Asylsuchende in Sachsens Erstaufnahmeeinrichtungen - Von den Behörden vergessen

Erstveröffentlicht: 
22.06.2016

Eigentlich sind die Regeln klar, wie lange ein Asylbewerber in einer Erstaufnahmeeinrichtung bleiben soll, bevor er abgeschoben oder in eine andere - in der Regel bessere, privatere - Wohnsituation gebracht wird. In vielen Erstaufnahmeeinrichtungen hat sich die Lage während der letzten Monate deutlich entspannt, was die Belegungszahlen angeht. Trotzdem harren hier immer noch Menschen aus. Wie viele? Und wie lange?

von Ine Dippmann, MDR-Aktuell-Korrespondentin für Sachsen

 

 

2.400 Menschen leben nach Angaben der Landesdirektion Sachsen aktuell in Erstaufnahmeeinrichtungen. Maximal sechs Monate sollen sie dort wohnen – so steht es im Asylgesetz. Andreas Kunze-Gubsch, Sprecher des Innenministeriums, erklärt dazu: "In der Regel ist es so, dass die Asylbewerber in Sachsen im Schnitt vier bis sechs Wochen bleiben. Das hängt damit zusammen, dass deutlich weniger Menschen kommen als im vergangenen Jahr und dass das BAMF, das die Anträge bearbeitet, deutlich schneller arbeitet." Das gilt aber nicht für alle. Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsländern müssen in der Erstaufnahme bleiben, bis die Duldung geklärt ist oder sie abgeschoben werden. "Allerdings mit dem Zusatz: Länger als ein halbes Jahr können auch die nicht in der Erstaufnahmeeinrichtung bleiben", sagt Kunze-Gubsch. 

 

Flüchtlingsrat: Asylbewerber bleiben zu lange in Unterkünften


Regeln werden bekanntlich von der Ausnahme bestätigt: Es gebe Fälle von Leuten, die sich seit elf und mehr Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen befinden, sagt Patrick Irmer. Er arbeitet für den sächsischen Flüchtlingsrat: "Ein besonders drastisches Beispiel vom März ist die Haydnstraße in Chemnitz, eine relativ kleine Erstaufnahmeeinrichtung. Allerdings war es dort so, dass über 20 Personen in dieser Unterkunft untergebracht waren, und das über die gesetzlich vorgeschriebenen sechs Monate hinaus."

 

Die betroffenen Iraker, Syrer und Afghanen seien erst auf Drängen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in kommunalen Unterkünften untergebracht worden. "Einer dieser Flüchtlinge hatte sogar schon eine Anerkennung bekommen, hatte aber keinen Zugang zu den SGB2-Leistungen. Dort war es einfach so: Es hat keine soziale Betreuung stattgefunden, die Landesdirektion war nicht vor Ort", kritisiert Irmer. "Es gab wohl einen zentralen Registrierungstermin, wo die Asylanträge gestellt werden konnten. Ansonsten wurde dieses Heim schlichtweg in den Strukturen vergessen." 

 

Insassen werden "zermürbt"


Wo wie viele Asylsuchende länger als sechs Monate in Erstaufnahmen leben, das wissen die Flüchtlingsräte nicht. Patrick Irmer sagt jedoch: "Wahrzunehmen ist, dass seit April/ Mai die Verweildauern etwas abgenommen haben, was sicherlich auch mit den begonnenen Schnellverfahren zu tun hat. Andererseits ist es natürlich so, dass die, die letztes Jahr im Oktober noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung waren, nach wie vor dort drin sitzen. Solche Fälle gibt es auch noch." Denn die neuen Anträge würden zuerst bearbeitet.  

 

Nach wie vor seien die Behörden überfordert, sagt Patrick Irmer und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Flüchtlingspolitik. Denn solange Asylsuchende in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, dürfen sie nicht arbeiten, Kinder nicht in die Schule gehen. Es gebe wenig Privatsphäre und Möglichkeiten, sich sinnvoll zu beschäftigen: "Damit zermürbt man natürlich auch ein Stück weit Asylsuchende. Unsere Erfahrungen zeigen, dass diese Strategie in Sachsen hervorragend funktioniert und die Leute letztlich zur freiwilligen Ausreise zwingt, weil sie auch hier in Deutschland keine Perspektive sehen."