Mehrere Clubs und Kneipen der Stadt könnten möglicherweise das Sommerloch nicht überleben. Die Zukunft von Skala und Noch Besser Leben ist ungewiss. Das Helheim in Plagwitz hat bereits dicht gemacht und sucht einen neuen Standort.
Leipzig. Das Sommerloch. Unendliche Weiten. Die Stadt wird leer, irgendwie einsam, die letzten Verbliebenen finden sich verzweifelt bei den Classic Open. Doch im September sind ja alle wieder da. Immer wieder aber kommt es vor, dass jemand für immer wegbleibt. Auch vertraute Kulturinstitutionen. Daher warnen wir schon jetzt, dass da möglicherweise im Herbst etwas vermisst werden könnte, das es nicht verdient hatte, im Orkus des Sommers unterzugehen. Schon gar nicht sang- und klanglos, wie die folgenden Beispiele illustrieren:
Fall 1: Helheim
Seit Ende Juni ist die einzige echte Metalkneipe der Stadt, das Helheim in der Weißenfelser Straße, dicht. Ein klassischer Fall nahezu, das war abzusehen: Parallel zur Karl-Heine-Straße gelegen, war klar, dass der Hausbesitzer die Miete nach erfolgter schicker Gesamt-Sanierung deutlich erhöhen würde. Als die Summe verkündet wurde, glaubte Betreiber Markus Böhme kurzzeitig, er stünde mitten auf dem Broadway in N.Y.. Nein, da war kein Spielraum für Verhandlungen. Vielleicht passten auch die Gäste nicht ins neue Mietkonzept.
Dabei weiß, wer es kennt, dass das Helheim so gar nicht gängigen Klischees entspricht. Die Musik ist hart, sehr hart, aber eher nicht so laut, weil die Leute hier miteinander reden wollen. Es gibt regelmäßig gut besuchte Lesungen, einige wenige Hinterzimmerkonzerte. Nur der selbstgebraute Schnaps passt ins Bild. Er heißt „Schäddelspalter“, was ziemlich genau seiner belebenden Wirkung entspricht. Böhme und die treue Kundschaft suchen ein Nachfolgeobjekt. Vielleicht weiß einer was?
Fall 2: Vanity Noire
Vor Kurzem wurde viel über die 25-jährige Geschichte des Wave Gotik Treffens berichtet. Viele wissen seitdem, dass die Keimzelle des Ganzen eine Partyreihe in der Villa war, wo die beiden unzertrennlichen Freunde und Treffen-Erfinder Michael Brunner und Sandro Standhaft Platten drehten. Aber nur Insider wissen, dass diese dunkle Tradition weiterlief, 1998 von der „alten“ Villa in der Tauchnitzstraße in das jetzige Domizil in der Lessingstraße umzog, um erst jetzt, Anfang Juli, nach fast 26 Jahren an diesem Ort zu endigen. Weil es Raucher vor die Tür zog, beschwerten sich Anwohner. Als man daraufhin drinnen einen Raucherraum einrichtete, griff bei dem Soziokulturzentrum das Jugendschutzgesetz.
Die letzte Party war noch einmal völlig überfüllt, weit über 300 Schwarze stapelten sich ästhetisch im engen Keller. Einige behaupten, gelegentlich sogar getanzt zu haben, andere bestreiten energisch, dass das irgendwann möglich war. Hoffnung für die Gruftis: Die Macher, einschlägig bekannte Szenegesichter unter dem Label „Vanity Noire“, haben einen Neuanfang vorbereitet: Wenn die Schwarzen im übertragenen wie eigentlichen Wortsinne mitziehen, aber eben nur dann, wird die dunkle Sonne nun ab September regelmäßig im Leipziger Osten, im „4 Rooms“ aufgehen.
Fall 3: Skala
Um die Jahrtausendwende begann die Story der Neuen Szene, die Theaterkneipe wurde rasch zum Kult. Das Publikum war gemischt, aber irgendwie auch wieder homogen: Es waren die Gäste der Vorstellungen, Mimen nach Proben und Auftritten, lärmige Schauspielstudenten, Kabarettisten und allerlei Volk, das sich in prekär bezahlten kreativen Berufen durchschlug und -schlägt. Immer war hier ein Nachtschwärmernest: Die einschlägigen Seuchenvögel nahmen den letzten Absacker des langen Abends – und der konnte sich hinziehen.
Der Zusammenhalt lief über Kneiper Jens Nitzschner mit seinem Hang zu Bach und derben Sprüchen. Mit der Zeit lief der Laden von alleine, der Chef war nur noch einige Tage in der Woche da. Die Sprüche wurden seltener, er trug sie in wechselnder Folge auf T-Shirts.
