammlungen im Überblick:
– Kundgebung „Intergalaktischer Protest! #LEGIDAchilltnicht – wir schon!“ auf dem Richard-Wagner-Platz von 18 bis 22 Uhr
– Kundgebung „Schöner leben ohne Naziladen! – a monday without you“ auf dem Brühl in Höhe Grundstück Nr. 4 von 18 bis 21 Uhr
– Fahrradaufzug „Summer in the City – Reclaim the streets“ vom Connewitzer Kreuz über Karl-Liebknecht-Straße, Peterssteinweg, Martin-Luther-Ring, Dittrich-Ring und Goerdeler-Ring zum Richard-Wagner-Platz von 17:30 bis 18:30 Uhr
– Vorlesung im öffentlichen Raum zum Thema „John Stuart Mill – Ein liberaler Denker über die Grenzen der Meinungsfreiheit“ auf dem Parkplatz vor dem Naturkundemuseum von 18:30 bis 20 Uhr