Berlin/Tübingen - Der Rachefeldzug der linksextremen Szene nach einem Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain weitet sich nun offenbar auf andere Städte aus. In Tübingen wurden in der Nacht zu Montag drei Autos angezündet, die Täter werden von der Polizei in den Kreisen der Linksautonomen vermutet. Es gebe Hinweise, dass die Brandstiftungen „Teil einer bundesweiten politisch motivierten Protestaktion“ seien, hieß es. Ein Bekennertext im Internet führt in diese Richtung.
Außerdem warfen in Berlin-Mitte mehrere unbekannte Täter die Scheiben einer Bank ein und sprühten Parolen und Kürzel wie „R94“ an die Fassade. Das Auto eines SPD-Lokalpolitikers angezündet.
Damit wird auf die seit vergangenen Mittwoch verstärkten Auseinandersetzungen um das von Autonomen bewohntes Haus in der Rigaer Straße 94 hingewiesen. Auf der linken Internetseite Indymedia stand: „Solidarische Grüsze an die Rigaer - BMW in Tübingen abgefackelt“ (Fehler im Original) und “Wir sind alle Rigaer“.
Brennende Autos und Angriffe auf Polizisten
Nach der Räumung einiger Räume in dem Haus durch ein großes Polizeiaufgebot hatte die linksradikale Szene zu Zerstörungsaktionen als Vergeltung aufgerufen. Fünf Nächte hintereinander sorgten Linksradikale für Aufruhr. Viele Autos wurden angezündet.
100 Vermummte randalierten vor dem Jobcenter in der Müllerstraße. Täter beschmierten das Bürgerbüro des CDU-Abgeordneten Kurt Wansner in Friedrichshain mit dem Kürzel „R94“. In der Rigaer Straße stehen sich seit Tagen Polizisten und Bewohner gegenüber. Teile der Straße wurden zeitweise gesperrt. Polizisten wurden angegriffen.
Ein VW, der in der Nacht zu Montag im Neuköllner Stadtteil Rudow angezündet wurde, gehört dem SPD-Bezirkspolitiker Peter Scharmberg. Ein Nachbar alarmierte nach Medienberichten gegen 2.40 Uhr Polizei und Feuerwehr, nachdem er einen lauten Knall gehört hatte und das brennende Auto sah. Mehrere Täter flüchteten unerkannt. 2014 war ein Auto des Politikers vermutlich von Rechtsextremisten angezündet worden, weil er sich für Flüchtlinge eingesetzt hatte.
So reagieren Berliner Politiker
Die Kreisvorsitzende der Neuköllner SPD, Franziska Giffey, verurteilte die Attacke: „Es gilt: wer Volksvertreter attackiert, greift die Grundpfeiler unserer Demokratie an!“ Martin Hikel, Vorsitzender der SPD Rudow und Kandidat für das Berliner Abgeordnetenhaus, zeigte sich schockiert. „Die Verrohung der politischen Diskussion ist mehr als besorgniserregend, egal welche Motivation hinter den Brandanschlägen steckt.“
Die CDU vermisst deutliche Reaktionen von den linken Parteien und ihren Spitzenkandidaten. „Bezeichnend ist, dass sich die linken Parteien wegducken, sobald das militante linke Spektrum aktiv wird“, teilte der CDU-Generalsekretär Kai Wegner mit. „Auch dieses Mal ist von Ramona Pop und Klaus Lederer nichts zu hören. Das sei ein verheerendes Signal an die Berliner und die Polizei. „Bei Gewalt darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.“
Tatsächlich ist es von Seiten der Grünen, der Linken und der Piraten seit der vergangenen Woche recht still. Bei einem massiven Auftreten von Rechtsextremisten und Sachbeschädigungen oder Angriffen auf Menschen rufen die Parteien sonst zu Gegendemonstrationen auf oder schicken schriftliche Kritik herum.
Scharfe Kritik an Berlins Innensenator Henkel
Stattdessen kritisierten Politiker der drei Parteien die Polizei und den CDU-Innensenator Frank Henkel, bei dem sie reine Wahlkampftaktik vermuten. Die Piratenpartei warf Henkel kürzlich gezielte Eskalation vor und verharmloste gleichzeitig die gehorteten Angriffsmaterialien und Anzünder in der Rigaer Straße als „Brennholzvorräte der Hausgemeinschaft“. Grünen-Politiker sehen die Polizeieinsätze seit Januar als Vergeltungsaktionen von Henkel gegen die linke Szene.
Und der Linke-Fraktionschef Udo Wolf hatte im Januar über Funde der Polizei in dem Haus gesagt: „Da sind ganz viele Gegenstände dabei, die jeder von uns zu Hause hat. (...) Ganz viele haben Feuerlöscher, auch mal zwei oder drei, und ganz viele haben Briketts zu Hause, und manche haben sogar Steine oder Pflastersteine zu Hause, weil sie vorhaben, etwas zu pflastern.“ (dpa)