Die Kundschaft wandelte sich mit den Jahren. Zunächst änderte die wilde Hartmann-Ära den Namen in Skala und dünnte das Publikum aus. Stärker jedoch wirkte jenes Dekret, das die Kneipenfreunde fortan in Raucher und Nichtraucher schied. Nitzschner entschied sich für erstere Seite und wurde von vielen um so mehr geliebt. Andere blieben deshalb weg, und die beliebte „Schulspeisung“, das waren zeitlose Klassiker der volkseigenen Großküche, wurde nun nicht mehr ausreichend geordert. Dann schloss das Theater, ist derzeit nur noch selten genutzte Probebühne. Stammgäste und Kultfaktor sind aber noch da und die Nächte in der Skala wie immer aufregend und lang!
Stand der Dinge: Die unmittelbare Schließung der Skala ist wohl zunächst vom Tisch. Zwar endet der Mietvertrag mit dem Schauspiel am 31. Juli. Da der Verkauf der Immobilie aber noch nicht abgeschlossen ist – der Stadtrat hatte eine wenigstens teilweise kulturelle Nutzung zur Bedingung gemacht – kündigte das Liegenschaftsamt an, einen Betreibervertrag für die Übergangszeit anzubieten.
Fall 4: Noch Besser Leben
Gefahr im Verzug im Noch Besser Leben. Als die Kneipe vor zehn Jahren in einem Haus aufmachte, das zuvor lange leergestanden hatte, dachte noch keiner an den Boom-Westen. Dem witzigen Kneipennamen schien eher ein gewisser Trotz innezuwohnen. Das Haus wurde neben der Schaubühne Lindenfels zu einem der Motoren des Aufschwungs West. Heute ist der Laden vor allem durch seinen „Salon“ bekannt, das sind Konzerte, Lesungen, Diskussionen, Comedy in einer ehemaligen Wohnung im ersten Stock. Der Eintritt ist fast immer frei, es geht meist nur ein Hut rum, die Atmosphäre ist wunderbar. 2014 wurde man mit dem anerkannten Preis für eine der faszinierendsten Locations Deutschlands geehrt. Die Heine hat sich inzwischen gewandelt, jetzt ist hier immer stärker der passabel bezahlte Kreativ-Berufler, gerne mit Vollbart, unterwegs. Das Noch Besser Leben war anfangs eine der wenigen fröhlichen Inseln im Grau, heute ist es zur anarchischen Insel im ausrechenbaren Bunt geworden.
Immer schon war es nicht leicht, das Konzept von Kneipe, Kunstsalon, Galerie und Pension in einem (einst abrissreifen) Haus durchzuziehen. Noch dazu weitgehend im D.I.Y.-Verfahren. Nun jedoch stehen gleich mehrere Ämter auf der Matte. Keine Schikane, nein, Vorschriften sind nun mal zum Befolgen da, zumal, wenn sie zur Sicherheit der Gäste gemacht sind. Eine Menge wurde schon getan, alles in Eigenleistung. Doch nun gab der gewaltige Lüfter auf dem Dach, den sie vor reichlich zehn Jahren in einer der vielen Industriebrachen, äh, nun ja, fanden, und der damals schon 15 Jahre nicht mehr gelaufen war, final den Geist auf. Heutige Fachleute stehen staunend vor der Erfindungskunst früherer Ost-Schrauber, erklären sich für völlig hilflos und warnen davor, sich dem Ungetüm zu nähern. Alles muss raus.
Fast 20 000 Euro kostet das neue Material. Mitten im Umsatzloch des Sommers. Wird das Problem nicht gelöst, muss im September nicht nur die Pension schließen, sondern auch der Salon. Dann würde einer der definitiv coolsten Live-Orte der Stadt nicht mehr aus dem tiefen Sommerabgrund auftauchen. Wie helfen? Die Mannschaft hat sich ein Gutschein-System ausgedacht: Heute die Biers bezahlen, die man im Oktober trinkt (Tresenlegende Hansi legt gerne mal einen Voddi drauf), also jetzt den Lüfter finanzieren, der im Herbst den Qualm absaugt. Der Plan lief gut an und wird bald durch eine Fundraising-Aktion im Netz ergänzt. Dafür hat die Mannschaft schon eine ganze Reihe Devotionalien gesammelt, die an die edlen Investoren gehen werden. Doch Achtung: Die Sammelei geht nur bis Ende Juli, dann muss gebaut werden, weil: siehe oben.
Es gilt also, ausnahmsweise mal nicht nur zu fragen, was einem die Lieblingsorte in der Stadt geben können, sondern, was man für seine Lieblingsplätze tun kann. Sonst werden die uns vielleicht im Herbst in der öder gewordenen Stadt allein zurücklassen.